Die Freude an Bewegung ist seit Urzeiten Teil menschlichen Lebens. Von der Antike bis in die Jetztzeit entwickelten sich Tänze fortlaufend weiter, wurden spezialisiert und breit gefächerte Tanzarten entstanden. Mit Tschaikowskis „Schwanensee“ und Gautiers „Giselle“ erreichte der Balletttanz im 18. Jahrhundert seinen Höhepunkt. Für Maike Jürgensen aus Hannover, Inhaberin der Tanzakademie Hannover-Neustadt, rückt der tänzerische Jahreshöhepunkt bereits in greifbare Nähe. Hand in Hand und in enger Kooperation mit der Nordsee Akademie in Leck entwickelte sie ein einwöchiges Tanz- und Freizeitprogramm, an dem Kinder und Jugendliche im Alter von 11-17 Jahren aus dem ganzen Bundesgebiet teilnehmen können. Gerne gibt sie einen Rückblick auf die vergangenen und einen Ausblick auf die diesjährigen Tanztage, die vom 21. bis zum 27. Juli in Leck, im Kreis Nordfriesland, stattfinden werden.
Frau Jürgensen, Sie sind Inhaberin der Tanzakademie Hannover-Neustadt mit den Standorten in den niedersächsischen Städten Hannover und Neustadt. Wie kommt es dazu, dass Sie als künstlerische Leitung die Sommertanztage in Leck, im Kreis Nordfriesland, ausrichten?
Maike Jürgensen: Die Ursprungsidee zu diesen Tanztagen stammt tatsächlich von meiner Ausbildungsballettlehrerin Simone Schmidt-Grabbe aus Kiel. Bereits als ich noch in Ausbildung bei ihr war, veranstaltete sie die Tanztage Schleswig-Holstein. Das war quasi die Vorgängerveranstaltung, die ich viele Jahre als Betreuerin begleitet habe. Die damalige Veranstaltung war allerdings nur Kindern aus dem norddeutschen Einzugsgebiet und Ballettschulen aus dem System der Royal Academy of Dance vorbehalten. Ich kann sagen, ich war jedes Jahr aufs Neue fasziniert von der Atmosphäre, die dort vorherrschte. Es war eine wunderbare Veranstaltung, bei der Kinder über Tage hinweg in die Tanzwelt abtauchten. Nachdem die Tanztage Schleswig-Holstein, die in der Jugendbildungsstätte Koppelsberg bei Plön stattfanden, an einen anderen Veranstalter übergingen und es sich abzeichnete, dass dieser sie nicht über die Corona Pandemie retten konnte, beschloss ich, eine neue Version der Tanztage ins Leben zu rufen.

Warum haben Sie sich für einen Veranstaltungsort so hoch im Norden entschieden und nicht für einen Veranstaltungsstätte in Niedersachsen? Haben Sie eine Verbindung zu Schleswig-Holstein?
Maike Jürgensen: Zwar bin ich im niedersächsischen Hildesheim geboren, aber im Herzen bin ich ein waschechtes Nordlicht. Eine Zeitlang habe ich in Cuxhaven gewohnt, dann wieder in Hildesheim und später in Kiel. Dort habe ich auch meine Tanzausbildung im System der Royal Academy of Dance absolviert. Das führte dazu, dass ich im Herzen immer mit einem Bein im Wasser stehen geblieben bin und mich in Hildesheim nie wirklich zuhause gefühlt habe. Die Entscheidung für einen Standort in Schleswig-Holstein ist somit meinem Heimweh und dem Wunsch wieder im Norden zu arbeiten geschuldet. So habe ich wohl aus der Not eine Tugend gemacht. Zudem kommt mein Ehemann Ulf gebürtig aus Flensburg und wir verbringen über das Jahr hinweg viel Zeit dort.
Warum haben Sie sich für die Nordsee Akademie in Leck entschieden?
