Seit ihrer Kindheit begeistert sich Künstlerin Ragna Reusch bereits für den Werkstoff Holz. Nun bietet sich die Gelegenheit ihr beim Arbeiten über die Schulter zu schauen und das Gespräch mit der Künstlerin zu suchen. Vom 21. Juni bis zum 3. Juli wird sie täglich von 11 bis 17 Uhr in der Hummerbude PARADOX, Galerie Tiinerbuud 33 am Scheibenhafen von Helgoland ihre Werke „von lütt bet groot“ zeigen, zum Kauf anbieten und auch vor Ort mit ihrer Schnitzkunst in Aktion treten. „Ich freue mich schon sehr auf diese Zeit. Die direkte Nähe zum Meer, der Lichteinfall, die Gespräche mit den unterschiedlichsten Menschen und die Möglichkeit bei schönem Wetter draußen zu schnitzen, das ist einfach phantastisch“, erklärt sie enthusiastisch im Vorfeld.

Dem Meer mit all seinen Facetten fühlt die Künstlerin sich innig verbunden. Was nicht verwunderlich ist. Schließlich ist sie ein waschechtes Nordlicht und stammt gebürtig aus Eutin, verbrachte ihre Kindheit im idyllischen Heringsdorf in Ostholstein und ihre Jugendzeit wieder in Eutin. Ihr weiterer Lebensweg führte sie über Bielefeld und Bremen ins niedersächsische Ahausen bei Rotenburg an der Wümme. Hier rückt sie mit Gehörschutz und Kettensäge so manchem Eichenstamm zu Leibe. Zum überwiegenden Teil sind die Figuren weiblicher Natur. Sie präsentieren sich selbstbestimmt und lebensfroh mit Rundungen und Schwüngen, High Heels und im farbenfrohen Outfit. Sie sind das Markenzeichen von Ragna Reusch und tummeln sich zu Hauf in ihrem Atelier. „Hinter jeder meiner Frauenskulpturen steht mein Leitspruch: ‚Ich darf das, ich darf so sein wie ich bin!‘, erklärt die Kreative.
Doch bevor die hölzernen Kunstwerke sich in der Öffentlichkeit zeigen können, ist es ein weiter Weg. Den Anfang macht das Aussuchen des passenden Holzstücks. Länge, Größe und Umfang sind entscheidende Faktoren für die spätere Bearbeitung. Eiche ist die bevorzugte Holzart der Künstlerin. Im Zeichenatelier bringt Ragna Reusch ihre Ideen zu Papier. „Alles, was ich zeichnen kann, kann ich auch mit der Säge umsetzen“, erklärt sie.

Am Holzstück selbst zeichnet sie wenig vor, stattdessen setzt sie einige Markierungen direkt mit der Säge. Wenn aus ihren Kopfhörern Musik tönt, die das Geräusch der Säge in den Hintergrund drängt, ist sie mit Vorstellungskraft und viel Gefühl ganz im werdenden Kunstwerk versunken. Gesägt wird im Schutz eines offenen Schuppens oder im Freien. Das Nacharbeiten mit Schnitzeisen und Messern geschieht im Gewächshaus-Atelier. Ist die Geburt des neuen Werks erfolgreich verlaufen, wird es mit Farben in Szene gesetzt und schlussendlich zweimal geölt.
Begriff „Rudelschnitzen“ beim Deutschen Patent- und Markenamt geschützt
Neben Kunstwerken, die sie auf Kundenwunsch herstellt, ist die Künstlerin regional, überregional, bundes- und weltweit unterwegs. Rotenburg, Thedinghausen, München, Hongkong, Helgoland und viele weitere Orte hat sie schon bereist. Beim Harzer Festival „Rocken am Brocken“ arbeitete sie mehrere Tage an einem Relief der Harzer Tiere und schnitzte zudem mit einer Gruppe von fünfzig Personen mit Schnitzmessern an kleinen Holzstückchen. Daraufhin habe sie sich den Begriff „Rudelschnitzen“ beim Deutschen Patent- und Markenamt schützen lassen. Wer gerne lebensgroße Figuren aus der Werkstatt von Künstlerin Ragna Reusch betrachten möchte, dem ist angeraten sich auf eine Wanderung auf den Nordpfaden bei Rotenburg/Wümme zur Trienenwiese zu begeben. Dort begrüßen seit vergangenem Monat neue hölzerne Pilger alle Vorbeikommenden und bieten sich als grandioses Fotomotiv an.
Doch auch kleine Schnitzereien lässt die Künstlerin in ihrem Ahauser Künstleratelier entstehen. „Haushaltsholz“, wie Kochlöffel und hölzerne Schaschlikspieße bieten sich zum Schnitzen bestens an. Beim figürlichen Schnitzen aus einzelnen Zahnstochern hilft der geschulte Blick durch eine zu starke Lesebrille, damit jede Schnitzkerbe später an der rechten Stelle sitzt. „Dass ich mich durch das Üben so sehr auf die Minis spezialisiert habe, wundert mich. Das liegt wohl daran, dass es mir so viel Spaß bringt. Schließlich werde ich dabei so ruhig, wie andere beim Strümpfe stricken“, sagt die Ahauser Bildhauerin.

In der Hummerbude PARADOX werden einige der im heimischen Atelier geborenen hölzernen Skulpturen zu sehen sein. Gut verpackt in rollbare Werkzeugkästen, werden die bis zu dreißig Zentimeter hohen und auf einem Sockel stehenden Figuren die Schiffsreise nach Helgoland antreten. „Ich reise in Gesellschafft knallbunter sommerlicher Badefiguren mit Charakter, etlicher Wäscheklammerfiguren und Zahnstocherschnitzereien“, verrät die Künstlerin, wobei ihr die Vorfreude auf dieses zweiwöchige Helgoland-Event ins Gesicht geschrieben steht.
Kleine Kunstwerke, wenn möglich aus Strandholz
Bereits zum dritten Mal gastiert sie in der Hummerbude der Künstlergruppe PARADOX, in der über das Jahr hinweg Kunstschaffende unterschiedlicher Kunstrichtungen die Gelegenheit haben ihr Können zu zeigen und ihre Werke zu präsentieren. „In oder vor der Hummerbude werde ich kleine Kunstwerke schnitzen. Wenn möglich aus Strandholz“, sagt Ragna Reusch. Mit etwas Glück und einer Portion Zeit im Gepäck können am Schnitzhandwerk Interessierte sich sogar selbst einmal spontan an einem kleinen Holzstück versuchen.

Neben ihrem Schnitzevent in der Hummerbude freut sich die Künstlerin sehr darüber in diesem Jahr genau zum Lummensprung auf der Insel zu sein. „Dieses Naturschauspiel möchte ich mir nicht entgehen lassen.“ Dabei ist sie immens gespannt, ob sie die Hochseejungvögel „tatsächlich in den Abendstunden von den Felsen springen sehen wird oder lediglich die Profifotografen mit ihren Stativen von hinten betrachten kann“. Letzteres gäbe möglicherweise eine perfekte Vorlage für neue lebensgroße oder winzig kleine Holzkunstwerke. Somit bleibt es weiterhin spannend, welche Werke Künstlerin Ragna Reusch mit Geschick und Feingefühl zukünftig zum Leben erwecken wird.
Johanna Ritter