Bente Faust ist freischaffender Musiker, Songwriter und Produzent. Gemeinsam mit Daniel Hautmann hat er das Hamburger Audio-Label Honig & Gold gegründet. Ihr neuster Podcast „Föhr nach New York – eine Auswanderergeschichte“ erscheint am 1. November. Ein Gespräch über (Familien)geschichte – und warum sie auch heute wichtig ist.
kulturkanal.sh: Erzähl doch mal: Worum geht es in „Föhr nach New York – eine Auswanderergeschichte“?

Bente Faust: Es geht in dem Podcast um die Geschichte meiner beiden Föhrer Großeltern, Inge und Hermann Rickmers. Beide sind Anfang des 20. Jahrhunderts nach New York ausgewandert – dort haben sie sich kennengelernt und verliebt. Sie haben geheiratet, eine Familie gegründet und sind in den 1950er Jahren nach Föhr zurückgekommen.
Mit welchen Quellen habt ihr gearbeitet, um diese Geschichte zu rekonstruieren?
Ich hatte das Glück, meine Oma Inge zu Lebzeiten interviewen zu können. Zwischen 2008 und 2011 habe ich mich mehrmals mit ihr hingesetzt und sie einfach erzählen lassen, während das Aufnahmegerät lief. Genau das war der Grundfundus für diesen Podcast.
Wenn wir als Honig & Gold eine Geschichte erzählen, erzählen wir immer auch ganz viel Zeitgeschichte. Du erfährst in diesem Podcast die Lebensgeschichte meiner Großeltern genauso wie die Umstände, unter denen sie gelebt haben: die Weltwirtschaftskrise, der Zweite Weltkrieg. Wir nähern uns diesen Umständen über die persönliche Ebene an.
Gibt es auch offen gebliebene Fragen oder Lücken in der Erzählung?
Ja, davon erzähle ich auch in dem Podcast: Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, war mein Großvater Herrmann Rickmers gerade in New York angekommen. Er wurde inhaftiert, vom FBI wurde ihm die Pistole auf die Brust gesetzt: Entweder du arbeitest jetzt für uns oder du kommst ins Lager. Dementsprechend hat er für das US-Militär gearbeitet und auch in der Normandie gekämpft. Er hat da nie viel drüber gesprochen. Wenn ich jetzt die Möglichkeit hätte, würde ich ihn natürlich viel mehr über diese Zeit ausfragen als damals als Siebenjähriger. Warum er 1938 aus Deutschland verschwunden ist, wie er zu den Nazis gestanden hat – wirklich wissen tu ich das alles nicht.
Im Podcast-Trailer sagst du: „Im Kern geht es darum, die Geschichte seiner Vorfahren zu kennen – und wenn du das herausfindest, dann lernst du auch etwas über dich selbst.“ Was hast du denn über dich selbst gelernt?
Ich habe etwas erfahren über die Menschen, die mich als Kind total geprägt haben. Ich habe einen Teil meiner Kindheit bei meinen Großeltern verbracht, weil meine Eltern noch sehr jung waren und in Hamburg und Kiel studiert haben. An diese Zeit habe ich sehr glückliche Erinnerungen.
Meine Großmutter hat etwas Ähnliches erlebt: Sie wurde als Kind von New York nach Föhr zu ihren Großeltern geschickt, um aufgepäppelt zu werden. Sie war als Neunjährige ganz allein elf Tage mit dem Schiff unterwegs und hat anschließend in der alten Heimat, die sie gar nicht kannte, eine total schöne Zeit verbracht. Sie hat immer gesagt, dass sie weder auf Föhr noch in New York Heimweh hatte, sie ist überall gut klargekommen. Das hat sie zu einem sehr offenen Menschen gemacht. In ihrem Haus durften alle übernachten, meine Freunde und auch Gastarbeiter. Dieses gesellige Leben mit vielen verschiedenen Menschen unter einem Dach – das hat sie auf jeden Fall an mich weitergegeben.
Du hast mit Honig & Gold schon einmal einen historischen Podcast über einen Vorfahren von dir gemacht, einen Föhrer Kapitän: „Jürgen Rickmers – Durch die Stürme des 19. Jahrhunderts“. Was war an der Arbeit an dem neuen Podcast anders?