Maike Jürgensen: Ich habe mir unterschiedliche Bildungseinrichtungen in ganz Schleswig-Holstein angeschaut. In Leck fand ich das perfekte Umfeld für mein Vorhaben. Wir haben dort drei Unterrichtsräume, die wir parallel bespielen können, und zusätzlich einen Yoga-Raum. Es gibt ausreichend Platz, alles ist in einem perfekten Zustand und strahlt eine angenehme Atmosphäre aus. Ich habe mich dort von Anfang an wohlgefühlt. Außerdem vermittelt die Nordsee Akademie trotz des intensiven Trainings Urlaubscharakter.
Welche Vision steht hinter den Sommertanztagen?
Maike Jürgensen: Die Tanztage geben den Kindern und Jugendlichen einen unheimlichen Motivationsschub und vermitteln den Eindruck eines Ballettinternats. Für viele von ihnen ist es ein gelebter Traum von einer Woche Dauer, von dem einige wissen, dass sie ihn wahrscheinlich nie erreichen werden. Es ist einerseits eine körperliche Herausforderung von morgens bis abends nur mit Tanzen beschäftigt zu sein. Andererseits eine tolle Erfahrung sich nur mit Menschen zu umgeben, denen das Tanzen genauso wichtig ist wie einem selbst. Insbesondere vom Unterricht bei fremden Ballettlehrenden profitieren die Kinder und Jugendlichen, da alle Lehrenden auf unterschiedliche Dinge ihren Fokus setzen. Im Nachgang der Veranstaltung hat sich bisher immer gezeigt, dass die Teilnehmenden den Esprit dieser Tage mit in ihre Heimatballettschulen nehmen.
Welche Dozierenden sind in diesem Jahr dabei und welche Tanzstile werden vermittelt?
Maike Jürgensen: Wir werden wieder ein tolles Team mit internationalem Hintergrund am Start haben. Für klassisches Ballett und Spitzentanz konnte ich die gebürtige Britin Rowena Ansell gewinnen. Sie war lange Zeit Tänzerin an der Staatsoper Hannover.
Philip Johnson ist ebenfalls gebürtig aus Großbritannien und als Tänzer und Solist an der Staatsoper Hannover tätig gewesen. Er wird in Leck Repertoire unterrichten. Heißt, er wird originale Choreographien aus großen Ballettstücken mit den Kindern und Jugendlichen in einer angepassten Variation einstudieren. Zudem wird er klassisches Ballett unterrichten.
Die ausgebildete Tänzerin und Mitbegründerin des Netzwerks Tanzpunkt Hannover, das sich in der freien Szene gerade einen großen Namen macht, Cara Rother aus Hannover, übernimmt den Schwerpunkt Contemporary. Ebenfalls aus Hannover ist die ausgebildete Tänzerin Mirja Kühn mit Jazzdance und Contemporary mit von der Partie. Ich selbst werde in diesem Jahr Charaktertanz unterrichten und plane eine Tarantella einzustudieren.

Wenn das Wort Spitzentanz fällt, stellen sich vielen Menschen die Nackenhaare auf und Bilder von in Mitleidenschaft gezogener Füßen ploppen auf. Da dieser Tanzstil bei den Sommertanztagen auf der Agenda steht, frage ich mich, wie Ihre persönliche Einstellung zum Tanz auf der Zehenspitze ist.
Maike Jürgensen: Mit Blick auf die Fußgesundheit findet im Vorfeld der Sommertanztage eine Abfrage bezüglich des Spitzentanzes statt. Ich nehme Kontakt mit den Eltern der betreffenden Teilnehmenden auf und wenn erforderlich auch mit ihren Heimatballettschulen. Auf diese Weise hole ich Einschätzungen ein, damit ich genau weiß, wie ich die Spitzentänzerin oder den Spitzentänzer einstufen kann und darf.
Die Tanztage beginnen am Sonntag, den 21. Juli und enden am Samstag, den 27. Juli. Wie gestaltet sich der Ablauf dieser Tage?
