Schorsch Kamerun (Teil 2): Des Punkes Kern

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Die frühe Punkszene der Bundesrepublik war überschaubar. „Am Anfang waren wir unter uns, da war kein Scheinwerfer drauf. Es interessierte einfach keinen“, erinnert sich Schorsch Kamerun. Bei Konzerten lernte man sich kennen, es entstanden Freundschaften, nach und nach überregionale Netzwerke. Strukturen schuf man sich selbst mit Fanzines, mit Veranstaltungsorten.

Der „Schrecken des Alltags“

„Ende der 1970er Jahre wurden Punknächte in der Markthalle in Hamburg organisiert, da habe ich zum Beispiel Campino kennen gelernt. Er hatte eine Lederhose an, spielte Trompete und sang mit seiner damaligen Band ZK Heimweh von Freddy Quinn – was echt geil war! Das Original lief in unserer Jugend im Radio rauf und runter. Das war der Schrecken des Alltags, wie Rolf Dieter Brinkmann es wahrscheinlich nennen würde. Wir sind dem mit Ironie begegnet und haben ihn auf die Spitze getrieben. Die Toten Hosen hatten später den Wahren Heino bei ihren Konzerten dabei.“

Blau blau blau blüht der Enzian grölende Punks. Die Unterlassungsklage des echten Heino schaffte es damals bis in die Tagesschau. Kameruns Band Die Goldenen Zitronen trat auf einem Benefizkonzert für den Wahren Heino auf, um den Betrag der Strafzahlung zusammenzubekommen.

Das Debutalbum der Goldenen Zitronen Porsche, Genscher, Hallo HSV erschien 1987. Im Dreiklang des Albumtitels verdichtet sich – mit leicht norddeutschem Einschlag – die ganze gefühlte autoritäre Piefigkeit der bundesrepublikanischen 1980er Jahre. Der „Schrecken des Alltags“ wird auch hier ironisch gebannt: Da wird Im Dorfkrug zur Füerwehrkapell „dat Danzbeen“ geschwungen und im melancholisch gehaltenen Ich vermisse Dich die unglückliche Liebe zum „Skinheadmädchen“ besungen (… Denn ich denke an das Mädchen mit den kahl geschorenen Haaren. / Und ihre Faust, die mich berührte …).

Dem allerorts propagierten Bild von starker, autoritärer Männlichkeit verweigert sich das ebenso wie den geschlechtlichen Rollenerwartungen. Die St. Pauli Boys „sind allein zu schwach“, wie die St. Pauli Girls im gleichnamigen Song feststellen. Die Abbildung auf der Rückseite des Albums zeigt die Bandmitglieder verdroschen in der Ecke liegend. Eine Coverversion des Alphaville-Hits Forever young (Für immer Punk) avancierte zur Hymne der Szene, als Gäste wirken hier unter anderem Die Ärzte, Die Toten Hosen und sogar Alphaville-Sänger Marian Gold selbst mit.

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Vom „Theater-Erdbeben“ und der ästhetisierten Authentizität

