KUNST IN DER PAMPA, BABY!

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Ohne vielfältige Vereinslandschaft und ehrenamtliches Engagement wäre es wohl recht öde in einigen Zipfeln des Landes. Für künstlerisches Geschehen, Bewegung und Austausch im Amt Geltinger Bucht sorgt der Verein Kunst für Angeln e.V. seit seiner Gründung im Jahr 2022. Jetzt gibt´s Kunst in der Pampa, Baby!

Wittkielhof im Sommer
© KUNST für ANGELN e.V.

KUNST FÜR ANGELN E.V.

Anfang April wurde auf dem Wittkielhof nun die inzwischen fünfte Kunstausstellung zwischen Wiesen und Feldern in einer Scheune eröffnet. Ingrid Roosen-Trinks ist die Initiatorin des Vereins und Kunstsammlerin. Kunst unter die Leute zu bringen und darüber miteinander ins Gespräch zu kommen, bereitet ihr offenkundig Freude.

Einen ungewöhnlichen Anblick bilden schon die vielen Autos, die dicht an dicht am schmalen Zufahrtsweg zum Hof stehen und wie Fremdkörper von der Landschaft umsäumt werden. Hier scheint ganz schön was los zu sein. Ein paar Schritte weiter umrahmt dann der landschaftstypische Angelner Dreiseithof von 1850 das bunte Publikum, das sich aufgemacht hat, um hier zwischen Wiesen und Feldern in einer Scheune Kunst zu erleben.

Zur Verortung I: Wittkiel gehört zur Gemeinde Stoltebüll und ist etwa zehn Autominuten nordwestlich von Kappeln entfernt. Drei Dörfer weiter findet sich das Dorf Wagersrott, das an einem Wochenende im Sommer ebenfalls zum Publikumsmagneten mutiert, wenn das Enzo-Festival „ruft“.

„Rufen“ – zum Beispiel mit dem Ausstellungstitel „INSTA ME, BABY!“ –, damit die Menschen den Weg zur Kunst finden – das macht auch Ingrid Roosen-Trinks. Und ihr Ruf findet Gehör, wie sich auf der gut besuchen Vernissage zeigt. Das Netzwerken scheint eins ihrer Talente zu sein. Zum Netzwerken gehören die „lauten“, öffentlichen Events, wie die Vernissage, aber auch die leiseren, persönlichen Begegnungen, die sie sowohl mit den Kunstschaffenden als auch mit den Kunstkonsumierenden sucht.

Sammlerin Ingrid Roosen-Trinks mit Werken (v.l.n.r) aus ihrer Sammlung (Daniel Mohr, Malte Urbschat, Nicole Hollmann und Willem Grimm) © KUNST für ANGELN e.V., Foto: Nicole Hollmann

„Der Verein KUNST für ANGELN möchte die Region um zeitgenössische Kunst bereichern und die Menschen vor Ort aktiv einbinden. Die Sammlung Roosen-Trinks soll nicht wie ein UFO landen – kein Fremdkörper sein – stattdessen möchten wir sukzessive Formate für die Region entwickeln. Wir werden gemeinsam mit Künstler*innen und Kurator*innen auch neue Projekte konzipieren. Es geht aber weiterhin um Begegnungen und Austausch, wie auch zuvor in Berlin“, wird Roosen-Trinks auf der Webseite des Vereins zitiert.

Inzwischen ist die einstige Ferienkate von Roosen-Trinks zu ihrem Hauptwohnsitz geworden. Ihre etwa 600 Werke umfassende Sammlung hat sie aus der Hauptstadt mit aufs Land gebracht, um sie hier der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ihre Sammelleidenschaft begann Anfang der 1970er-Jahre. Seit 2022 werden Werke aus der Roosen-Trinks-Sammlung in je zwei Ausstellungen pro Jahr in der eigens dafür angemieteten Scheune auf dem Wittkielhof präsentiert, mit Leihgaben kombiniert und zu wechselnden Themenfeldern kuratiert.

DIE AUSSTELLUNG

Die aktuelle Ausstellung wurde von der dänischen Künstlerin Anita Fogh Madsen und dem Flensburger Künstler Henrik Becker kuratiert. Denn auch das ist der Sammlerin ein Anliegen: Grenzen zu überwinden.

INSTA ME, BABY! bietet laut Pressemitteilung „die Möglichkeit zur Reflexion, wie sich Kunst und digitale Welten gegenseitig beeinflussen. Die Ausstellung fordert die Besucher:innen auf, kritisch über den Einfluss der digitalen Welt und unser soziales Miteinander nachzudenken“.

Die Ausstellung wirkt knallig und jung, sie gibt den Bildern Raum, und verrät ansonsten wenig. Knallig, jung, Bilder – das klingt auch ein bisschen nach Instagram. Aber: Die Ausstellung bringt uns zurück zum Echten, zum Kontemplativen.