Maike Jürgensen: Wir starten am Morgen mit einem fantastischen Frühstück, damit die Kinder und Jugendlichen gut gestärkt in den Tag gehen können. Am Vormittag beginnen die ersten Tanzfächer, wobei die älteren Teilnehmenden im Vormittagsblock die klassischen Fächer und im Nachmittagsblock die modernen Fächer auf dem Plan haben. Die jüngeren Teilnehmenden beginnen mit den modernen Tanzstilen, um erstmal in Schwung zu kommen und wechseln am Nachmittag zur Klassik. Die Auswahl der Unterrichtsblöcke variiert je nach Alter. Die einzelnen Unterrichtsmodule dauern von 60 bis 90 Minuten. Dazwischen steht das gemeinsame Mittagessen und am Abend können wir uns jeden Tag auf ein reichhaltiges Abendbrot freuen. Genügend Freiraum für Erholungsphasen zwischen den Unterrichtsblöcken ist selbstverständlich.
Am Mittwoch, dem dritten Tag, der aus der Erfahrung heraus der verletzungsreichste ist, pausieren wir. In diesem Jahr steht ein Ausflug nach Sylt oder ein chilliger Tag auf dem Gelände der Nordsee Akademie auf unserem Plan. Während der gesamten Woche arbeiten die Kinder und Jugendlichen auf die Abschlusspräsentation hin, die am letzten Tag der Sommertanztage stattfindet. Sie ist das Highlight der Woche, zu der bis zu 300 Zuschauende im Forum der Nordsee Akademie Platz finden können.
Zuschauende von außerhalb sind gern gesehen. Anmeldungen nimmt die Nordsee Akademie entgegen unter: info@nordsee-akademie.de
Wird es noch weitere außertänzerische Freizeitgestaltung geben? Welche Rolle spielt dabei die Nordsee Akademie?
Maike Jürgensen: Das wird es. Im ersten Jahr der Tanztage gab es einen Frisurenwettbewerb und im zweiten einen Kostümabend. Was wir uns für dieses Jahr ausgedacht haben, soll vorerst noch geheim bleiben. Doch Bastelstunden, Vorlesezeiten, Outdoorspiele oder freie Zeit auf dem Gelände gehören immer dazu. Bei verschiedenen Angeboten spielt das Team der Nordsee Akademie eine große Rolle. Denn alles was außerhalb des Tanzens auf dem Tagesprogramm zu finden ist, wird von der Nordsee Akademie mitorganisiert. Für uns ist das sozusagen ein „Susi-Sorglos-Paket“.
Durch Unterstützung meiner vier Begleitpersonen, die je für eine Gruppe zuständig sind, haben die Kinder und Jugendlichen immer eine Ansprechperson und alles funktioniert reibungslos. Dieses Jahr sind die Tanzpädagoginnen Jasmine Brandes und Julia Schröder sowie die Studentin des Bühnentanzes Nadine Kribbe und die Krankenschwester Constance Cordes als Betreuerinnen dabei.
Wie bereichernd ist diese Tanzwoche für die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen?
Maike Jürgensen: Die Erfahrung, die die Kinder und Jugendlichen während dieser Zeit machen, hat für sie einen unschätzbaren Wert. Es ist ein ganz besonderes Balletterlebnis, was in der Heimatballettschule in dieser Form nicht abgebildet werden kann. Rückmeldungen von Kolleginnen zeigten bisher, dass unsere Teilnehmenden verwandelt von den Tagen zurückkamen und den Geist dieser Tage wie eine kleine Flamme mitnahmen.
Was macht für Sie selbst die Faszination des Balletttanzes aus? Was möchten Sie an die Kinder und Jugendlichen weitergeben?
Maike Jürgensen: Für mich ist Tanzen wie atmen! Ich brauche das Tanzen, um mich auszudrücken, um meine Gefühle zu verarbeiten und ich mag die Arbeit mit Musik. Ich glaube, dass eigentlich jeder Mensch tanzen kann. Viele lernen es nur nicht oder trauen es sich nicht zu. Eigentlich ist es ein Grundbedürfnis des Menschen.
