Wut, Proteste und Propaganda: In der Landvolkbewegung der 1920er Jahre entzündete sich bäuerlicher Widerstand gegen wirtschaftliche Not. Die anfangs autonome Bewegung wurde zunehmend von der NSDAP vereinnahmt. Ein Team um die Kieler Filmemacherin Quinka Stoehr im 1990 fertiggestellten Film „Stumpfe Sense – scharfer Stahl“ zeigt, wie sich die Bauernschaft radikalisierte. Von Januar bis April wird der Film über die Landvolkbewegung in mehreren Orten in Schleswig-Holstein wieder gezeigt. Im Interview mit Quinka Stoehr zeigt sich: Der Streifen ist erschreckend aktuell.
Bauernproteste damals und heute
Quinka, im Frühjahr 2024 demonstrierten Bäuer:innen für Diesel-Subventionen, viele protestierten auch gegen die Regierung. Das war Anlass für dich, deinen Film „Stumpfe Sense – scharfer Stahl“ zu zeigen, der sich mit der Landvolkbewegung der 1920er Jahre befasst. Jetzt geht die Tournee weiter. Warum, zurzeit gibt’s doch gar keine Proteste?
Quinka Stoehr: Das stimmt nicht ganz. So wird unter anderem die Fahne der Landvolk-Bewegung immer wieder bei Protesten geschwenkt. Inzwischen auch nicht mehr nur in Schleswig-Holstein, sondern bundesweit.

Diese Fahne zeigt auf schwarzem Grund einen weißen Pflug und ein stilisiertes, rotes Schwert. Das Symbol ist nicht verboten, taucht aber im Kontext rechter Demonstrationen auf. Was bedeutet diese Fahne, und was hat es mit der Landvolkbewegung auf sich?
Stoehr: Das Landvolk begann als autonome bäuerliche Protestbewegung. Dafür gab es Gründe, denn Ende der 1920er Jahre war die Not groß, viele Höfe waren hochverschuldet, es kam zu Zwangsversteigerungen. Die Bauern wandten sich an die Regierung, bekamen aber nicht die Hilfe, die sie sich erhofft haben. Also haben sie in Eigenregie, jenseits ihrer Verbände, Protestformen entwickelt. Das ging soweit, dass sie gewaltsam gegen Versteigerungen vorgingen und zu Steuerstreiks aufriefen. Ein militanter Flügel legte Bomben in Regierungsgebäuden. Die Fahne tauchte erstmals in Neumünster auf. Peter Petersen, der im Film als Zeitzeuge auftritt, hat sie erfunden. Als die Polizei versuchte, die Fahne aus der Menge herauszuholen, kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen und Verletzten. Danach wurden Pflug und Schwert zum Symbol der Bewegung.
Anfangs zu anarchistisch für die NSDAP
Der Film zeigt mit historischen Fotos und Zeitzeugeninterviews, wie die Bewegung immer weiter in Richtung der NSDAP rückte. Wie kam es dazu?
Stoehr: Die Bewegung war von vornherein antiparlamentarisch, völkisch und antisemitisch, das kann man in den Reden der Landvolk-Führer nachlesen. Damit war sie an die Ideologie der NSSAP anschlussfähig, doch die Partei lehnte sie anfangs ab, weil sie zu anarchistisch war. Man distanzierte sich in der Öffentlichkeit von den Protestformen, NSDAP-Mitglieder durften nicht gleichzeitig beim Landvolk aktiv sein. Das änderte sich 1930.

Historische Vergleiche sind immer schwierig, dennoch kommt einem vieles bekannt vor. Lässt sich aus den damaligen Ereignissen eine Lehre für heute ableiten?
Stoehr: Ich denke ja. Damals wie heute gibt es durchaus Gründe für Unmut – und damals wie heute ist es wichtig, nicht Parolen zu folgen, sondern nach echten Lösungen zu suchen. Die NSDAP stand zwar scheinbar auf der Seite des Landvolks, in Wahrheit aber vertrat die Partei ganz andere Interessen. Unser Film macht auch deutlich, dass die Rechte keine eigene Mehrheit hatte: Bürgerliche Kräfte haben sie an die Macht gebracht. Die Bauern wurden zur Schwungmasse der NSDAP, die aus taktischen Gründen deren Forderungen übernommen hat.
Wie kamst du selbst zu dem Thema, warum hast du diesen Film gemacht?
Stoehr: Ganz wichtig: Ich habe ihn natürlich nicht allein gemacht, sondern im Team, gemeinsam mit Jens Schmidt und Kay Ilfrich. Den Anstoß gab, dass ich meine Examensarbeit an der Uni Kiel im Fach Geschichte über die Landvolkbewegung und die Ursachen der Radikalisierung der Bauern geschrieben habe. Zum damaligen Zeitpunkt war die NS-Forschung nicht so weit wie heute. Mich interessierte die Entstehung von Faschismus auf dem Land und wie aus einer autonomen Bewegung dieser Stimmenzuwachs für die NSDAP entstand. Im Lauf der Recherche stieß ich auf zwei Zeitzeugen, nämlich den Erfinder der Fahne, Peter Petersen, und Margarete Hamkens, deren Mann einer der Führer der Bewegung war. Das Thema war regional und spannend, und im Team entwickelten wir die Idee für den Film, basierend auf Zeitzeugengesprächen, Fotos und filmischem Archivmaterial. Dass das Thema heute so aktuell ist, freut das Filmemacherherz, aber es erschreckt, dass Bauern an diese Geschichte anknüpfen.
Tournee dauert noch bis April
Die Tournee der Filmabende startete im Husumer „Speicher“, geplant sind weitere Aufführungen bis in den April, immer mit einer Diskussion im Anschluss. Es geht um Rechtsruck damals und heute, um rechte Narrative. Sehr wichtig, aber man geht auch etwas frustriert nach Hause, oder?
Stoehr: Ich glaube, die Besucher:innen gehen gar nicht frustriert raus. Bei den Abenden, die bereits stattgefunden haben, gab es ungeheuren Gesprächsbedarf und sehr interessante Diskussionen über rechte Narrative und historische Perspektiven des Rechtsrucks auf dem Land. Die Tournee will Gesprächsangebote schaffen. Es kommen Bäuer:innen, Omas gegen Rechts und viele andere. Ich hoffe, dass sich aus den Filmabenden etwas Neues ergibt.
Der Film „Stumpfe Sense – Scharfer Stahl, Bauern, Industrie und Nationalsozialismus“ stammt aus dem Jahr 1990, Regie führten Quinka Stoehr, Kay Ilfrich und Jens Schmidt. Das 90-minütige Werk ist an folgenden Terminen zu sehen:
24. Januar 2025, 18.00 Uhr: Theater Itzehoe
30. Januar 2025, 19.00 Uhr: Klein Wittensee, Hofrestaurant Glücksstück;
weitere Termine ab Februar: Kino Burgtheater Ratzeburg, Koki Lübeck, Filmtheater Burg auf Fehmarn, Meldorf Dithmarscher Landesmuseum, Kommunales Kino Bad Schwartau, Bürgerhaus Kaltenkirchen, Lichtblick Kino Büsum, Museum Elmshorn, Savoy Kino Bordesholm und anderen.