Ebenfalls 1987 macht Schorsch Kamerun mit der Inszenierung des Romans Andi Z. eine seiner ersten Theatererfahrungen. „Andi Z., das war wie Christiane F. Wir Kinder vom Bahnhof Zoo ein Stern-Buch. Die Zeitschrift Stern hatte irgendwann begonnen, die Straße in die Wohnzimmer zu bringen, mit Fotoreportagen aus Armenvierteln in der Welt, und eben mit diesen Romanen. Das war ein Stück ästhetisierte Authentizität“, erzählt Kamerun. „Und das kam auf die Theaterbühne. Andi Z. aus Barmbek, Schläger, HSV-Fan und Gangmitglied. Die zogen durch die Straßen und verprügelten alles, was ihnen nicht passte: Brillenträger, Langhaarige, Punker. Das war in Hamburgs Straßen Realität damals. Andi Z. – mein erster Theaterbesuch nach der Schule. Ich kannte die Neubauten [gemeint ist die Band Einstürzende Neubauten], deswegen bin ich hingegangen.“ Im Hamburger Schauspielhaus inszenierte Peter Zadek den Roman über den jugendlichen Schläger, der in der allgemeinen Gewalt schließlich selbst den Tod findet, als Rock-Musical mit der Band Einstürzende Neubauten. In einer Kritik von Urs Jenny im Nachrichtenmagazin Der Spiegel hieß es damals: „Ein Theater-Erdbeben. […] von Musical-Glamour und -Schmiß will dieser Bilderbogen voll vorstädtischer Durchschnitts-Kümmerlichkeit nichts wissen. Zadek motzt die Welt, die er zeigt, nicht mit Exotik auf. Da ist der kränkelnde Rentner Kalinski, der die Rocker mag, obwohl sie ihm seinen Dackel abgemurkst haben; da hängen Omi und Opa mit Kissen unter den Ellenbogen im Fenster und überschauen ihr kleines Revier, dessen Schönstes ein paar Blumenkübel aus Waschbeton am U-Bahn-Schacht sind; da lungert dieser Pulk von Jungen und Mädchen herum, denen die eigene Zukunft schon keine Frage mehr wert ist; da ist der Kioskbesitzer Heise samt Frau und Tochter und Schäferhund, kein fletschender Law-and-order-Typ, bloß auch ein vom Leben Überfahrener, der einmal durchdreht; da schleppt Andis Mutter ständig Plastiktüten voll Bierdosen, längst zu zerknickt und schwach, um dazwischenzugehen, wenn ihr Liebhaber auf die Kinder einschlägt; da sind eine scheißliberale Lehrerin und ein Jugendfürsorger voll klebriger Toleranz; und da ist Andi, den man weder liebt noch braucht. Was soll er denn sonst werden wollen als Rocker?“

Schorsch Kamerun, Foto: Sandra Then-Friederic

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Punk werden wo andere Urlaub machen

Naivität in der Gesellschaft des Spektakels

Bis zu Kameruns erster eigener Regiearbeit sollten noch ein paar Jahre vergehen: „So richtig zum Theater gekommen bin ich erst später, durch die Dramaturgin Stefanie Carp, irgendwann Mitte der 1990er. Sie wurde für mich so etwas wie eine Mentorin. Für eine Inszenierung von Christoph Marthaler am Schauspielhaus wollte sie einen Text von uns. Später durften Rocko Schamoni und ich zusammen die Musik für Ein Sportstück von Elfriede Jelinek machen. Und schließlich bat sie mich, selbst ein kleines Theaterstück zu versuchen, über den Roman Die Palette von Hubert Fichte. Im Jahr 2000 wurde Stefanie dann Co-Intendantin in Zürich, als Christoph Marthaler das Haus dort übernahm. Da ging es dann auch für mich weiter und ich durfte auf der großen Bühne ironische Theater-Revuen zum Thema Rechtspopulismus machen. Das haben die mir damals zugetraut.“

Mit der Schweizerischen Volkspartei (SVP) unter Christoph Blocher erlebte der Rechtspopulismus in der Schweiz um die Jahrtausendwende eine Hochphase, der Vater des medialen Politpopulismus Silvio Berlusconi wurde 2001 erneut Ministerpräsident Italiens und seit 1999 regierte die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) unter Jörg Haider in Österreich mit. Unter dem Titel Ausländer raus! Bitte liebt Österreich stellte der Künstler Christoph Schlingensief in Anlehnung an die Reality-TV-Show Big Brother einen Container vor die Staatsoper in Wien und ließ unter permanenter Beobachtung Asylbewerber:innen darin hausen, die nach und nach per Publikumsvotum aus Österreich hinausgewählt werden konnten. In der Revue Macht fressen Würde veranstaltete Kamerun ein ähnliches Spektakel, beschwor die rechtspopulistische Alpenallianz und inszenierte die „Ausschaffungsspielshow“ „Schwösterreiz sucht den Superstar“. In der taz lässt Tobi Müller seine Leser:innen wissen: „in „Macht“ errichtet die Schweiz mit Österreich eine neorechte Diktatur, für deren Brot und Spiele das Wiener Burgtheater den Zuschlag erhält. Ob New-Economy-Ästhetik oder Burgmusical mit rechtspopulistischem Schick: Man sieht sich ähnlich […] Kamerun kreuzt im DJ Falcobobo Alpenpop, [Schauspieler Josef] Ostendorf albert herrlich in einer Ausschaffungsspielshow, Frau Amsel als Sgt. Heidi [Sylvana Krappatsch] rettet die Bedürftigen mit harter Hand, und jede Menge gut abgehangener, touristischer Lokalbezüge tarnen sich als Figuren oder auch nur als kursorische Kalauer. Alles andere ist – je nachdem: wunderbar, seltsam – unerheblich. Kamerun und Kumpane Rocko Schamoni moderieren als sexy Bürgerwehr“. Für den Deutschlandfunk befand Christian Gampert damals: „Über diesen fröhlichen Vulgärmarxismus, über diesen Mut zu Idiotie und Geschmacklosigkeit kann man nur müde den Kopf schütteln“. Kamerun meint rückblickend: „Ich würde das heute so nicht mehr machen, aber damals fand ich das passend, weil das die Gesellschaft des Spektakels, das was uns halt umgab um die Jahrtausendwende, auf die Spitze trieb. Das war natürlich völlig naiv, so wie Die Goldenen Zitronen vielleicht auch naiv waren mit ihrem lärmigen, euphorischen Zeugs am Anfang. Aber damals war das richtig, glaube ich. Es war punkig und es brachte den Punk ins Theater.“ Den „Schrecken des Alltags“ auf die Bühne zerren und ironisiert auf die Spitze treiben – stilsicher wandte Kamerun das alte Punk-Prinzip nun auf den großen Theaterbühnen im deutschsprachigen Raum an und erntete kontroverse Reaktionen.