Ich möchte den Teilnehmenden die Liebe zum Tanz mit auf den Weg geben. Das ist wohl mein Herzensprojekt. Sie sollen sehen, was sie selbst schon können und sich etwas zutrauen. Dieses alles vor dem Hintergrund, dass Kinder und Jugendliche heutzutage unter einem enormen Vergleichsdruck, insbesondere über die sozialen Medien, stehen. Dem möchte ich entgegenwirken.

Die Sommertanztage finden in diesem Jahr zum dritten Mal in Leck statt. Welche Erinnerungen haben Sie an die vergangenen Jahre? Gab es Hürden zu überwinden?
Maike Jürgensen: Die größte Hürde der bisherigen Tanztage war die Corona Pandemie im Jahr 2022. Sie hing wie ein Damoklesschwert über der Tanzwoche. Das war ein ganz großer Stressfaktor. Dass wir es ohne Coronaausbruch schafften, darauf bin ich heute noch stolz. Es war geradezu vorbildlich, wie sich alle Teilnehmenden an die vorgegebenen Regeln hielten. Es war eine Zusammenarbeit, wie man sie vom Ballett kennt. Schließlich ist es die DNA von Ballett sich an Regeln zu halten.
Gibt es spruchreife Zukunftsmusik?
Maike Jürgensen: Ich würde mich freuen, wenn wir mit den Sommertanztagen noch einen größeren Bekanntheitsgrad erreichen könnten. Mir schweben zwei Abschlusspräsentationen vor. Eine in der Nordsee Akademie in Leck und eine im Theater in Flensburg. Das wäre mein großer Traum.
Gibt es Unterstützer und Sponsoren, die die Sommertanztage fördern?
Maike Jürgensen: Im vergangenen Jahr erhielten wir eine großzügige Anschubfinanzierung vom Schleswig Holsteiner Ministerium für Allgemeine und Berufliche Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur. In diesem Jahr dürfen wir uns über die Unterstützung durch die Nord-Ostsee Sparkasse und die freuen.
Natürlich sind wir immer auf der Suche nach Sponsoren, die die Veranstaltung unterstützen wollen. Gerade auch, weil es für Kinder und Jugendliche in Folge der Corona Pandemie immer noch einen großen Aufholbedarf gibt und sie in dieser Zeit ganz massiv Federn gelassen haben. Solche Projekte wie die Sommertanztage erachte ich daher als sehr wichtig, um diese Defizite wieder auszugleichen. Wenn wir Tänzernachwuchs aus diesem Land generieren wollen, dann müssen wir die Lücken, die durch Corona entstanden sind, füllen. Sponsoren zu finden, auch bundesweit, die diesen Zusammenhang erkennen und uns mit einer Förderung unter die Arme greifen wollen, ist für uns immer ein großes Geschenk.
Mit welchen Gefühlen sehen Sie den diesjährigen Sommertanztagen entgegen?
Maike Jürgensen: Ich freue mich schon riesig auf diese Zeit. Auf die Dozierenden und Betreuenden, das Team der Nordsee Akademie und natürlich auf die tanzfreudigen Kinder und Jugendlichen. Für mich fühlen sich diese Tage gar nicht wie Arbeit an, obwohl ich natürlich arbeite und es anstrengend ist, rund um die Uhr Ansprechpartnerin zu sein. Aber es ist eine so tolle Atmosphäre, dass es mir einfach nur Spaß macht.
Abschließend sei noch eine letzte Frage erlaubt: Wofür begeistern Sie sich, wenn Sie nicht tanzen?
Maike Jürgensen: Natürlich an erster Stelle für meine Familie. Meinen Mann Ulf und meine beiden erwachsenen Töchter. Dann noch für unsere Familienhündin Amy und für den Handballsport. Jedoch nur als begeisterte Zuschauerin.
Johanna Ritter