Ein Werkportrait über Astrid Lindgren, ein Zeitschriftenartikel zu Cornelia Funke oder Unterrichtsmaterial zur Harry-Potter-Reihe – die Datenbank „Sesam2050“ bietet einen Überblick über die Sekundärliteratur zu Werken und Autor:innen der Kinder- und Jugendliteratur. Die Sammlung umfasst bereits über 23.500 Datensätze mit deutschsprachigen Metadaten aus den Erscheinungsjahren 1945 bis 2024 und wächst weiter.
Datenbank für Fachleute und Fans der Kinder- und Jugendliteratur
Hinter dem literarischen Wissensschatz steht die Germanistin, Publizistin und Bibliothekswissenschaftlerin Birgit Dankert. Die ehemalige Professorin der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg ist seit 2007 emeritiert, aber weiter in zahlreichen Gremien aktiv. Die Datenbank betreibt sie, unterstützt von ihrem Mitarbeiter Claus Wolf, als Non-Profit-Projekt und lässt ihre jahrzehntelangen Erfahrungen einfließen. „Andere Frauen leisten sich ein Reitpferd, ich habe eine Datenbank“, scherzt die gebürtige Vogtländerin, die heute in Glücksburg bei Flensburg lebt.

Zielgruppe der Datenbank seien alle Literaturinteressierten und „Liebhaber der Kinder- und Jugend-Literatur. In erster Linie Verlagsleute aus Kinderbuch- und Fachliteraturverlagen, Bibliotheken und Autoren“, sagt Dankert. Ein bis zwei Dutzend Zugriffe verzeichnet die Datenbank pro Tag, und viele Nutzer:innen stöbern länger auf den Seite. Die meisten stammen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, aber auch aus Asien und den USA gibt es Zugriffe. „Die Goethe-Institute weisen auf die Datenbank hin, auch an den Deutsch-Fakultäten der ausländischen Universitäten wird die Information weitergegeben.“
Von Katalogen bis zu moderner EDV
Dankert, Jahrgang 1944, hat Germanistik, Philosophie, Kunstgeschichte und Publizistik studiert, dann ein Studium der Bibliothekswissenschaft an der Hamburger Bibliotheksschule angehängt. „Damals haben wir mit Katalogen gearbeitet, wie sie seit der Antike existieren. Doch es ergaben sich immer mehr Möglichkeiten durch die EDV“, erinnert sich Dankert. Sie hat diese Prozesse seit den 1970er Jahren „mitgemacht und mitgestaltet“, berichtet sie. „Das war ein langer Weg, aber die Erfahrung ist ein Pfund, mit dem ich heute wuchern kann.“
Nicht nur die Technik wandelte sich, sondern auch die Bedeutung der Kinder- und Jugendliteratur. Der Jugendbuchforscher Hans-Heino Ewers sieht in den 1970er Jahren einen Paradigmenwechsel und den Beginn einer neuen Ära. Moderne Jugendromane wie Ulrich Plenzdorfs „Die neuen Leiden des jungen W.“ von 1972 zeigten die „Schwierigkeiten einer Identitätsfindung unter den Bedingungen der Moderne, statt seinen Lesern Ablenkung und Evasion anzubieten, wie es die traditionelle Jugendliteratur zu einem Großteil getan hatte“, schreibt Ewers.

Kinderliteratur jenseits von Märchen
Auch die Kinderliteratur setzte andere Schwerpunkte, indem sie ab 1970 „ „Menschenrechte auch für Kinder reklamierte“, statt spielerische Gegenwelten aufzubauen. Ewers nennt als Beispiel dafür Christine Nöstlingers Buch „Wir pfeifen auf den Gurkenkönig“ von 1972. In der Familiengeschichte mit fantastischen Elementen müssen sich die Kinder gegen ihren Vater stellen, um die finsteren Pläne des Gurkenkönigs zu verhindern.
Gleichzeitig erschienen Werke von älteren Autor:innen, die noch die NS- und Kriegszeiten erlebt haben. Darunter war Michael Ende, Jahrgang 1929. Er schrieb 1973 mit „Momo“ einen „Märchen-Roman“ über ein Mädchen, dessen Talent darin besteht, anderen zuzuhören. Otfried Preußler wurde mit Werken wie „Krabat“ und dem „Kleinen Wassermann“ bekannt, sein Debüt fand aber bereits 1944 statt. In der Erzählung „Erntelager Geyer“ schilderte Preußler die fröhlichen Zeiten in der Hitlerjugend, in der er selbst aktiv gewesen war. „Ich kannte sie alle“, sagt Birgit Dankert. Sie verfasste nicht nur zahlreiche Aufsätze und Monografien über Kinder- und Jugendliteratur, sondern war auch in mehreren Organisationen aktiv. So war sie in den 1970er Jahren Vorstandsmitglied des Vereins der Bibliothekare in Öffentlichen Bibliotheken. Später gehörte sie der International Federation of Library Associations and Institutions (IFLA) an. „Und ich war als junge Linke ein rotes Tuch für sie.“
Zeitgeist zeigt sich auch in der Datenbank
Nach ihrem Studium arbeitete die Bibliothekswissenschaftlerin zunächst bei der Büchereizentrale Schleswig-Holstein. „Als Jüngste wurde ich im Sommer als Springerin eingesetzt. Eine schöne Zeit, noch heute kenne ich die Bücherbusse und die kleinen Bibliotheken im ganzen Land.“
Die im Lauf der Jahre erworbenen Kenntnisse setzt Dankert heute für ihr Datenbank-Projekt ein. Sie nimmt die Titel von Monografien auf, aber auch Aufsätze aus Sammelbänden, wie sie etwa am Ende von Kongressen entstehen. Eine Menge Aufwand, schließlich muss die Wissenschaftlerin dazu alle Texte lesen, verschlagworten und eintragen. Dazu gehören auch Fragen, die früher keine Rolle spielten, etwa nach dem Geschlecht von Personen oder die Debatte um Begriffe, die heute als diskriminierend gelten.

Auf diese Weise bekomme „die Datenbank eine historische Dimension“, sagt Dankert. Denn am Wandel solcher Begriffe und den Forschungsfragen ließen sich auch die zeitgeschichtlichen Entwicklungen ablesen. „Einer meiner Mentoren sagte immer: Wer Katalogarbeit nicht mag, hat keine Fantasie.“