Da war doch was? Irgendwo zwischen GroKo und Geopolitik ist ein globaler Konsens in Vergessenheit geraten: die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, beschlossen mit Blick auf das Jahr 2030. Fünf Jahre bleiben – fünf Jahre, um globale Ungleichheit zu verringern, Klimakatastrophen einzudämmen, Bildungszugänge zu schaffen. Fünf Jahre, in denen Regierungen, Unternehmen und Gesellschaften handeln müssten. Doch der Ton ist leiser geworden, der Zweifel lauter. Und die Zeit knapper.
Was also tun, wenn die große Politik nicht liefert? Vielleicht: klein anfangen. Auf Kreisebene, im Klassenzimmer, mit Geschichten und Farben, mit Zuhören und Erfinden. Genau das versucht ein neues Projekt im Kreis Stormarn. „Aufwind – Kreative Brise“ heißt es.
Was zunächst wie ein charmantes Regionalprojekt aussieht, in dem Kinder Gedichte schreiben und mit Autor:innen basteln, erweist sich bei genauerem Hinsehen als eine ernsthafte kulturelle Intervention. Es geht um Teilhabe – und um ein leises, aber bestimmtes „Wir sind noch da“ aus der kulturellen Bildungsarbeit an die politische Gegenwart.
Elbautor*innen als Impulsgeber*innen
Der Impuls zu diesem Projekt kam aus der literarischen Szene selbst. Barbara Peters, Mitinitiatorin und Sprecherin der Elbautor:innen, erinnerte während der Projektpräsentation an das kulturelle Gefälle zwischen Metropolen und Umland. Anders als in Hamburg oder Lübeck gebe es im Kreis Stormarn kaum vergleichbare Formate. Die Elbautor:innen wollten das ändern – mit einem mobilen, vielgestaltigen Literaturangebot, das mehr ist als bloße Leseförderung.
Einen prägenden Moment bot Barbara Peters, als sie bei der Pressekonferenz zu einer improvisierten „Blitzlesung“ aus ihrem Buch „Zilly & Zapp“ ansetzte. Sie rief die Anwesenden auf, sich vorzustellen, sie seien sechs Jahre alt – und dann folgten Verse, lautmalerisch und gereimt, die von Chaos, Überflutung, Krach und dem Verlust tierischer Lebensräume erzählten: „Riesenmaschinen, unglaublicher Krach. Die Tanne gefällt, Überflutung am Bach. Viele von uns verlieren ihr Zuhaus. Der Adler, die Ameisen. Es ist ein Graus. Die Menschen machen den Mittelwald platt. Wir Tiere haben das so gründlich satt!“ Ein szenisches Gedicht über Umweltzerstörung, das am Ende in die Frage mündete: „Was müssen wir tun?“

Was kindlich klingt, ist alles andere als naiv: Die Verse verdichteten in wenigen Sekunden, worum es im Projekt geht – um Zukunft, Verantwortung und darum, wie Literatur Kinder in die Lage versetzen kann, komplexe Zusammenhänge zu verstehen, zu fühlen und vielleicht sogar zu gestalten.
Kulturarbeit als kulturelles Selbstverständnis
Dass ein Projekt wie Aufwind in Stormarn entstehen konnte, liegt auch an der Kulturpolitik des Kreises. Der Stabsbereich Kultur, direkt dem Landrat zugeordnet, versteht sich explizit als „Initiativgeber, Ideengeber, Berater, Netzwerk, Umsetzer und Koordinator“. Seine Aufgabe: kulturelle Teilhabe fördern, neue Perspektiven ermöglichen, Diskurse anregen. Mit dem Kulturentwicklungsplan von 2019 wurde dieser Anspruch programmatisch untermauert: Kultur als Gemeinschaftsaufgabe und kulturelle Bildung als zentrales Handlungsfeld. Aufwind ist somit nicht nur ein Projekt, sondern Ausdruck eines kulturpolitischen Selbstverständnisses, das umso bemerkenswerter ist in einer Zeit, in der gesellschaftliche Brüche sichtbarer werden: zwischen Stadt und Land, zwischen Bildungsnähe und -ferne, zwischen wachsender politischer Polarisierung und dem Rückzug vieler Menschen aus öffentlichen Debatten. Gerade in solchen Kontexten kann Kultur eine verbindende Rolle übernehmen – als Raum für Austausch, für Teilhabe, für das Erzählen gemeinsamer Geschichten.
Nachhaltigkeit trifft Kreativität
Im Zentrum des Projekts stehen die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN-Agenda 2030 – inhaltlich vermittelt durch kreative Methoden: Mittels Frottage-Technik reiben Kinder Baumrinden ab und entdecken darin Geschichten, sie komponieren Songs über Demokratie, erstellen Podcasts zur ökologischen Lage ihrer Gemeinde. „Was brauchst du, wenn du erwachsen bist?“ lautet eine der Leitfragen in einem Workshop. Barbara Peters hat sie in ihrem Umfeld bereits getestet. Eine schlichte und vielsagende Antwort, die sie bekam: „Frieden“.

Ein Schloss als Bühne
Die Ergebnisse der Workshops werden am 3. Juli 2025 im Kulturzentrum Schloss Reinbek präsentiert. Dort, wo sonst Hochzeiten gefeiert werden, treten dann Grundschüler:innen mit Comics, Gedichten und Musikperformances auf. Flankiert wird das Festival von einem Markt der Möglichkeiten, einem Schüler:innen-Catering – natürlich nachhaltig –, und offenen Mitmachaktionen. Ob sich dadurch tatsächlich eine nachhaltige Wirkung entfalten lässt, bleibt offen. Aber sichtbar wird: Hier entsteht ein kultureller Möglichkeitsraum.
Aufwind ist ein Modellversuch, Kultur als Querschnittsaufgabe zu denken: zwischen Bildung, Nachhaltigkeit, regionaler Identität und literarischer Praxis. Dass dabei auch etwas Pathos mitschwingt, gehört zum Genre. Mit einem Augenzwinkern formulierte es Landrat Dr. Henning Görtz bei der Projektvorstellung so: „Wenn eines Tages ein Literaturnobelpreisträger aus dem Kreis Stormarn kommt, dann vielleicht auch dank dieses Projekts.“ Ob das übertrieben ist? Vielleicht. Aber Kulturarbeit braucht manchmal Visionen – gerade dann, wenn die große Politik kaum noch welche zu bieten hat.
Mehr über das Projekt Aufwind erfahren Sie auf kultur-in-stormarn.de und in der Broschüre:
Hier geht´s zur Website der Elbautor*innen
Die 17 Ziele finden Sie auf https://17ziele.de/.