Mythen über Wikinger sind vor allem, aber nicht nur, in der rechtsextremen Szene beliebt. Das Bild von starken kriegerischen Männern, blond und hochgewachsen, hält sich hartnäckig und findet seinen Weg auch bis heute in die Popkultur.
Dr. Matthias Toplak leitet das Wikinger Museum Haithabu bei Schleswig. Im Gespräch mit ihm und anhand von Stücken aus der Ausstellung zeigen wir: Was für Vorstellungen von Wikingern gibt es, was verraten uns Schiffe, Münzen und DNA-Sequenzen über die Wirklichkeit?
„Wir projizieren immer unsere heutigen Vorstellungen in die Vergangenheit. So wird der Wikinger immer zu dem gemacht, was man gerade braucht“, erzählt Toplak. Und das bereits, während die Wikinger noch gelebt haben: Christliche Mönche prägen mit ihren Erzählungen als erste das Bild der Wikinger, ähnlich den römischen Berichten über germanische Stämme.
Krieg und Handel

Die Wikinger waren alle Krieger? Das ist falsch und richtig zugleich. Denn tatsächlich bezeichnete der Begriff Wikinger keine ethnische Gemeinschaft, sondern Seeräuber, also Menschen, die Küstenorte überfielen und plünderten. Ähnlich wie der Begriff Germanen wird er aber nach wie vor für alle verwendet, die zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Gebiet gelebt haben, im frühen Mittelalter im nördlichen Europa. Diese Menschen haben sich aber gar nicht als Gemeinschaft verstanden. Erst der Blick von außen fügte sie zusammen.
Die Menschen in Haithabu haben sich nicht als Wikinger bezeichnet, berichtet Toplak. Die meisten von ihnen betrieben Handel. Denn Haithabu, die größte Siedlung Skandinaviens, war ein Seehandelsplatz. Im Sommer lebten hier 2.000 bis 3.000 Menschen, im Winter nur einige Hundert, weil die Bevölkerung zurück auf die umliegenden Höfe zog.
Höfe und Handel, das passt gar nicht zu dem nationalromantischem Bild vom archaisch-rebellischen Krieger, der in Felle gehüllt und mit nacktem Oberkörper auf dem Schlachtfeld unterwegs ist. Tatsächlich, erzählt Toplak, haben Wikinger sogar Seide getragen – durch den Handel mit Asien erworben.
Toplak überträgt das Konzept des „Edlen Wilden“ auf den Mythos rund um die Wikinger: eine Vorstellung von zwei Gesellschaften, der zivilisierten und der naturnahen. Sie wurde häufig von Kolonialmächten verwendet, zum Beispiel in Nordamerika , um die dortigen Natives als ursprünglich, naiv, unschuldig darzustellen.
Wobei Rechtsextreme auch gerne das Kämpferische, weniger Unschuldige der Wikinger betonen: Georg Schuppener beschreibt in Verfälschung. Mythen im Rechtsextremismus, wie rechtsextreme Musiker, die sich auf den Gott Odin beziehen, stets dessen Neigung zu Gewalt und Kampf betonen – aber nie, dass er außerdem als Vater der Dichtkunst galt.

Georg Schuppener: Verfälschung. Mythen im Rechtsextremismus. Kleines Mythologisches Alphabet.
Herausgegeben von Elmar Schenkel und Stefanie Jung.
Leipzig: Edition Hamouda.
97 Seiten, 10 Euro
ISBN: 978-3-95817-033-9
Blond und blauäugig
Dass sich Rechtsextreme auf Wikinger beziehen, ist nichts Neues. Das zeigt auch die Geschichte der Forschung am Museum in Haithabu, der dort ein eigener Raum gewidmet wird. Im Nationalsozialismus wurde „hier viel Budget reingebuttert“, erzählt Toplak. Die Grabungen standen seit 1934 unter der Schirmherrschaft von Heinrich Himmler, anfangs finanziert durch die Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe. Insbesondere der Archäologe Herbert Jankuhn beteiligte sich an der Suche nach einer vermeintlich germanischen Identität. Blond und blauäugig, groß und stark, sollten die Wikinger sein. „Zentraler Begriff der rechtsextremen Ideologie ist das Volk, das als eine ursprünglich genetisch reine Einheit verstanden wird“, heißt es in dem Mythen-Buch von Schuppener.

Doch die Wikinger waren gar keine solche Einheit. Durch den Handel, teils über sehr weite Strecken, lernten sie andere Kulturen kennen. Austausch gab es zum Beispiel mit „Franken, Slawen, Sachsen, Friesen“, betet Toplak wie ein Mantra herunter. Das zeige sich an den unterschiedlichen Grabbeigaben und Bestattungssitten. „Die Wikinger haben ihre eigene Kultur gepflegt, aber mit Einflüssen von anderen Menschen und Waren.“

Doch die Gräber allein sagen noch nichts über das Aussehen der Wikinger aus. Eine DNA-Studie ist da aufschlussreicher: Eine Nature-Studie von 2020 untersuchte die genetischen Daten von 442 Menschen. Deren Überreste stammten aus dem Zeitraum zwischen 2400 vor bis 1600 nach Christus, aus Gräbern in dem gesamten Wikingergebiet. Das Ergebnis: Die Wikinger waren keine homogene Menschengruppe. Sie hatten Vorfahren aus Südeuropa und aus Skandinavien, samische und europäische DNA. Und, wie eine andere Analyse zeigt: Noch im Mittelalter waren skandinavische Männer durchschnittlich 1,73 Meter groß – und damit genauso groß wie andere Europäer.
Wikinger Museum Haithabu. Haddebyer Chaussee B76, 24866 Busdorf. Öffnungszeiten: Di – So, 11 – 16 Uhr.
Sie wollen mehr über Wikinger erfahren? Wir berichten in der nächsten Zeit bei kulturkanal.sh ausführlich über das Thema.