Vergangenen Freitag um 12:36 Uhr war es so weit: Die Abgeordneten des Bundestages stimmten mit großer Mehrheit der Neufassung des Familien- und Geburtsnamensrechtes zu. Damit wurde eine Gesetzesreform beschlossen, die unter anderem gemeinsame Doppelnamen von Ehepartnern und deren Kindern zulässt sowie im Hinblick auf Patchworkbiographien eine weitgehende Liberalisierung in der Führung von Familiennamen ermöglicht. Neben dieser grundlegenden Reform für die breite Bevölkerung enthält das Gesetz jedoch eine kleine juristische Sensation, die auch für Nordfriesland bedeutsam ist: Es werden zukünftig ebenfalls Namensgebungen erlaubt, die aus friesischer, sorbischer und dänischer Tradition stammen. Der Direktor des Nordfriisk Instituut in Bredstedt, Christoph G. Schmidt, hat die Debatte von der Tribüne aus verfolgt: „Ein wahrhaft historischer Moment: Bundesregierung und Bundestag erkennen an, dass es hierzulande Rechtsgewohnheiten gab, die in ihrer Region älter sind als die deutschen, und beschließen, diese nun auch wieder anzuwenden. Das kann man aus Sicht einer autochthonen Gruppe wie den Friesen kaum hoch genug einschätzen“.
Fast alle Rednerinnen und Redner betonten vor der Abstimmung ebendiese Besonderheit als wichtiges Element der Gesetzesvorlage. Johann Saathoff (SPD), im Bundesinnenministerium, brachte seine Sicht als Abgeordneter aus Ostfriesland auf den Punkt: „Was für uns nur ein kleiner Passus in einem Artikelgesetz und dann im Bürgerlichen Gesetzbuch ist, bedeutet für viele Menschen die Möglichkeit der Rückkehr zu ihren Wurzeln.“ Stefan Seidler (SSW) ergänzte während der Aussprache: „Unsere Leute können jetzt so heißen, wie sie wirklich heißen, und müssen nicht in ein enges Verwaltungsraster passen.“ Helge Limburg (Bündnis 90/ Die Grünen) stellte zudem klar, dass auch für das Namensrecht das Prinzip der Bekenntnisfreiheit gelte – bei Beratungen im Vorfeld hatte es hierzu Irritationen gegeben, als es um die Frage ging, wer denn die neuen Regelungen in Anspruch nehmen dürfe.
Feste Familiennamen oder patronymes Namensrecht?
Das deutsche Namensrecht beruht derzeit auf dem System, dass es feste Familiennamen gibt, welche über Generationen unverändert weitergegeben werden; Kinder tragen also denselben Nachnamen wie ihre Eltern oder wie zumindest ein Elternteil. Das patronyme Namensrecht dagegen, wie es unter anderem jahrhundertelang für die Fries:innen (und teilweise auch im niederdeutschen Sprachraum) typisch gewesen ist und heute noch in Teilen Nordeuropas Anwendung findet, führt nach sehr stringenten Regeln dazu, dass Kinder andere Nachnamen tragen als ihre Eltern. In der Regel erhielten Kinder als Zweitnamen den Vornamen des Vaters mit einer Genitivendung. In Nordfriesland gebräuchlich waren hierbei vor allem die Endungen -s, -en und -sen. Peter Hansens Sohn heißt entsprechend nicht Sören Hansen sondern Sören Peters oder Petersen. Viele heutige Familiennamen der Region sind so entstanden; in Ostfriesland gab es daneben auch die Endungen -a, -ena, -inga oder -ma.
