Kurz vor Spielbeginn, im Theater sitzend und diese Vorfreude spürend, nicht wissend, was der Abend bringt – herrlich. Sich einlassen und mitnehmen lassen auf ein Spiel. Als ich im Saal der Rendsburger Kammerspiele sitze, gelingt es mir nicht, mich frei zu machen von dem, was da kommen mag. Gespannt und neugierig bin ich, aber dieses Mal auch: erwartend und Ansprüche hegend.
Dänische Delikatessen – als ich diesen Film aus dem Jahr 2003 (Drehbuch und Regie: Anders Thomas Jensen) zum ersten Mal sah, war ich geflasht – und habe ihn gleich noch zwei weitere Male gesehen, mit wachsender Begeisterung. Die Geschichte samt Erzählart hatte mich gepackt. Die Figuren so uneitel wie schräg, jede von ihnen in der eigenen Wirklichkeit steckend, weil sie unterwegs irgendwo gescheitert ist. Dieses Erzählen, in dem moralisch Verurteiltes so leicht daherkommt. Das Normalisieren des Absurden. Dieser Kniff, der darstellt ohne Bewertung, und verstärkt. Für mich sind die Filme von Anders Thomas Jensen höchst theatral. Wie also bringt man das Filmisch-Theatrale auf die Bühne? Wie will man den Schlachter Svend (im Film: Mads Mikkelsen) darstellen, der erst aus Versehen und dann aus seiner Misere heraus Menschen schlachtet (und anschließend filetiert), um endlich auch mal ein bisschen Anerkennung und Achtung zu ernten? Das sind große Fußstapfen, sehr große Fußstapfen. Ich bin neugierig und kann es nur schwer verknusen, dass das Theatererlebnis noch einmal mehr auf sich warten ließ, weil die Vorstellung krankheitsbedingt verschoben wurde. Ja, auch im Theater gibt´s das. Guck ich mir den Film vorher noch einmal an? Steige ich nochmal tief ein in die Filmemacherei von Anders Thomas Jensen? Nein. Es ist besser, wenn die Erinnerung an den Film nicht mehr ganz frisch ist, beschloss ich und möchte mich nicht als Publikum in den Reihen haben. Die Latte hängt hoch. Aber: Mit Mads Mikkelsen muss man sich nicht messen wollen und auch mit Anders Thomas Jensen nicht. Wirklich nicht. Fest steht: Mutig ist es, diesen Stoff auf die Bühne zu bringen.
Der Herausforderung stellte sich Regisseurin Finja Jens. Dänische Delikatessen ist auch einer ihrer absoluten Lieblingsfilme, entnehme ich einem Beitrag im Schleswig-Holstein Magazin (NDR): „Was natürlich toll ist, mit so einem Stoff arbeiten zu dürfen, aber auch erst einmal Angst macht, weil ich die Vorlage so großartig fand, dass ich erstmal gar nicht wusste: Kann man das überhaupt besser machen im Theater?“, erzählt sie im Interview, das vor der Premiere erscheint. Ich buche Tickets und stelle mir eben diese Fragen: Ist dieser Stoff im Theater gut aufgehoben? Kann man es besser machen?
Anders machen muss man es, bei der Story und diesen ausgeprägten Charakteren. Aber wie? Also fiebere ich dem Theaterabend entgegen. Ein Abend der kurzweilig ist, und meist gekonnt die Balance hält zwischen Ernsthaftigkeit und Humor. Die Möglichkeiten der Bühne werden in kluger Weise bespielt und zeigen mit Tritten, die ins Leere treffen, mit Schlachtszenen, die nur von Licht und Ton untermalt hinter verschlossenen Türen stattfinden, mit einer Hauptfigur, die eben nicht schwitzt, obwohl ihr nervöses Schwitzen immer wieder Thema ist, mit der einen statischen Kulisse, die mit wenig Requisiten trotzdem mehrere Schauplätze ist: Das hier ist Theater, nicht Film.
Das Reduzierte tut der Inszenierung gut, sodass ich mir manches Mal noch etwas mehr vom Reduzierten wünschen würde: vielmehr weniger. Ohne das Reduzierte und mit gewollten Untermalungen kippt die Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Humor und driftet gelegentlich ab ins Klamaukige. Als die im Svends Kühlkammer Erfrierenden, nicht nur „You´re as cold as ice“, sondern auch noch „Hello from the other side“ und „Ice, ice, baby“ trällern oder als die gelungene Szene der ersten großen Ladendrängelei, die hier eindrucksvoll mit so wenigen dargestellt wird, sich im zweiten Teil unnötig wiederholt und in dieser Dopplung leicht albern wirkt. Ebenso wie die winkenden Gesten am Grabstein. Diese kleinen Portionen sind schon ein Zuviel, für die Tragik, die der Geschichte – mit jeder ihrer Figuren – innewohnt. Schauspielerisch sticht vor allem Steven Ricardo Scholz hervor, der in insgesamt fünf Rollen zu sehen ist und insbesondere als Aigil (der jüngere Bruder von Svends Kompagnon Bjarne), der die Tiere liebt, überzeugt. Unterm Strich liefern Regieteam und Ensemble einen ebenso ordentlichen wie kurzweiligen Theaterabend ab, und ich ziehe den Hut vor allen Beteiligten, die sich getraut haben, sich gemeinsam an den Filmklassiker Dänische Delikatessen (hier: in der für die Bühne bearbeiteten Fassung von Florian Battermann und Jan Bodinus) zu wagen.
Was bleibt ist die Frage, ob sich dieser Stoff für Bühnen eignet.
Die nächsten Aufführungstermine:
- 17. April, 19:30 Uhr, Rendsburg (Kammerspiele)
- 02. Mai, 19:30 Uhr, Schleswig (Slesvighus)
- 10. Mai, 19:30 Uhr, Rendsburg (Kammerspiele)
- 05. Juni, 20:00 Uhr, Husum (Husumhus)
zur Stückwebsite des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters