Wikingerdämmerung im Schloss Gottorf

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Schlachtenlärm und Stimmen dringen aus dem Bildschirm: Dort läuft der Kampf um Haithabu als animierter Film ab. Die Darstellung der Menschen, Pferde und Gebäude erinnert an mittelalterliche Malerei und macht eine Epoche lebendig, die „Wikingerzeit“ genannt wird.  „Sie könnte ebenso gut auch Haithabu-Zeit heißen“, sagt Thorsten Lemm. Der Ur- und Frühgeschichtler am Leibniz-Zentrum für Archäologie (Leiza) ist einer der drei Kuratoren der Ausstellung „Wikingerdämmerung“, die seit April im Landesmuseum Schloss Gottorf zu sehen ist.

Die Wikingerzeit könnte auch „Haithabu-Zeit“ heißen

Funde aus Haithabu zeigen die Handwerkskunst der Epoche. Foto: Marcus Dewanger, Landesmuseen Schloss Gottorf

Rund vier Jahrhunderte umfasst die Wikingerzeit. Ihr Beginn liegt am Ende des 8. Jahrhunderts, ein Datum ist 793, der Überfall auf das Kloster von Lindisfarne. Kurz zuvor entstand die Siedlung Haithabu am heutigen Haddebyer Noor und entwickelte sich zu einer großen Handelsmetropole. Das Ende der Wikingerzeit wird auf das Jahr 1066 datiert, das Jahr der Schlacht von Hastings, aber auch das Ende Haithabus. Damals griff ein slawisches Heer den Ort an und zerstörte ihn.

Die Bewohner:innen zogen später auf die andere Seite der Schlei um und gründeten das heutige Schleswig. Den Namen wechselte der Ort übrigens nicht, weiß die Forschung heute: In skandinavischen Dokumenten aus dem Mittelalter werden beide Siedlungen als „Haithabu“ oder „Haidabyr“ bezeichnet, während kontinentale oder angelsächsische Quellen von „Sliaswig“ sprechen.

„Es gibt kein Volk der Wikinger“

Was während dieser vier Jahrhunderte geschah, zeigt die Ausstellung „Wikingerdämmerung“ für verschiedene Bereiche: Macht, Wirtschaft und Religion. Hinzu kommt der Blick auf die Rezeption, das Bild der „Wikinger“. Dabei ist Lemm und seinen Kolleg:innen eines wichtig: „Es gibt kein Volk der Wikinger“, so steht es auch unter einer Vitrine, in der ein altes Schwert ausgestellt wird.

Dieses Eisenschwert aus dem 10. Jahrhundert lag im Hafenbecken vor Haithabu – wer mag es benutzt haben? Foto: Marcus Dewanger

Denn für die Menschen der Wikingerzeit, die in etwa vom achten bis elften Jahrhundert dauerte, bedeutete „Wikinger“ eher eine Tätigkeit als eine Ethnie oder Herkunftsregion: „Wikinger“ war, wer sich an einem Raubzug, einer Eroberungsfahrt beteiligte. „Wenn Menschen die Ausstellung verlassen und diese Information mitnehmen, dann bin ich sehr zufrieden“, sagt Lemm. Seit jeher ranken sich viele Mythen um die rauflustigen Schwertträger aus dem Norden – früher in isländischen Sagas verbreitet, heute in Serien wie „Vikings“. Gegen solche Stereotypen will die Ausstellung anarbeiten.

Vier Forschungsprojekte aus drei Instituten fließen in der „Wikingerdämmerung“ zusammen. Mit dabei sind das Museum Schloss Gottorf, die Kieler Christian-Albrecht-Universität, die Universität Göttingen und eben das Leiza. Deren Generaldirektorin Alexandra Busch erklärt, warum die Ausstellung gerade jetzt ins Museum kommt: „Das Thema hat eine hohe Aktualität, denn es geht um Transformation.“

In der Wikingerzeit wurden Stämme zu Königreichen

Blick in die Ausstellung. Die Umrisse an der Wand zeigen die Größe von Wikinger-Schiffen. Foto: Marcus Dewanger

Zwar dürften die Zeitgenoss:innen die Zeitenwende nicht als solche erlebt haben. Die Transformation passierte eher langsam. Frühgeschichtler Lemm beschreibt, wie sich im Lauf der Zeit aus kleinen Stämmen größere Reiche entwickelten. In ganz Skandinavien, einschließlich dem heutigen Schleswig-Holstein, sah die neue Königsmacht ähnlich aus. So gab es überall Orte namens „Huseby“ oder „Husby“, übersetzt „Häuserdorf“. Hier befanden sich hölzerne Burgen, die der König und sein Gefolge regelmäßig aufsuchten. Dieses Gefolge war ähnlich ausgestattet, sozusagen „uniformierte Reiter“,  bis hin zu Steigbügeln und Trensen, die in der Ausstellung gezeigt werden.

Neben Waffen und Alltagsgegenständen liegen in den Vitrinen der Ausstellung „Wikingerdämmerung“ auch Münzen und Schmuck. Darunter ist der „Morsumer Schatzfund“ von der Insel Sylt. Thorsten Lemm ist besonders stolz auf die Momente der Schau, in denen sich archäologische und geschichtliche Forschungen ergänzen, etwa ein Dokument, das die Reise eines königlichen Gefolgsmanns beschreibt, und Fundstücke, die durchaus von dieser Reise stammen könnten.

Ein echter Schatz: Der Fund von Morsum auf Sylt wird erstmals gezeigt. Foto: Marcus Dewanger

Teppich von Bayeux – mal in Kopie, mal „reloaded“

Zwei optische Prunkstücke stehen am Anfang und Ende der Ausstellung, die im Kreuzstall und der Reithalle des Schlosses gezeigt wird. Auf der Empore der Reithalle hängt eine Kopie des „Teppichs von Bayeux“.  Wie auf einem gewebten Riesen-Comic zeigt der Teppich die Vorgeschichte und den Verlauf der Schlacht von Hastings. Damals fiel der Normanne Wilhelm, der spätere „Eroberer“, mit seinem Heer in England ein und besiegte in der Schlacht von Hastings die Truppen des Königs Harald. In Schleswig sind Fotografien des Originals zu sehen, beinahe in Originalgröße.

Eine moderne Interpretation des Teppichs zeigt die Berliner Konzeptkünstlerin Margret Eicher mit ihrem Werk „Battle: Reloaded“. Auf 30 Metern zeigt ihr Teppich-Bild Lady Gaga, Lara Croft, Lego-Soldaten, die Ninja Turtles und weitere Figuren in einem überdimensionalen Reigen aus Gaming-Szenen, Krieg, Flucht und Vernichtung. Die Künstlerin bezieht sich direkt auf den Teppich von Bayeux, der als kleiner Fries am unteren Rand ihres „Battle: Reloaded“ entlangläuft.

30 Meter Kunst: „Battle: Reloaded“ heißt das Werk von Margret Eicher. Foto: Marcus Dewanger

Die Ausstellung „Wikingerdämmerung“ ist bis zum 2. November in Schleswig zu sehen. Nicht nur im Museum, sondern auch drumherum haben die Wikinger ihre Spuren hinterlassen, zum Beispiel auf einer Ampel in Haddeby. Gibt es noch weitere? Der kulturkanal.sh freut sich über Hinweise!

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