„Dinge, die ich sicher weiß“ am Landestheater

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„Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre besondere Art unglücklich“, wusste schon Tolstoi. Die Familie Price ist glücklich – davon ist zumindest die jüngste Tochter Rosie (gespielt von Jennifer Wollny) überzeugt. Nach einer schlimmen Erfahrung mit einem Mann kehrt sie überstürzt von ihrer großen Europareise, zu der sie nach dem Ende der Schule aufgebrochen ist, zurück in den heimischen Garten. Denn es gehört zu den Dingen, die sie sicher weiß, dass sich dort niemals etwas ändert. Wer einen Hauch mehr Lebenserfahrung besitzt, weiß ebenso sicher, dass Rosie sich irrt. Wie das scheinbar heile Familienbild nach und nach Risse bekommt, zeigt das Landestheater Schleswig-Holstein in der Aufführung von „Dinge, die ich sicher weiß“ von Andrew Bovell.

Für Familie Price ist ihr Garten die Welt. Doch die zerbricht. Foto: Landestheater SH

Das Landestheater bespielt viele Standorte – eine Herausforderung, da die Aufführungen in wechselnden Räumen funktionieren müssen. Daher lohnt sich immer der Blick auf Ausstattung, Kostüme und Bühnenbild, für die sich hier Merle Leuschner verantwortlich zeichnet. Ein grüner Kunstrasen hängt an der hinteren Wand. Davor ein großer Bonsai-Baum, den Vater Bob, stoisch und tragisch gespielt von Rainer Schlehberger, sorgfältig pflegt. Mutter Fran, deren viele Facetten von Wut bis spielerischer Leidenschaft Illi Oehlmann souverän und mitreißend verkörpert, empfängt, tröstet oder wütet auf der grauen Cordcouch daneben. Für die vier Kinder ist dieser Garten „die Welt“, wie mehrere Figuren sagen. Doch um diese Welt zu erreichen, müssen sie sich alle verbiegen. Denn, ein wunderbarer Einfall, nur eine winzige Tür führt hinein, die die Figuren zum Ducken zwingt.

Tochter Pip ringt um Mutters Liebe

Ebenfalls schön sind die vielen grünen Kleidungsstücke der Familienmitglieder und der Umgang damit: die älteste Tochter Pip, glaubwürdig dargestellt von Annika Utzelmann als erschöpfte Frau, die um die Liebe der Mutter ringt, legt ihr grünes Halstuch ab, als sie den Garten verlässt. Sohn Mark (Steven Ricardo Scholz), der seinen Eltern sein Lebensgeheimnis verrät und nur Unverständnis erntet, wechselt das Hemd von grünlich zu blau. Vater Bob wirft wütend die grüne Mütze zu Boden. Nur Ben, schön arrogant-schmierig gespielt von Aaron Rafael Schridde, und Wollnys naive Rosie bleiben in Grüntöne gekleidet. Warum auch nicht? Mama Fran wäscht immer noch Bens Hemden, und Papa ist immer noch begeistert von seiner Jüngsten, auch wenn die ein elterlicher Betriebsunfall war. Wobei selbst das im Lauf des Stücks in Frage gestellt wird.

Tochter Pip (Annika Utzelmann) ist unglücklich. Die Eltern (Reiner Schleberger , Illi Oehlmann) wissen keinen Rat. Foto: Landestheater

Wie viel Glück liegt im Alltäglichen, gibt es ein Recht auf Glück oder überhaupt das Recht, danach zu streben? Was darf eine Generation von der anderen verlangen? „Ich dachte, sie werden wie wir“, sagt Bob zu Fran. „Nur besser.“ Die Kinder sollten Häuschen in der Nähe bauen, Kredit abbezahlen, eigene Kinder bekommen und samstags zum Grillen im elterlichen Garten erscheinen, so habe er sich das Alter vorgestellt. Fran dagegen träumt davon, noch einmal auszubrechen. So viel sei verraten: Weder der eine noch der andere Traum werden wahr. Dafür sorgt der nächtliche Anruf, der zu Beginn des Stücks über die halbdunkle Bühne schrillt und der am Ende des Theaterabends für eine böse Wendung sorgt.

„ich dachte, sie werden wie wir. Nur besser.“

Vater Bob über seine Kinder

Das Stück (Inszenierung von Bettina Geyer und Dramaturgie von Finja Jens) lässt allen Figuren ihre großen Momente. Das macht es für das Publikum leicht, sich zu identifizieren: als Mutter, Vater, Kind, als Geschwister. Und am Ende hat auch Rosie gelernt, dass sie nur eines sicher weiß. Nämlich dass Dinge sich ständig verändern.

Es ist ein Theaterabend, der lange nachhallt und vom Publikum in Schleswig mit standing ovations belohnt wurde.

Sohn Mark (Steven Ricardo Scholz, l.) gesteht ein Lebensgeheimnis – Mutter Fran (Illi Oehlmann) kann damit wenig anfangen. Foto: Landestheater

Weitere Aufführungen:

23.04. Meldorf, Kulturzentrum Ditmarsia 20 Uhr

27.04. Rendsburg,  Kammerspiele, 19.30 Uhr

18.05. Schleswig, Slesvig Hus, 19.30 Uhr

15.06. Flensburg, Deutsches Haus, 19.30 Uhr

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