Joachim Meyerhoff ist zurück mit einem neuen Buch, dem sechsten Band seiner autobiografischen Reihe. Der Titel lautet Man kann auch in die Höhe fallen.
Reihe: Alle Toten fliegen hoch
Wer es noch nicht mitbekommen hat: Der Theaterschauspieler hat vor 13 Jahren damit begonnen, in der Buchreihe Alle Toten fliegen hoch autobiografisch auf sein Leben zurückzuschauen. Im ersten Band, Amerika, erzählt er von seinem Austauschjahr in den USA, in Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war berichtet er vom Aufwachsen auf dem Gelände der Psychiatrie in Schleswig, die sein Vater leitet. Die weiteren Bände handeln von seinem Erwachsenenleben: In Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke zieht Joachim Meyerhoff für das Schauspielstudium bei seinen Großeltern in München ein. In Die Zweisamkeit der Einzelgänger dreht sich das Leben des damals noch erfolglosen Provinzschauspielers um seine Beziehungen zu drei verschiedenen Frauen. In Hamster im hinteren Stromgebiet ist der Autor und Erzähler plötzlich 50 Jahre alt und liegt nach einem Schlaganfall im Krankenhaus.
Jetzt also Man kann auch in die Höhe fallen. Schon von Anfang an weiß man: Das Buch wird nicht die Lücke zwischen den Zwanzigern und den Fünfzigern des Autoren füllen und somit das Geheimnis lüften, wie aus dem Provinzschauspieler jemand werden konnte, der auf den großen Bühnen der deutschsprachigen Theaterwelt steht. Denn Joachim Meyerhoff ist jetzt Mitte 50. Er ist gerade mit seiner Freundin und dem gemeinsamen Sohn nach Berlin gezogen, als er eine Krise erleidet – und sie bei seiner Mutter in einem Dorf auf der Halbinsel Angeln auskuriert.
Krise, die nur auf dem norddeutschen Land bekämpft werden kann
Das Haus, in dem Joachim Meyerhoffs Mutter lebt, kennt man schon aus den vorigen Bänden. Es ist das ehemalige Ferienhaus der Familie. Auch das Motiv der Krise, die nur auf dem norddeutschen Land bekämpft werden kann, kennt man bereits – aus Dörte Hansens Altes Land und Judith Hermanns Daheim.
Aber was soll man tun, wenn der psychische Ausnahmezustand eine autobiografische Wahrheit und kein Klischee ist? Und bei wem sollte man ansonsten unterkriechen, wenn man sagt: „Ich bin nicht gut beieinander, Mama“?

Joachim Meyerhoff: Man kann auch in die Höhe fallen
Alle Toten fliegen hoch, Band 6
Köln 2024: Kiepenheuer&Witsch
368 Seiten, 26 Euro
ISBN: 978-3-462-00699-5
Über die Toten sei alles gesagt
Joachim Meyerhoff stellt sich nicht die Frage, wie er seine Krise bekämpfen soll. Er fragt sich nur, worüber er schreiben, welche Pflanzen im großen Garten er ausreißen und wann er in der Ostsee baden gehen soll.
Seine Mutter gibt ihm die Antworten. Besonders die Frage nach dem Worüber-schreiben thematisieren die beiden miteinander. Im Interview mit dem Hamburger Abendblatt sagt Joachim Meyerhoff über das biografische Schreiben: „Leute, die vorkommen, müssen teilweise so verfremdet werden, dass sie sich nicht wiedererkennen, das ist ganz wichtig. Der Verlag ist inzwischen viel akribischer als in meinen ersten Büchern, da hat man mich einfach so machen lassen. Da wundere ich mich jetzt selbst manchmal drüber.“
In Man kann auch in die Höhe fallen stellt er außerdem fest, über die Toten der Familie sei alles gesagt. In den vorigen Bänden hat er bereits über seinen Bruder, seinen Vater und seine Großeltern geschrieben. Seine Mutter schlägt ihm vor: Schreib doch über mich.
Das ist eine ganz hervorragende Idee, denn Joachim Meyerhoffs Mutter ist eine sehr interessante Frau. Am besten lässt sie sich durch eine Textpassage erklären:
»Weißt du …«, begann meine Mutter, »ich kann mir mein Leben als zwei unterschiedliche Geschichten erzählen.«
Sie erzählt von den zwei unterschiedlichen Geschichten: die eine voller Kummer, furchtbaren Erlebnissen, dem Fast-Zerbrechen an Betrug und Tod, die andere voller Mut, Frieden machen, herrlichen Zeiten.
»Das sind meine beiden Geschichten, mein lieber Sohn, und ich habe lange gebraucht, bis sie zusammengefunden haben und zu einer Geschichte geworden sind.« Sie stand auf, reichte mir die Hand, um mir aufzuhelfen.
Den Blick von sich selbst abwenden
Joachim Meyerhoff richtet den Blick also auf seine Mutter und auf eine Hand voll Theatergeschichten, die er aus seiner Erinnerung hervorkramt. Er wendet sich von sich selbst ab. Damit korrigiert er den Fehler des vorigen Bandes, Hamster im hinteren Stromgebiet, der vor allem eine anstrengende Selbstbeschauung ist, weil der Schriftsteller darin seinen Schlaganfall verarbeitet – ohne den dringend benötigten zeitlichen Abstand zu dem Erlebten.
Wenn Joachim Meyerhoff aber wie in dem neuen Band sein Vergangenheits-Ich oder andere Menschen betrachtet, dann treten seine schriftstellerischen Stärken zutage: traurig und lustig zugleich sein. Die beiden unterschiedlichen Geschichten zusammenbringen. Eine Geschichte erzählen, anstatt sie zu schreiben.
Den Rest denken wir uns
Und natürlich geht es auch in Man kann auch in die Höhe fallen um Joachim Meyerhoff. Schließlich schreibt er biografisch. Es benötigt kaum Küchenpsychologie, um aus den Erinnerungen und dem Verhalten der Mutter auf den Sohn zu schließen. Die Spiegelung erfolgt ganz automatisch. Es steht einfach da, was passiert. Den Rest denken wir uns.