Mensch, Musik! Shaul Bustan im Portrait

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Wenn Shaul Bustan über den Flensburger Hafen spricht, tut er das nicht mit nautischer Romantik oder touristischer Schwärmerei. Er tut es mit Tönen. In seinem Stück Flensburg Harbour kreisen Möwen über einem Klangteppich aus Fördewellen. Ein Schiff kommt. Es brummt, schiebt sich ins Klangfeld, das sich weitet, bewegt, verdichtet. Es entfernt sich. Wir hören, wie ein Ort atmet.

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„Das ist kein abstraktes Stück“, sagt Bustan. „Man hört, was ich ausdrücken möchte.“ In seiner Musik ist nichts verkopft oder überästhetisiert. Sie ist durchlässig für Welt und Wetter. Die Oud, die klassische persische Kurzhalslaute, die sein Hauptinstrument ist, verleiht diesem Stück eine Textur, die kaum jemand mit einem beschaulichen norddeutschen Hafen verbinden würde.

Seit vier Jahren lebt der Komponist bei Flensburg. Die Region ist längst in seinen Kompositionen angekommen. „Meine Musik hat sich verändert“, sagt er. „Die Flensburger Förde, die Natur, das Klima – das alles hat Einfluss auf meinen Klang. Ich nehme das auf, was um mich ist. Nicht immer konkret, aber atmosphärisch.“

Die Saiten des Lebens. Eine Biografie in Instrumenten

Als Kind wollte Shaul Bustan Gitarre spielen, doch seine Hände waren zu klein. Der Gitarrenlehrer sagte: „Das geht noch nicht.“ Und so kam er zur Mandoline: Ebenfalls ein Saiteninstrument, allerdings mit viel kleinerem Griffbrett und Korpus. Ein glücklicher Zufall. Noch heute schwärmt er von seinem ersten Lehrer, Simcha Nathansohn. Nathanson unterrichtete am örtlichen Konservatorium in Be´er Scheva. Auch Avi Avital gehörte zu seinen Schülern, heute einer der berühmtesten Mandolinisten der Welt. „Leider war ich nur zwei Jahre bei Nathanson, dann ging er in Rente“, sagt er. „Mit meinem nächsten Lehrer bin ich ständig aneinandergeraten.“ Bustan entdeckte seine Liebe zum Komponieren, übte kaum – zumindest nicht das Verlangte. Das vertrug sich wohl nicht.

Shaul Bustan, Foto: René Löffler

Als er 14 war, starb seine Mutter. Ein schwerer Schicksalsschlag, der auch seinen musikalischen Werdegang beeinflusste. „Plötzlich gewann ich Preise“, sagt er nachdenklich. „Wir kennen dich, seit du sieben bist. Du warst immer okay. Aber jetzt hören wir dich. Jetzt sind da Emotionen“, erinnert er sich an die Worte der Jury. „In der Zeit wurde in mir ein Schalter umgelegt. Im Nachhinein kann ich sagen, ich erkannte, was mir wirklich wichtig war, und ich entwickelte einen starken Willen, es zu erreichen.“ Seinen Wunsch, Musiker zu werden setzte er gegen viele Widerstände durch. So schaffte er es auch, vom Wehrdienst befreit zu werden: „Sonst hätte ich für drei Jahre eine Waffe statt der Mandoline in die Hand nehmen müssen.“ Er ging nach Jerusalem, studierte Mandoline und schließlich Komposition. Der Berufseinstieg glückte, er hatte Aufträge und Auftritte, eine Wohnung und ein Auto. Und das Gefühl, dass es nicht weiterging. „Wenn du in Israel sagst, du bist Komponist, sagen alle ‚Aha, und was machst du beruflich?‘ In Europa ist das anders. Dachte ich zumindest.“

Mit 29 Jahren verkaufte er alle seine Habseligkeiten, sogar die Instrumente. Nur seine Kaffeemaschine nahm er mit nach Berlin.

Viele junge Musiker gingen in der Zeit nach Europa – ins „Heimatland der Oper“ Italien und ab Mitte der 2000er Jahre immer häufiger nach Berlin. Deutschlands enges Netz an Orchestern ist Magnet für Profis aus aller Welt. So auch für Shaul Bustan. Mit 29 Jahren verkaufte er alle seine Habseligkeiten, sogar die Instrumente. Nur seine Kaffeemaschine nahm er mit. „Die erste Zeit war schwer. Ich sprach kein Wort Deutsch und musste feststellen, dass niemand auf den ‚großartigen Komponisten‘ Shaul Bustan gewartet hatte.“ Doch er gab nicht auf, spielte als Pianist im Theater, als Mandolinist und Kontrabassist, arbeitete als Chorleiter und fand zur Oud. Das traditionsreiche Saiteninstrument entstand vermutlich im 3. Jahrhundert in Persien. Es gilt als Vorläufer der Gitarre, Herstellung und Spiel gehören seit 2022 zum immateriellen UNESCO Welterbe.

Die Oud wurde Bustans neues Hauptinstrument. Eine Wahl nicht ohne strategisches Kalkül, gibt er zu: „Sehr gute Kontrabassisten gibt es viele. Aber nur wenige sehr gute Oud-Spieler.“ Die Strategie scheint aufzugehen. Nach nur sieben Jahren ernsthafter Beschäftigung mit der Oud hat Shaul Bustan bereits als Solist in der Berliner Philharmonie gespielt.

