Amerikanischer Trend in Kiel: Reading Parties

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Gleichgesinnte Lesebegeisterte kommen zusammen, um alleine zu lesen. Was sich zunächst konträr anhört, ist zurzeit stark im Trend.

Organisatorin Maline Kotetzki liest ein Buch
Organisatorin Maline Kotetzki liest auch mit © Katharina Pawlak

Maline Kotetzki, promovierte Literaturwissenschaftlerin und Betreiberin eines Buchblogs, ist auf den Trend eingegangen und organisiert die sogenannten Reading Parties in Kiel. 

Im Gespräch mit Lisa Naggatz erzählt Maline Kotetzki, was die Reading Parties ausmacht und warum der Trend derzeit so gut ankommt. Sie berichtet auch von den Vorteilen des Lesens, der Gemeinschaft und den Büchern, die unter den Hashtags #bookstagram oder #booktok auf den jeweiligen Plattformen Instagram und TikTok beworben werden.

Lisa Naggatz: Wie kam es dazu, dass Sie Reading Parties veranstalten?

Maline Kotetzki: Auf die Idee kam ich durch meinen Instagram Account girl.with.the.bookshelves, wo ich seit sechs Jahren Bücher, häufig mit einem feministischen Hintergrund, rezensiere. Auf Bookstagram, der Buchsparte auf Instagram, ist letztes Jahr ein Post von der New York Times viral gegangen, in dem es um Reading Parties in New York ging. Diese waren als soziales Event stark im Trend. Darunter haben viele Leute kommentiert, wann denn die ersten Reading Parties in Deutschland stattfinden. Ich habe das repostet und gefragt: Wer möchte das in Kiel organisieren? Es haben sich viele Leute gemeldet, die Lust hatten, auf eine Reading Party zu gehen – aber organisieren wollte das niemand.

Und was ist dann passiert?

Denn habe ich das selbst gemacht. Letztes Jahr habe ich im April eine Reading Party in dem Café Mum&Dad veranstaltet, die ein einmaliges Event sein sollte. Ich dachte: Mal gucken, ob wir den Laden überhaupt vollbekommen. Wirklich alle Plätze waren belegt,  viele haben direkt gefragt, wann die nächste Party stattfindet… So wurde das zum Selbstläufer.

„So wurde das zum Selbstläufer“

Wie häufig veranstalten Sie die Reading Parties jetzt?

Die Reading Partys finden aktuell einmal pro Quartal statt. Die nächste Party wird wahrscheinlich im April oder Mai sein. Jetzt finden die immer im Cobl, einem Co-Working-Café in Kiel, statt, wir haben da wirklich ganz viel Glück mit gehabt. Das Cobl hat eine schöne Dachterrasse – und die Mitarbeitenden denken sich thematisch passende literarische Getränke aus.

Thematisch passende literarische Getränke für die Reading Parties © Katharina Pawlak

Was genau wird denn auf einer Reading Party gemacht? 

Wir treffen uns und bringen alle ein Buch mit. Im Gegensatz zum Buchclub lesen wir aber nicht das Gleiche. Jeder bringt das mit, was er oder sie gerade auf dem Bücherstapel hat.

„Jeder bringt das mit, was er oder sie gerade auf dem Bücherstapel hat.“

Dann sitzen wir für eine bis eineinhalb Stunden zusammen und lesen. Es ist in der Zeit wirklich komplett still. Alle lesen konzentriert für sich. Ich löse das irgendwann auf und dann kommt der zweite Teil – meist mit open-end: Die Menschen können sich unterhalten. Auf den Tischen stehen dafür auch Fragen als Inspiration, aber oft hat man auch so schon genug zu reden.

Alle lesen für sich in Gemeinschaft im Cobl  © Katharina Pawlak

Warum kommt „Let’s read alone together“, wie der Slogan der Reading Parties lautet, so gut an?

Ich glaube, dass während der Pandemie viele Leute zum Lesen gefunden haben, weil das ein sehr zugängliches Hobby ist, das man grundsätzlich eher alleine macht. Jetzt wollen die Leute aber wieder raus und sich austauschen – dafür sind die Reading Parties gut. Man hat ein Thema, worüber man reden kann und man kann relativ leicht neue Leute kennenlernen. Obwohl viele auch zu zweit kommen, erscheinen fast ebenso viele alleine, unterhalten sich denn aber irgendwann in einer Gruppe – und ich weiß, dass schon mindestens ein Buchclub aus unseren Reading Parties entstanden ist. Und zum Beispiel, wenn man neu nach Kiel gezogen ist, kann man auch gut alleine kommen und sich trauen, weil da echt viele nette Menschen sind. Das wichtigste ist, dass man einerseits dieses ruhige Hobby hat und andererseits eine Gemeinschaft.

