Der Dichter Klaus Groth schrieb im 19. Jahrhundert einen unglaublichen Mega-Beststeller, und das mit plattdeutscher Lyrik! Mehr als ein Jahrhundert nach der Veröffentlichung von Groths Quickborn vertonten nordfriesische Liedermacher um Knut Kiesewetter und Hannes Wader seine Texte neu und brachten sie in die Hitparaden. Bemerkenswert ist, dass die nordfriesischen Musikanten genau wie Groth ganz entscheidende Impulse von der anderen Seite der Nordsee bekamen – dem europäischen Binnenmeer, das trotz Brexit seine Küsten mehr verbindet als trennt.
Klaus Groth wurde am 24. April 1819, in Heide/Holstein geboren. Berühmt wurde er 1852/53 durch seine Gedichtsammlung Quickborn. Die war in wenigen Wochen ausverkauft und erlebte in den nächsten Jahrzehnten zahllose Erweiterungen und endlose Neuauflagen. Quickborn traf den Nerv der Zeit: Die Herausbildung von Nationalstaaten und Nationalsprachen begann, die regionalen Kulturen und Sprachen zu zerstören. Das ließ Menschen aufschrecken und sich auf ihre Wurzeln besinnen. Vorbild für Europas Literaten wurde der schottische Dichter Robert Burns, der seine Texte in anglo-schottischen Dialekten schrieb. Sein „Auld lang syne“ (Nehmt Abschied, Brüder) wird ja heute noch auf Silvesterfeiern und Pfadfindertreffen weltweit gesungen.

Auch Groth studierte Burns´ Gedichte, veröffentlichte einige Übertragungen. Das half ihm, sich beim plattdeutschen Schreiben vom Klang und Rhythmus des Hochdeutschen zu lösen. Groth war überzeugt, dass dem Plattdeutschen wie dem Englischen eine innere Musik gemeinsam ist, die dem Hochdeutschen fehle. Die deutsche Schriftsprache klinge wegen ihrer Wortendungen und der Zischlaute wie ein Gesang „mit Schnürleib und falschen Zähnen“. Das harsche Urteil hat Groth allerdings nicht abgehalten, klangvolle hochdeutsche Verse zu schreiben; sein Freund Johannes Brahms hat mehrere davon erfolgreich vertont.
Ebenso wie der Quickborn-Autor ließ sich später auch die nordfriesische Liedermacher-Szene von anglo-keltischen Einflüssen inspirieren. Wie geschmeidig ließ sich ein plattdeutscher Text mit dem Sound von der gegenüberliegenden Nordseeküste verbinden!
Plattdeutsch kam gerade wieder in Mode, und die Musik aus Nordfriesland trug nicht wenig dazu bei. Fast schon leichtfüßig stürmte die Mischung als Folksound und plattdeutschen Texten die deutschen Radiosender und Plattenspieler. Eine Wegmarke war Hannes Waders Album Plattdeutsche Lieder von 1974. Der Sänger hatte dafür unter anderem sieben Groth-Gedichte vertont, einige wurden dann zu Lagerfeuer-Hits.
Die erneute Renaissance des Plattdeutschen fiel auch in den 1970ern nicht vom Himmel. Die Nachkriegs- und Wirtschaftswunderzeit war für diese Sprache zunächst verheerend gewesen. Eltern sprachen mit ihren Kindern lieber falsches Deutsch als richtiges Platt. Das Aussterben des Plattdeutschen war absehbar. Doch was zu Groths Zeiten der Nationalismus war, war diesmal die wachsende Globalisierung: Sie drohte alles Eigene, alles Identitätsstiftende niederzuwalzen. In der Gegenbewegung wurde das Plattschnacken wieder Mode, bei heimatbewussten Einheimischen genauso wie bei großstadtmüden Zuzüglern.
Eine nette Randnote: Mit dem Umweg übers Platt fanden Wader und andere wieder den Weg zum hochdeutschen Volkslied, das ihnen bis dahin wegen der Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus verpönt war. Waders vielgesungenes Lied Trotz alledem ist ein bekanntes Beispiel. Den Text zu diesem Freiheitslied über die 1848-Revolution hatte Ferdinand Freiligrath geschrieben. Aber Ursprungstext und Melodie stammen von einem berühmten Robert-Burns-Lied, das unter anderem 1999 zur ersten Sitzung des neu geschaffenen schottischen Regionalparlaments gesungen wurde. So schließen sich Kreise.
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Eingesprochen von Gesa Retzlaff. Quelle: Nordfriesland.de
Dieser Artikel erschien erstmals 2019 im KulturJournal Nordfriesland und wurde vom Autor für kulturkanal.sh aktualisiert.