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Doch es gibt auch eine familiäre Verbindung. „Mein persischer Urgroßvater war der einzige Musiker unter meinen Vorfahren. Er spielte die Tar (persische Langhalslaute) und andere Instrumente. Er ist sogar vor dem Schah aufgetreten. Nach der Migration nach Israel spielte er aber nur noch zu Hause. In den 1970er Jahren war den Leuten die Musik zu orientalisch.“ Mütterlicherseits reichen Bustans Wurzeln bis in den Norden des heutigen Iran, väterlicherseits nach Osteuropa. Getroffen haben sich seine Eltern in Israel, Bustan wächst gewissermaßen im Aufeinandertreffen dieser Kulturen auf, vereint und verinnerlicht sie. Das hört man in seiner Musik.

Während der Pandemie wurde es Bustan zu eng in der Großstadt. Mit seiner Familie zog er aufs Land, in die Nähe von Flensburg. Ein mutiger Schritt. „Das könnte ich nicht“, sagen die Freunde aus Berlin, wenn sie zu Besuch kommen. „Ihr habt es hier wie im Paradies“, sagen sie auch. Für Shaul Bustan ist die Region sein neuer Resonanzraum.

Grenzen überschreiten. Musik als Begegnung.

Shaul Bustan versteht Musik nicht als Leistung. Ob als Komponist, Dirigent oder Instrumentalist, ihn interessiert nicht das Spektakel, sondern das Gespräch. „Ein Konzert ist für mich kein Monolog“, sagt er. „Es ist ein Dialog mit dem Publikum.“

„Ein Konzert ist für mich ein Dialog mit dem Publikum.“

Dieser Gedanke zieht sich durch seine Arbeit. Vor seinen Konzerten steht er am liebsten selbst am Eingang, kontrolliert die Tickets, kommt ins Gespräch, wünscht viel Spaß. Die Tempel der Hochkultur verhindern den Dialog, meint er. „Dort ist alles darauf ausgelegt, Publikum und Künstler voneinander zu trennen. Sie betreten das Gebäude sogar durch unterschiedliche Eingänge.“ Im Anschluss an seine eigenen Konzerte lädt er das Publikum zum Gespräch ein. Die kollektive Erfahrung steht auch im Mittelpunkt seiner pädagogischen Arbeit. Er bietet Kompositionsworkshops für Kinder an und leitet mehrere Chöre – mit Jugendlichen, Erwachsenen, Laien und Profis.

Kurz nach seinem Umzug aus Berlin gründet Shaul Bustan das „Ensemble Flensburg“. Das Projekt begann im Herbst 2021 mit einem ersten geförderten Konzert in der Johanniskirche in Flensburg. Viele Menschen kamen. Die Überraschung war groß, die Wirkung anhaltend. Seitdem haben sie sechs weitere Projekte umgesetzt, oft mit wechselnden Musiker:innen aus Dänemark, Deutschland, Israel, Italien oder der Türkei. Die Musik: offen, durchlässig, grenzüberschreitend. Mal mit Jazz-Einschlag, mal minimalistisch, mal folkloristisch.

Gesetzte Grenzen. Die Förderstruktur für freie Ensembles

Immer wieder kommen auch Bustans Kompositionen zur Aufführung, doch: „Ich will mit dem Ensemble keine Plattform für meine Musik schaffen“, sagt der Komponist. Allerdings ist es manchmal schlicht notwendig – etwa, wenn Projektgelder ausbleiben. „Ich kann andere Komponisten dann nicht bezahlen. Trotzdem: damit es weitergeht, braucht es Inhalte.“ In solchen Momenten greift er auf eigene Werke zurück, aus Pragmatismus.

Künstler*innen stecken in ständigen Bewerbungszyklen, verbringen mehr Zeit mit Verwaltungsaufgaben als mit ihren Instrumenten. Nachhaltig ist das nicht.

Was ihn besonders ärgert, ist strukturelle Kurzsichtigkeit: In Schleswig-Holstein, so erzählt er, seien institutionelle Förderungen für freie Musikgruppen systematisch ausgeschlossen. „Einmal Förderung, und dann nie wieder, nur noch für einzelne Projekte. Das steht so in den Richtlinien. Aber was heißt das für die konkrete Arbeit?“ Künstler*innen stecken in ständigen Bewerbungszyklen, verbringen mehr Zeit mit Verwaltungsaufgaben als mit ihren Instrumenten. Nachhaltig sei das nicht.

Gelebte Toleranz. Hören und zuhören.

Shaul Bustan glaubt daran, dass Musik Räume schaffen kann, die Begegnung ermöglichen. Und dass Musik dort entsteht, wo Menschen einander zuhören. Im Proberaum, auf kleinen Bühnen, manchmal auch am Flensburger Hafen.

Flensburg Harbour lässt ein ganz konkretes Bild vor dem inneren Auge entstehen. Doch was Shaul Bustan darin musikalisch verdichtet, geht tiefer als die bloße Ortsbeschreibung. Einst landete hier Zuckerrohr aus der Karibik an, machte der koloniale Handel die Stadt reich. Häfen sind nie nur Orte des Handels. Sie sind ambivalent, sind Heimat und Welt zugleich, sind Räume, in denen Sprachen und Kulturen aufeinandertreffen. Kontaktzonen, in denen sich entscheidet, wie wir dem Anderen begegnen: Tag für Tag, Schiff für Schiff, Mensch für Mensch.


Mehr zu Shaul Bustan erfahren Sie auf seiner Internetseite: https://www.shaulbustan.com/de/

Dieser Artikel erscheint in Kooperation mit dem

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