Bereits 1771 hatte der dänische Staat versucht, im Herzogtum Schleswig feste Familiennamen vorzuschreiben, anscheinend vergeblich. Denn 1812 wurde in einer Gottorfer Verordnung erneut festgelegt „niemand soll den von seinem Vater erhaltenen Geschlechts-Namen eigenbeliebig zu verändern befugt sein“. Ähnlich in Ostfriesland: 1811 wurden unter Napoleon feste Familiennamen vorgeschrieben, aber auch die Ostfriesen ignorierten dies. So beklagt der Auricher Landdrost von Wisch 1826 „dass die Landleute und geringen Leute in den Städten in Ostfriesland auf die Erhaltung ihrer Familiennamen wenig halten, vielmehr willkürlich damit wechseln“. Dabei hatte das gewohnte System seinen Sinn und war nicht beliebig: Broder Caspersen ist eben der Sohn von Casper; weshalb aber sollte sein Sohn ebenfalls „Caspersen“ genannt werden, wenn er doch de facto „Brodersen“ ist? Es gibt einige Belege dafür, dass friesische Kinder bei der Taufe mit dem formal korrekten „Geschlechtsnamen“ eingetragen, später aber unter ihrem patronymen Namen konfirmiert wurden.
Endgültig zum Erliegen kam die althergebrachte Sitte für Nord- wie für Ostfriesland dann gleichzeitig im Deutschen Kaiserreich: 1874 wurden in Preußen und damit in beiden Frieslanden Standesämter eingeführt, Kirchenbücher verloren an Bedeutung; 1876 bestimmte ein Reichsgesetz, dass das Personenstandswesen nunmehr Behörden- und nicht mehr Kirchensache war. Damit entfiel die persönliche Nähe und der Deutungsspielraum der Pastoren, bürokratische Korrektheit und Verwaltungsdenken traten an deren Stelle. Nur vermeintlich ging es dabei um Eindeutigkeit – denn eine solche war auch bei dem älteren System gegeben, wurde aber offenbar von den entscheidenden Stellen nicht begriffen.

Der Direktor des Nordfriisk Instituut, Dr. Christoph G. Schmidt, überbrachte Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann (links) ein herzliches „foolen tunk“ für die Gesetzesänderung. (Foto: Henning Heinemann, BMJ)
Initiative des Nordfriisk Instituut
Dass die friesische Tradition überhaupt berücksichtigt wurde, geht zurück auf eine Initiative des Nordfriisk Instituut. Vor etwa fünf Jahren hatte Institutsdirektor Schmidt zufällig mitbekommen, dass eine Reform geplant ist und dass von sorbischer Seite aus bereits entsprechende Wünsche eingebracht worden waren. „Da lag es nahe, dies nun auch für die friesischen Konventionen zu versuchen – schließlich haben in den letzten Jahrzehnten wiederholt Personen aus Ostfriesland dieses Recht eingefordert und durch Einzelfallentscheidungen auch vor Gericht durchsetzen können. Jetzt steht endlich und offiziell fest, dass dieses Recht jedem Menschen zusteht, der sich als Friese oder Friesin sieht“, so Schmidt. Die politische Situation sei aktuell einfach günstig gewesen: Alle übergreifenden friesischen Verbände und Einrichtungen, vom Friesenrat Nord und Ost über den saterfriesischen Seeelter Bund bis hin zur Ostfriesischen Landschaft, hätten vor knapp einem Jahr die entscheidende Eingabe in seltener Einmütigkeit mit unterzeichnet. Bundestagsabgeordnete aus allen friesischen Wahlkreisen zeigten sich offen und unterstützten das Ansinnen parteiübergreifend, und im Hintergrund habe das Minderheitensekretariat unter seinem damaligen Leiter Gösta Nissen immer wieder die nötigen Informationen besorgt, Impulse gesetzt und Kontakte hergestellt.
„Eines freut mich aber ganz besonders“, so Schmidt: „In einer Notiz hatten wir vorgeschlagen, auch die Möglichkeit vorzusehen, ein Matronym zu führen, also den Vornamen der Mutter mit einer entsprechenden Endung – dass dieses Detail nun tatsächlich so umgesetzt worden ist, ist einfach großartig! Friesische Identität ist eben nichts Rückwärtsgewandtes, sondern lebendig und modern.“
Quelle: Nordfriisk Instituut