Markenverweigerung und Moderation des Moments

Ob als Musiker, Clubbetreiber oder Theatermacher – Kamerun ist Autodidakt durch und durch, das punkige Do-it-Yourself hat er sich bis heute erhalten. Ob er sich gegen Professionalität stemme, frage ich ihn. „Professionalität, was heißt das schon?“, fragt er laut denkend zurück und antwortet: „Es gab in den 1980er Jahren diesen Begriff „Geniale Diletanten“, in der Kunst und in der Musik haben die Leute einfach drauflosgemacht. Das stimmt für den Anfang, aber natürlich wirst Du mit der Zeit immer weniger dilettantisch, Du wirst immer geübter in dem, was Du tust. Die Verweigerung liegt eher woanders, eher gegenüber der Vermarktung oder der Markenwerdung. Wir hätten mit den Zitronen den Fun-Punk größer ziehen können, mit Fotostory in der Bravo und allem. Das wollten wir aber nicht. Wir wollten expliziter erzählen und dafür brauchten wir andere Transporter – das Rock´n´Roll-Schema hat nicht mehr gereicht. Und so haben wir angefangen zu experimentieren.“ Er hat recht, überlege ich. Vielleicht wird Professionalität allzu oft mit Erwartbarkeit und kommerziellem Erfolg gleichgesetzt? Bob Dylan enttäuscht seine Fans regelmäßig aufs Neue, wenn er seine Welthits auf jeder Tournee in unterschiedlichen Besetzungen und Arrangements neu erfindet. Professionalität würde man ihm deswegen nicht absprechen. „Es gibt diesen Spruch ‚die sind live so gut wie auf CD‘“, denkt Kamerun weiter laut. „Wir haben gemerkt, dass das genau das Gegenteil ist von dem, was wir wollten. Es wäre absolut langweilig in so einer Rockband zu spielen. Das ist so, als würdest Du jeden Tag denselben Witz erzählen und er funktioniert eigentlich nur, weil Du jeden Abend in einer anderen Stadt bist. So kommst Du nicht weiter. Wir haben uns gezwungen weiterzukommen.“

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Weiterkommen. Die Flucht vor der Erstarrung, vor der Markenwerdung. Verdichtung bis zur Erwartbarkeit ist das Prinzip jeder Marke. „Strategien, dem zu entkommen, gab es auch schon im frühen Punk. Die Band Spizz zum Beispiel habe ich sehr verehrt. Die nannten sich ständig um. Mal hießen sie Spizz Oil, Mal SpizzEnergi oder Athletico Spizz. Das hat mich sofort interessiert. Der Hamburger Punksänger Jens Rachut macht es ähnlich und ändert auch ständig seinen Bandnamen: Angeschissen, Oma Hans, Blumen am Arsch der Hölle und so weiter. Wir haben auch bei unseren Konzerten immer wieder versucht, die vorgefundenen Strukturen aufzubrechen. Mal sind wir von der Bühne runter und haben uns in der Ecke aufgebaut. Wir hatten einfach Lust, Erfahrungen zu sammeln, wie wir anders präsentieren und uns selbst anders erlebbar machen können.“ Anders machen als das Erwartete – vom vorgesehenen Lebenslauf bis zum Bruch mit den Raumstrukturen beim Rockkonzert. Dahinter steckt Strategie und vielleicht sogar des Punkes Kern. Der Weg vom Konzertsaal zum Theaterraum ist von dort jedenfalls nicht mehr weit, die Brücke heißt Performance.

