Hoftheater Föhr: Heimkehr oder Die letzte Sirene

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Föhr hat seit diesem Jahr ein neues Theater. Dessen Anschrift lautet „Haus 54 in Süderende“ oder auch „an der Rundföhrstraße letztes Haus auf der linken Seite vor dem Ortsausgang in Fahrtrichtung Dunsum/Utersum“.

Dort, im alten Stall eines Kapitänshauses von 1869, gab es am Sonnabend eine Premiere im doppelten Sinne: das erste Stück des Hoftheaters Föhr, zum ersten Mal vor Publikum aufgeführt. Titel: Heimkehr oder Die letzte Sirene. Konkret handelt es von Theodor Storm und seinem Sohn Hans Woldsen Storm, ganz allgemein geht es um Väter und ihre Kinder. Der Regisseur Nicolas Dabelstein hat das letzte Haus auf der linken Seite von seinem Vater geerbt, er spricht von einem „spannenden Verhältnis“, das die beiden zueinander hatten.

Nicolas Dabelstein hat das Stück auch geschrieben. Zwei Textvorlagen hat er dafür genutzt: die Novelle Hans und Heinz Kirch von Theodor Storm und den Roman Theodor Storm fährt nach Würzburg und erreicht seinen Sohn nicht, obwohl er mit ihm spricht von Ingrid Bachér. Die 93-Jährige ist eine Urenkelin Theodor Storms und extra für die Premiere nach Föhr gereist.

Wie schmal Land und Bühne hier sind

Das Stück beginnt mit einem Auftritt der titelgebenden Sirene: Eine Frau (Synje Norland, Sängerin und Songschreiberin aus Niebüll) singt. Neben ihr löst sich Theodor Storm  (Thomas Lackner, österreichischer Schauspieler) von den Fesseln, die ihn an einen Balken binden. Schon jetzt zeigt sich die Raffinesse des Bühnenbilds. Denn: Der alte Stall ist eigentlich viel zu klein, um als Hoftheater zu dienen. Gut 40 Zuschauer*innen passen hinein. Für das Bühnenbild vor ihnen ist wenig Platz. „Wie schmal das Land bei uns zwischen Himmel und Meer ist“, heißt es im Stück. Und so wird auch in die Höhe gespielt: Hans Woldsen Storm (Torsten Tews, seit gut 20 Jahren Teil der Gastronomie- und Kulturszene der Insel) läuft auf einem Balken über das Publikum, schwingt sich an einem Tau hinunter, als würde er in der Takelage hängen. Aus dem Stall wird ein Schiff – der Sohn ist von der See nach Hause zurückgekehrt.

Begleitet von Gesang, Cello (Michael Becker), Piano und Kontrabass (Peter Scharonow) wird das Verhältnis von Theodor Storm und seinem Sohn auf den Tisch gelegt und seziert: in so vielen Rückblenden und Vorschauen, dass man ganz vergisst, welche Zeit eigentlich die Gegenwart sein soll. Im Mittelpunkt steht Theodor Storms Reise nach Würzburg, wo sein Sohn studiert – weit weg von Husum, als habe er vom Einfluss seines Vaters fliehen wollen. Aber er studiert dort auf dessen Wunsch Medizin, die Ablösung vom Vater will (noch) nicht (ganz) gelingen.

Innen und Außen

Die Schauspieler*innen Synje Norland, Thomas Lackner, Torsten Tews und Anna Mariani © Hoftheater Föhr

„Wann hat es eigentlich angefangen, dass ich meinem Vater nicht mehr traue?“, fragt sich Hans Woldsen Storm, während sein Vater zur Salzsäule erstarrt, wie immer, wenn der Sohn über seine Gefühle spricht – und andersrum. Das Innenleben der beiden will nach außen dringen, aber es erreicht den jeweils anderen nicht.

Anfangs erscheint das Verhältnis unterkühlt, wenn sich der Vater nicht über die Rückkehr des Sohnes von der See und der Sohn sich nicht über den Besuch des Vaters in Würzburg freuen kann. Doch später wird es hitzig, Worte und Türen knallen. Diese Gegensätze erinnern an das Storm-Haus in Husum mit seinen hellen und schlichten Räumen im Erdgeschoss und Theodor Storms Arbeitszimmer im Ersten Stock, das ganz in Rot gehalten ist, wie die Höhle/Hölle des Teufels persönlich.

