Es ist der erste Tag im Jahr an dem man keine Jacke braucht. Die Kieler Pumpe ist ausverkauft, das Publikum frühlingshaft vergnügt. Auf der Bühne steht ein Baum.
BAUM – so lautet der Titel des neuen Mine-Albums – und das knallt. Das Licht fährt runter. Dann tunkt sich die Bühne in das Blau des Albums, der Baum ins Orange und Mine singt den Song SCHATTIG: Ich bin ein Nichts / Mein Untergang grinst / Sitzt in der Ecke und grinst / Und für dich bleib ich nichts / Ich bin ein Nichts. Auf der Platte wird das Intro zu diesem Song vom Kieler Knabenchor gesungen. Ganz klar, dass der Kieler Abend mit diesem Song beginnen muss.

Mine trägt Blau, weites Blau. Auf der Bühne sind sie zu sechst. Mit ihrer Band ist sie seit zwölf Jahren zusammen unterwegs. Neu ist das zweite Schlagzeug. Mine spricht mit „Kiel“ und lässt uns wissen, dass sie sich „keine Ansagen zurechtlegt“, erstmal müsse sie die Energie im Raum kennen – und sie tastet sich ran, wirkt dabei ebenso authentisch wie persönlich. Sie lässt uns teilhaben an ihrer Eigenart. Eigenartig, das ist sie, das sind ihre Songs, ihre Bewegungen, ihre Stimmen.
Eigensinnig ist ihre Musik. Die Zusammenstellung der Songs will ebenso wenig in eine Schublade passen wie diese Künstlerin. Mal ist es poppig, dann technoid. Aber Mine kann nicht nur das Laute und Knallige, und so reisen wir von Song zu Song durch sämtliche Welten, hören auch das Leise, das Zarte und Zerbrechliche. Derweil beherrscht Mine die große Kunst, die Unterschiede zusammenzuhalten, zu einem großen Ganzen zu fügen und uns mitzunehmen – trotz oder gerade wegen all der Brüche, die sie setzt: Von fescher Lebensfreude (FESCH) springt sie mit uns in tiefe Trauer (STAUB) und wieder zurück, macht einen Schlenker von hellen zu dunklen, von kleinen zu großen Themen, wird mal poetisch, dann wieder knallfrech.
Mine rast mit uns, ja, durch was eigentlich? Durch was man alles fühlen kann! Und sie übersetzt es in ihre Musik. In allen Farben. Aber sie verwischt die Farben nicht, sie zieht Linien, die sich verästeln. Nur ein einziger Song kippt kurz aus dem linienstarken Mine-Raster heraus: DANKE GUT driftet ab in Richtung Standard-Pop und wirkt damit – im Vergleich zu den anderen Stücken – nahezu „gefällig“. Und ja, auch dem Kieler Publikum gefällt es. Für alle anderen Songs gilt: „[…] so innovativ, seltsam und mutig klingt Pop auf Deutsch selten. Sehr, sehr selten.“ – So beschreibt Fridl Achten Mines Machart treffend in seiner PULS Musik Analyse „Mine: Die heimliche Königin im deutschen Pop“. Die Ausgabe ist schon etwas älter (2021), liefert aber auch zwei Alben später noch einen schönen Zusammenschnitt:
Aber zurück zum Konzert: Zwischendurch spricht Mine „mit Kiel“ darüber zu glauben oder nicht, über Politisches, ihre Zwillinge, ihre verstorbene Mutter, darüber, dass sie manchmal richtig sauer ist oder auch über das Musikbusiness: „Wisst ihr eigentlich was ich für ein Glück habe, dass ich das hier machen darf? Jetzt spiel´ ich Konzerte und kriege dafür Geld.“ Sie spricht von Dankbarkeit und Demut. Nee, das Musikbusiness ist nicht immer fair. Später, beim Song AUDIOT (Album: HINÜBER), greift sie das Thema nochmal an: „Ganz oft wird durch das Radio nicht Kunst gefördert, sondern das, was nicht auffällt; und – meiner Meinung nach – einheitsbreiig ist.“ Das Statement erntet Applaus und der Song natürlich auch: […] Ich leide, immer das gleiche / Ich nehme ein Sipp von dem Album / […] / Du magst Scheiße, doch es ist schon okay / Es ist so okay, es tut niemandem weh / Nur ich kanns nicht verstehen, hrmpf / […] / Ich träum von ihren Akkorden / Wach‘ auf am nächsten Morgen / Blut im ganzen Zimmer / Alle am Musikgeschmack gestorben / […]

Nee, Mine ist nicht gefällig. Umso schöner, dass sie es trotzdem (oder hoffnungsvoll: gerade deshalb) schafft, mit Erfolg Musik zu machen. 2021 erhielt sie den Preis für Popkultur in gleich zwei Kategorien „Lieblingssolokünstlerin“ und „Lieblingsvideo“ (HINÜBER) und nach diesem Album muss es doch eigentlich auch gut weiter gehen: „Mine macht nun schon ein Jahrzehnt lang Musik, die sich wie Kunst anfühlt und nicht wie ein Produkt. Sie hat ein Händchen für wunderschöne Melodien und setzt diese abwechslungsreich – mal orchestral, mal brachial, mal zuckersüß – in Szene“, resümiert das Musikmagazin laut.de.
Immer das Gleiche gibt´s bei Mine definitiv nicht, trotzdem folgt sie ihrer Linie in allen Farben und mit rasanten Kurven und das Kieler Publikum geht begeistert mit. Nach dem letzten Song BAUM fordert es Zugaben, bekommt zwei und Kiel singt: Wenn ich könnte, wüsste ich / Was wichtig ist, was nicht / Was es wirklich besser macht / Und was nicht / Wenn ich könnte, wüsste ich / Was richtig ist, was nicht / Was fällt ins Gewicht? / Ich weiß es nicht
Ein schillernder Konzertabend. Eine großartige Band. Eine Ausnahmekünstlerin.
Ein Abend, an dem sich – im Hier und Jetzt – Lust und Neugier breit machen, auf das, was als nächstes kommen mag!
Ohne Schminke?
Ihr schönstes Liebeslied – oder sogar eins der schönsten Liebeslieder überhaupt – SCHMINKE (Mine, Fatoni) spielt sie an dem Abend in Kiel nicht. Das ist auch in Ordnung, denn dem Abend hat es an nichts gefehlt. Aber diesen Song wollen wir hier trotzdem und unbedingt noch mit euch teilen:
Hier in einer ganz besonderen Version:
Und hier nochmal auf der Bühne:
Die nächsten Konzerte und mehr Musik gibt´s hier: https://minemusik.de/