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„Wir haben mit den Goldenen Zitronen auch USA-Touren gemacht. Da kommst Du dann irgendwo in Arizona auf die Bühne, niemand kennt Dich, niemand versteht Dich, Du machst Dein Zeug und die Leute fragen sich ‚Was soll denn das jetzt bitte?‘. Und dann musst Du da irgendwie durchkommen. Das sind so Erlebnisse, da stellt sich die Frage ‚Wie moderieren wir das jetzt hier, diesen Moment?‘ Und durch solche Erfahrungen sind wir mit der Zeit Spezialisten darin geworden. Im Theater ist das ähnlich. Eine tolle Erfahrung für mich waren auch einige Produktionen von Christoph Schlingensief an der Volksbühne in Berlin, bei denen ich mitgemacht habe. Eines Tages kam er und meinte: Das ist so langweilig. Lasst und das Stück heute mal von hinten nach vorne spielen. Das ist natürlich die Hölle im Theater – man spricht ja von Verabredung – nicht nur mit dem Publikum, sondern auch intern hat so ein Abend einen verabredeten Ablauf – da weiß jeder seine Auftritte und Anschlüsse, da gibt es hinter der Bühne die Maske, die Inspizienz, die Beleuchtung. Es hat irgendwie funktioniert, weil er selber mitgemacht und das ganze Chaos moderiert hat. Ich habe auf jeden Fall eine Menge gelernt für meine eigene Arbeit. Mich faszinieren vor allem Projekte, denen kein Stück zugrunde liegt. Die können natürlich auch umso härter scheitern, das ist klar. Aber es ist auf jeden Fall künstlerisch interessant, würde ich mal behaupten. Und genau das finde ich an der Theaterarbeit so spannend: Der Ausgang ist immer offen und Scheitern ist immer eine Option, für ein Projekt aber auch für den einzelnen Abend. Das liegt daran, dass sich das Kollektiv, die vielen Leute, die an einer Produktion arbeiten, immer wieder unterschiedlich zusammensetzt. Da muss man sich kennen lernen und herausfinden wer wie tickt und was wie geht. Und wenn die Produktion dann fertig ist, kommt jeden Abend ein anderes Publikum.“

Schorsch Kamerun mit Christoph Schlingensief

Das Theater als physische Schnittmenge

Unsere gemeinsame Stunde ist gleich um, Schorsch Kamerun muss wieder zur Probe. Er redet wie vorgespult, die Dichte unseres Gesprächs ist immens. In meinem Kopf ein Feuerwerk von Verknüpfungen und Assoziationen. Parallel pocht die Frage, wie viel ich davon in meinem Artikel unterbringen kann.

Was wir am Samstag zeigen werden, ist auch das Ergebnis so einer kollektiven Auseinandersetzung mit dem Thema. Natürlich mit meinen Vorschlägen, aber das morpht dann ja so in der Gemeinschaft. Die Schnittmenge des physischen Zusammenkommens liebe ich so am Theater. Und das ist ja auch seine Stärke – oder zumindest sein Potenzial. Gerade, wenn sich die Gesellschaft heute in den digitalen Räumen so arg separiert, dass gar keine Schnittmenge mehr übrig bleibt, ist das physische Zusammenkommen und gemeinsame Aushandeln etwas unglaublich Wertvolles: Die Schnittmenge muss physisch sein! In den antiken Tragödien ist das immer wieder Thema. Theater ist heute weit davon entfernt, die Menschen durch alle Schichten wie auf der Agora zusammenzubringen, um Dinge gemeinsam zu verhandeln, aber es sollte nicht aufhören, es zu versuchen!“

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