Bernd Damovsky, ein bekannter Bühnen- und Kostümbildner, der seit Jahrzehnten jedes Jahr zwei Monate auf Föhr verbringt, hat für das Stück des Hoftheaters Gegenstände und Kleidung auf der Insel zusammengesammelt. Die große schwere Truhe in der Mitte der Bühne dient als Bücherschrank, als Bett und schließlich als Sarg. Damovskys Bühnenbild zeigt, wie viel sich mit so wenig erzeugen lässt, auch dank der Lichter. Mal tauchen sie die Gesichter der Schauspieler*innen in hitziges Rot, mal in kühles Blau oder Grün – oder sie werfen ihre Schatten an die Wand. Hier wird jeder Zentimeter des Stalls genutzt, ohne dass es überladen wirkt.

Ein universeller, uralter Konflikt

Theodor Storm (Thomas Lackner) und sein Sohn Hans Woldsen Storm (Torsten Tews). © Hoftheater Föhr

Das Hoftheater-Stück könnte sich leicht als historisches Zeugnis lesen lassen, als Konflikt zwischen dem Bildungsbürgertum, das viel von geordneten Bahnen und Kreisen hält, und der nachfolgenden Generation, die mit Kommunismus und Anarchie liebäugelt, Klassengrenzen durchbricht und rastlos ist. Wäre da nicht die Universalität des uralten und nicht aufzulösenden Vater-Sohns-Konfliktes: Der Vater, der doch nur das Beste für seinen Sohn will, aber ihm dabei alles aufzwingt und ihn kontrolliert, sodass der Sohn rebelliert. Der Vater, der sich wundert, dass sein Kind, das er zum selbstständig denkenden Menschen erzogen hat, Gedanken hat, die sich auch gegen ihn richten.

Die beiden versuchen sich gegenseitig zu ergründen, doch es kann immer nur bei dem Versuch bleiben. Theodor Storm hat selbst in der Novelle Hans und Heinz Kirch über diesen Konflikt geschrieben, wie ihm sein Sohn vorwirft. Als Schriftsteller hat er die Probleme zwischen den beiden durchschaut – aber das Geschriebene lässt sich nicht einfach so auf das Gelebte übertragen.

Intensität des Schauspiels

Während des Stücks beginnt es zu stürmen und zu regnen. Der Wind zerrt am Haus, als wäre er ein Soundeffekt. Außen und Innen treffen aufeinander. Man kann sich dem Wetter hier nicht entziehen – und weil der Raum so klein ist, genauso wenig der Intensität des Schauspiels. Die Akteur*innen mögen unterschiedlich viel Bühnenerfahrung haben, im Zusammenspiel ist davon nichts zu merken.

Auch wenn der Vater-Sohn-Konflikt im Mittelpunkt des Stücks steht, ist die Performance der beiden Schauspielerinnen des Hoftheaters ebenso beeindruckend. Fast schon gruselig wird es, als sich Anna Mariani, die in diesem Stück viele verschiedene Rollen übernimmt, vor unseren Augen von einer jungen in eine alte Frau verwandelt, indem sie ihr Kopftuch anders knüpft, ihre Haltung verändert, das Gesicht zusammenkneift und die Stimme verstellt.

Als das Stück nach zwei Stunden zu Ende ist, hat es aufgehört zu regnen. Die Pferdekoppel, die für diesen Anlass zum Parkplatz wurde, ist jetzt matschig. Es ist stockfinster, ein Vorbote des langen Winters. Nur einige Sterne sind zu erkennen – und unter dem weiten Himmel leuchtet das Hoftheater.

Weitere Aufführungen von Heimkehr oder Die letzte Sirene finden von Dienstag, 27. August bis Sonnabend, 31. August, jeweils ab 20 Uhr, und am Sonntag, 1. September 2024, ab 12 Uhr, statt. Tickets gibt es in den Tourist-Informationen auf Föhr und im Online-Shop.

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