Der Podcast über Jürgen Rickmers war ein Corona-Projekt. Das Kulturleben ist zu der Zeit ja völlig zum Erliegen gekommen, dementsprechend hatte ich in meinem Hamburger Studio überhaupt nichts zu tun und viel Zeit. Daniel und ich hatten damals von Podcasts gar keine Ahnung – das hört man auch. Dieses Mal beenden wir die einzelnen Folgen nicht einfach mit Musik, sondern teasern mit Cliffhangern die nächste Folge an. Wir sind viel strukturierter an die Sache herangegangen.
Aber ich mag auch diese punkige Herangehensweise vom ersten Podcast: Man weiß gar nicht, wie etwas funktioniert, aber macht es trotzdem, weil man ziemlich viel Bock drauf hat. Es kann auch hinderlich sein, wenn man zu viel weiß und nichts falsch machen will.
Was gleich geblieben ist: Wir haben wieder ein paar eigene Songs für den Podcast geschrieben. Für mich als Musiker funktioniert Storytelling vor allem mit Musik. In diesem Fall mit der Musik von damals: Jazz mit Kontrabass, Klavier und Bläsern, inspiriert von Billie Holiday und Miles Davis. Dazu kommen ein paar Originalaufnahmen aus der Zeit – ein Luxus, den wir uns durch die Zusammenarbeit mit dem NDR leisten konnten.
Du hast schon erzählt, was du durch den Podcast über dich selbst gelernt hast. Was können denn die Leute, die den Podcast hören, lernen?
Wir erzählen eigentlich eine Migrationsgeschichte: Meine Großeltern haben damals auf Föhr wenig Perspektiven gesehen und gesagt: Wir versuchen unser Glück in New York, wo es bereits eine friesische Community gibt. Sie haben ihre Kultur und Sprache dort gepflegt und sind später wieder zurück nach Föhr gegangen, als es wieder bessere Perspektiven gab. Auch heutzutage stehen Menschen an den Grenzen in der Hoffnung auf ein besseres Leben.
Die Beweggründe für Migration sind immer die gleichen, aber trotzdem sehen viele Menschen heute Migration kritisch. Deswegen finde ich es wichtig, diese Geschichte zu erzählen: Unsere Vorfahren haben nichts anderes gemacht. Warum wollt ihr dann, dass Menschen aus Syrien oder Afghanistan nicht zu uns kommen? Jeder sollte das Recht haben, anderswo sein Glück zu versuchen.
Außerdem haben wir uns bei der Recherche viel damit beschäftigt, wie die Nazis in den 1930er Jahren an die Macht gekommen sind: Sie sind gewählt worden, haben die Demokratie abgebaut und eine Diktatur errichtet. Wir haben einen guten Einblick bekommen, wie schnell das passieren kann, wie Propaganda ein ganzes Land mitreißen kann. Das ist ein ziemlich aktuelles Thema, wenn man sich die Erfolge der AfD und deren Parolen anguckt. Es ist nicht eins zu eins das gleiche, aber ich fühle mich schon ganz schön stark an damals erinnert. Wir müssen tierisch aufpassen, nicht den Faschisten die Macht zu übergeben.
Das sind für mich die beiden Learnings aus diesem Podcast gewesen. Ich hoffe die Leute, die ihn hören, haben ähnliche Erkenntnisse.
Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für den Release!
Am Freitag, den 1. November 2024, erscheint der Podcast „Föhr nach New York – eine Auswanderergeschichte“ in der ARD-Audiothek. Eine Woche nach dem Release der deutschsprachigen Version erscheint die friesische Version des Podcasts. Am Montag, den 4. November 2024, geht der Soundtrack online. Am Donnerstag, den 20. Februar 2025, wird im Kurgartensaal in Wyk auf Föhr eine Bühnenversion des Podcasts aufgeführt, in Kooperation mit der Föhr Tourismus GmbH.
Transparenzhinweis: Der Podcast ist eine Koproduktion von NDR Schleswig-Holstein und der Ferring Stiftung mit Honig & Gold. Die Interviewerin Pauline Reinhardt arbeitet als freie Journalistin für den NDR Schleswig-Holstein, war aber nicht an der Produktion beteiligt.