„Das Wichtige ist, dass man einerseits dieses ruhige Hobby hat und andererseits eine Gemeinschaft.“

Wer besucht die Reading Parties in Kiel hauptsächlich?

Grundsätzlich sind die Parties für alle Menschen offen. Überwiegend kommen jedoch Frauen zwischen 20 und 30 Jahren. Nun spricht sich das auch langsam bei den Männern rum. 

Was liegt auf dem Bücherstapeln der Teilnehmer*innen?

Die Genres sind sehr durchmischt. Viel Fantasy und Romance. Doch es kommt auch viel darauf an, was gerade rausgekommen ist. 

Sind auch viele Bücher dabei, die grad auf Tiktok oder Instagram stark angepriesen werden?

Ein paar hatten Bücher von Emily Henry oder Sarah J. Maas dabei, aber ich würde nicht sagen, dass die Auswahl ausschließlich trendabhängig ist.

Wie finden Sie persönlich diese Trends von Tiktok und Instagram – Geheimtipps oder zu großer Hype?

„Als Geheimtipps würde ich die Trends nicht bezeichnen.“

Als Geheimtipps würde ich die Trends nicht bezeichnen. Die Bücher bekommen dafür eine viel zu große Plattform. Häufig gehören die Influencer zu den Marketingkampagnen der Verlage dazu. Ein paar der Bücher finde ich ganz gut, aber bei anderen kommt die Kritik zu kurz – zum Beispiel Fragen wie „Wäre das eine gesunde Beziehungsform?“

Quasi mit Vorsicht zu genießen. Laut dem statistischen Bundesamt lesen Menschen immer weniger. Könnten Booktok oder Bookstagram nicht eine Möglichkeit sein, damit wieder mehr Menschen lesen?

Es ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite ist es natürlich wundervoll, dass in den sozialen Medien auch Bücher vorgestellt werden, die sonst nicht so eine große Plattform hätten, vor allem aus kleinen Indieverlagen. So bekommen unbekanntere Autor*innen und Verlage eine höhere Sichtbarkeit. Und natürlich wird die Literatur durch Social Media zugänglicher. Man muss sich keine Tageszeitung kaufen und eine Rezension lesen, sondern kann einfach kurz auf seinem Handy gucken, wie andere Leute das finden. 

Was ich jedoch ein bisschen schwierig finde: wenn Bücher ausschließlich gefeiert werden und keine kritische Einordnung erfolgt. Gerade in den Genres Romance oder Young Adult werden häufig Genderstereotype und Beziehungsstereotype transportiert, die nicht weiter hinterfragt werden. 

Insgesamt ist es also schön, dass diese Plattform vorhanden ist, aber man darf den Aspekt des kritischen Lesens nicht vergessen.

Um nochmal zu den Reading Parties zurückzukommen: Letztes Mal haben Sie auch ein Buch-Blind-Date veranstaltet. Was ist das und wie ist es bei den Teilnehmer*innen angekommen?

Bei der vorletzten Reading Party im Dezember haben wir ein Bücherwichteln gemacht, das total gut angekommen ist. Danach habe ich auf Instagram gefragt, was sich die Leute für die nächste Party wünschen. Ganz viele haben gesagt: Noch einen Büchertausch! Da dachte ich mir, dass wir zum Valentinstag ein „blind date with a book“ machen. Im Gegensatz zum Wichteln standen auf den eingepackten Büchern Hinweise, wie Genre oder Tropes. Dann konnte man sich einfach ein Buch nehmen, ohne auf das Äußere zu achten, wirklich nur auf den Inhalt. Das ist richtig gut angekommen. Das ist echt eine schöne Möglichkeit, mal was zu lesen, was man sonst nicht gelesen hätte. Ich glaube, wir machen das jetzt immer so.

„Ich glaube, wir machen das jetzt immer so.“

Eingepackte Bücher für das „blind date with a book“ © Katharina Pawlak

Und haben Sie weitere Zukunftspläne für die Reading Parties?

Für die Reading Parties sind derzeit auch andere Städte, wie Flensburg oder Lübeck, im Gespräch. Da stehen tatsächlich schon konkrete Locations und Termine im Raum. Neue Zielgruppen erschließen und die Reading Parties als soziale Events weiter verbreiten, das sind meine Ziele.

Vielen Dank für das Gespräch!

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