Keine Titel, keine Namen sind auf den Wänden zu finden. Nur feine Ziffern verweisen im Zusammenspiel mit dem Handzettel „Ausstellungsliste“ auf die Künstlernamen. Informationen lassen sich suchen. Der „schnelle Scroll-Rhythmus“, von dem Chili Seitz später in der Talkrunde spricht, greift hier nicht. Wir werden ein Stückweit entschleunigt, begegnen Werken, Menschen und geraten wie von selbst in Interaktion.

Interaktiv geht es übrigens auch bei der „Work in Progress“-Arbeit von Henrik Becker zu. Die großformatige Leinwand hat der Künstler zu 50 Prozent gefüllt, die weitere Gestaltung überlässt er dem Publikum während der Ausstellung. In Interaktion treten sollen die Besucher natürlich auch auf Instagram. Dazu gibt ein HOW TO: INSTA ME, BABY!- Aufsteller genaue Anleitung in vier Schritten und fordert dazu auf einen Instagram-Post zur Ausstellung in die Welt zu schicken. Schritt eins lautet „Suche und finde dein Lieblingskunstwerk“. Ich schwanke zwischen Nummer 36 und Nummer 41.

Nummer 36 ist von Thorsten Brinkmann und Nummer 41 von Margarita Broich – und das ist, wie ich später bei der Recherche feststelle, die Schauspielerin, die als Frankfurter „Tatort“-Kommissarin Anna Janneke bekannt ist. Vor der Schauspielerei studierte sie Fotodesign und arbeitete als Theaterfotografin bei Claus Peymann in Bochum.

Margarita Broich: Clemens Schick, Salzburg, 2008, Fotografie,

Courtesy KUNST für ANGELN e.V. / Sammlung Roosen-Trinks,

© Margarita Broich

Bild Nummer 36 ist vom Hamburger Künstler Thorsten Brinkmann. Die Figur „trägt“ eine quietschgelbe Tasche auf dem Kopf, ihre Haltung wirkt verdreht bis unmöglich. Hier stimmt nichts und irgendwie auch alles. Ich mache ein Selfie mit ihr – und poste es nicht.

Thorsten Brinkmann: Telmche, 2021, C-Print, 72×54 cm,

Courtesy of KUNST für ANGELN e.V. / Sammlung Roosen-Trinks,

© Thorsten Brinkmann/VG-Bild-Kunst Bonn, 2023

DIE TALKRUNDE

Ein weiterer Programmpunkt auf der Vernissage war die interessant zusammengesetzte Talkrunde, in der Psychiater und Künstler über Einflüsse der „Neuen Medien“, eigene Erfahrungen und Selbstvermarktung sprachen. Eigentlich sollte TV-Moderatorin Inka Schneider durch das Gespräch führen. Aber manchmal kommt es anders als geplant. Schneider musste kurzfristig absagen und Roosen-Trinks übernahm gekonnt die Moderation. Ja, gekonnt: In ihrer beruflichen Laufbahn war Roosen-Trinks unter anderem Moderatorin bei Radio Hamburg und baute zudem den Sender Klassik Radio mit auf. Als einleitende Anekdote erzählt sie davon, dass der Verein die Vernissage von einer Influencerin begleiten lassen wollte und die Idee schnurstracks verwarf als das Honorar mit 4.000 Euro beziffert wurde.

Talkrunde mit
Ingrid Roosen-Trinks, Chili Seitz, Thomas Lunau, Henrik Becker, Frank Helmig und Hauke Staats (v.l.n.r.)
Foto: Dierks

In der Runde sitzen die beiden Chefärzte Dr. Hauke Staats, Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie „Villa Paletti“, Flensburg und Dr. med. Frank Helmig, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in den Ameos Kliniken in Preetz und Kiel. Von Seiten der Kunst sind Chili Seitz aus Kiel, Henrik Becker aus Flensburg und Thomas Lunau aus Sønderborg Teil der Talkrunde.

Hauke Staats macht direkt zu Beginn des Gesprächs klar: „Das Risiko durch Social Media liegt nur bei drei Prozent für Kinder und Jugendliche.“ Wie bei allem gehe es um die „richtige Dosierung“, und das gelte nicht nur für neue Medien, sondern auch schon fürs Fernsehen. „Wesentlich ist: Es braucht Begleitung“, so Staats weiter. Frank Helmig bringt den Unterschied zu den alten Medien aufs Tableau: „Heute kriegt man so viel Response – und das ja sofort. Tatsächlich steuert das, was kurzfristig ist, unser Verhalten.“ Auch er betont, dass für gewöhnlich alles Neue erst einmal Skepsis auslöse und spannt den Bogen zur Kunst als er sagt: „Um Applaus ging´s ja schon immer in der Kunst.“

„Bei Kunst? Da geht es nicht um Gefallen-wollen!“, macht Chili Seitz deutlich. Andererseits weiß sie um den Wirkmechanismus von dem die Mediziner sprechen: „Wenn ich etwas gepostet habe, gucke ich auch ständig… Das gefällt mir nicht an mir.“ Für Seitz ist Instagram ambivalent, Fluch und Segen zugleich. „Die Tiefe einer Arbeit ist nie über diesen schnellen Scroll-Rhythmus erfahrbar“, hier zähle nach wie vor das Live-Erlebnis, das auf Instagram „nicht erreichbar ist“. Als nützlich empfindet sie die Plattform dennoch: „Instagram ist wie eine Erweiterung der eigenen Webseite. Ja, so wie die News-Kategorie, nur zugänglicher.“

Chili Seitz vor einem ihrer Werke in der Ausstellung

Foto: Dierks

Zwischen Nicht-echt-sein und Business-Tool zur Verkaufsförderung betrachtet auch Henrik Becker Instagram. Irgendwie will er „nicht dazu gehören zu dieser Flut an Leuten“, denn der „Feed ist überschwemmt mit Mist, mit blöden Videos, mit allem“. Für ihn ist Instagram auch „dieser ständige und stetige automatisierte Vergleich mit anderen“. Andersrum: Diese aktive Suche nach Zuspruch, die kenne er auch. „Dabei, eine Ausstellung zu promoten und dabei, schnell viele Leute zu erreichen“, ist die Präsenz auf der Plattform für Becker wiederum hilfreich.

Thomas Lunau meint hingegen er sei „nicht aktiv genug“ auf Instagram. Und wirft die Frage auf: „Vielleicht ist es auch gefährlich, es nicht zu nutzen? Instagram – das sind Bilder. Also, warum nicht?“ Becker ergänzt einen weiteren Vorteil als er sagt: Die Plattform ist demokratisch. Und das mehr als eine Galerie.“ Daraufhin antwortet Seitz: „Ja, demokratisch. Aber der Algorithmus ist ´ne Bitch.“

Ob die drei Künstler in einer Galerie vertreten seien, will Roosen-Trinks daraufhin wissen. Alle verneinen. Also müssen sie sich selbst vermarkten. Die Kunstsammlerin fasst zusammen: „Instagram kann ein positives Begleitmedium sein und ist als Lockmittel, als Einlader, als Neugierig-Macher willkommen. Wir wollen das hier nicht verteufeln und es ist auch keine Welle, die wieder vorbei geht.“

Zum Abschluss der Runde fragt sie die beiden Mediziner nach Tipps. Helmig hat kurz und prägnant folgenden parat: „Das Therapieziel ist flexible Kontrolle“ und muntert dazu auf den neuen Medien mit einem gesunden Maß zu begegnen, sie weder zu verteufeln noch zu vergöttern. Staats liefert einen Tipp, der in gewisser Weise für positive Irritation sorgt: „Digital Natives haben eine Art `neues Lesen´ gelernt. Und hier können wir von den Jugendlichen lernen. Auf Fake News fallen nicht die 18-Jährigen rein, da fallen die 40-Jährigen drauf rein! Nein, fürchten müssen sich höchstens die Alten.“

Zur Verortung II: Abschließend muss noch ein Kommentar zur Verortung sein. Die Verortung von Angeln als „nördlichste Ecke Schleswig-Holsteins“, die in Fernsehbeiträgen und Presseberichten des Vereins zu oft erklingt, mag aus der Großstadt-Perspektive ungefähr hinkommen. Beim schleswig-holsteinischen Publikum erzeugt der konstruierte Superlativ aber Kopfschütteln statt Aufmerksamkeit. Ein denkbar schlechter Marketing-Trick – und das ist ausgesprochen schade, denn: Dieser Verein mit dieser engagierten und energievollen Frau an seiner Spitze hat das Erhaschen von Superlativen schlichtweg nicht nötig.

Termine und Rundgänge

INSTA ME, BABY!
Wittkielhof, 24409 Wittkiel (Gemeinde Stoltebüll)

AUSSTELLUNGSBESUCH (ANMELDUNG ERFORDERLICH)
Noch bis zum 05. Mai 2024!
Auf Terminvereinbarung führt die Sammlerin persönlich durch die Ausstellung.
Anmeldungen sind per Mail an visit[at]kunstfuerangeln.de möglich.

AUSSTELLUNG IM KINDER KUNST CLUB ANGELN
TAG DER OFFENEN TÜR / OPEN HOUSE am Sonntag, 14. April 2024 um 14:00 Uhr
Die Ausstellung läuft ebenfalls noch bis zum 05. Mai 2024 und kann nach vorheriger Anmeldung besichtigt werden: visit[at]kunstfuerangeln.de

KINDERWORKSHOP (ANMELDUNG ERFORDERLICH)
mit der Künstlerin Nele Engler: 28. April 2024
Anmeldungen sind per Mail an visit[at]kunstfuerangeln.de möglich.

INSTA ME, BABY!
OPEN HOUSE zur Finissage: Sonntag, 05. Mai 2024, ab 14:00 Uhr

Alle Angebote des Vereins sind kostenlos.

AUSBLICK
Herbstausstellung „PHOTOGRAPHY ART – IKONEN DER FOTOKUNST“
vom 29. September bis zum 27. Oktober 2024

Weitere Informationen: kunstfuerangeln.de

Zum Artikel im Handelsblatt vom 15.08.2022

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