Menschen im Kulturbetrieb: Filmemacherin Quinka Stoehr

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Seit Ende der 1980er Jahre dreht die Kielerin Quinka Stoehr Dokumentarfilme. Begonnen hat sie als Studentin mit einer geliehenen VHS-Kamera. Heute, viele Filme später, ist eines ihrer frühen Werke wieder erschreckend aktuell.

„Ich war empört“: Das sagt Quinka Stoehr auf die Frage, warum sie ihren ersten Film drehte. „Vergessen kann ich das nie“, heißt der 100 Minuten lange Streifen. Er arbeitet die Geschichte einer Vergewaltigung und des folgenden Gerichtsprozesses auf. Von dem Fall erfuhr Stoehr als ehrenamtliche Aktivistin beim Frauennotruf Kiel, den sie in den 1980er Jahren mitbegründet hatte. Es ging um Übergriffe eines hochrangigen Beamten der Stadtverwaltung Lauenburg gegen zwei Mitarbeiterinnen. Freiwillige des Frauennotrufs begleiteten Vergewaltigungsopfer zu Prozessen, damals eine ganz neue Idee. Bei diesem Prozess kam der Mann mit einer kleinen Strafe davon.

Für den ersten Film lieh Stoehr eine Kamera

Das wollten Stoehr und ihre Mitstreiter:innen nicht auf sich bewenden lassen. Sie liehen eine Kamera vom Studentenwerk und begannen zu drehen. Doch dann „kam auf einmal ein Anruf aus dem Innenministerium“, erinnert sich Stoehr. „Angeblich würden unsere Dreharbeiten ein mögliches Disziplinarverfahren stören.“ Das Studentenwerk zog die Kamera zurück, das Projekt schien am Ende. „So eine Kamera kostete 5.000 Mark, richtig viel Geld damals.“ Dank einer Erbschaft, die ein Mitglied der Gruppe gemacht hatte, konnte die Gruppe weitermachen. Der Film lief auf Festivals und „erregte richtig viel Aufsehen, das war ein Tabubruch damals“, sagt die Filmemacherin. Der Fall habe die „Mechanismen der Gewalt gegen Frauen im Alltag“ gezeigt, so Stoehr. „Vergewaltigung beginnt und endet nicht mit der Tat, sondern ist Produkt unseres Alltags, findet in ihm ihre Vorbereitung und ihre Vertuschung.“

Der zweite Film: die Landvolk-Bewegung

Eigentlich studierte Stoehr, die 1959 in Flensburg geboren wurde, in Kiel Geschichte und Deutsch auf Lehramt. Doch nach dem Erfolg des Erstlingswerks war klar: „Ich wollte Filme machen.“ Als zweites Thema wählte sie die Landvolk-Bewegung in Schleswig-Holstein, über die sie ihre Abschlussarbeit in Geschichte geschrieben hatte.

Pflug und Schwert: Unter dieser Fahne vereinigte sich die Landbevölkerung.

Die Landvolk-Bewegung entstand in der schwierigen Lage vieler bäuerlicher Betriebe in den Jahren der Weltwirtschaftskrise in den 1920er Jahren. Bauern solidarisierten sich, gründeten eine eigene Zeitung und gaben sich eine Fahne – Pflug und Schwert, heute wieder auf Demonstrationen zu sehen. Sie entwickelten „ganz neue Ausdrucks- und Protestformen jenseits der Parteien und berufsständischen Verbände“, heißt es auf der Homepage der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte. Doch die Bewegung gilt auch als antisemitisch, völkisch und antiparlamentarisch. Ihr Erfolg könnte ein Grund für die große Zustimmung zur NSDAP in Schleswig-Holstein in den frühen 1930er Jahren sein.

„Ich finde es beunruhigend, dass das Thema wieder so aktuell ist“

Dokumentarfilmerin Quinka Stoehr

Für den Film „Stumpfe Sense – scharfer Stahl“ interviewte Stoehr mehrere Zeitzeug:innen. Aus Anlass der heutigen Bauernproteste wird der Film von 1990 wieder gezeigt. Eine Aufführung mit anschließender Diskussion findet am 23. Mai, 19 Uhr, in Neumünster in der Stadthalle statt. Eine weitere gibt es am 18. Juni ab 18 Uhr im Dithmarscher Landesmuseum in Meldorf, auch hier mit anschließender Diskussion. Weitere Vorführungen sind angedacht, Termine stehen aber noch nicht fest. Zwar freut sich die Filmemacherin darüber, dass ihr Werk wieder auf die große Leinwand kommt. Aber vor allem „finde ich es beunruhigend, dass das Thema wieder so aktuell ist“.

Nach zwei Filmen folgte ein Studium

Damals bedeutete der zweite Film eine biografische Weichenstellung für Stoehr. Sie begann ein Studium in Hamburg an der Hochschule für Bildende Künste, wo sie sich auf Visuelle Kommunikation und Dokumentarfilm konzentrierte. „Wir machten alles autodidaktisch, und ich hatte den Eindruck, dass ich an meine Grenzen stieß“, erinnert sie sich.

Dokumentarfilm-Pionierin Gisela Tuchtenhagen – Stoehr würdigte sie mit einem Film.

Während und nach dem Studium drehte sie weiter. Zeigte den Lebensweg von Menschen in einem Dorf in Mecklenburg-Vorpommern. Portraitierte ihre Vorbilder Gisela Tuchtenhagen, die als eine der ersten deutschen Dokumentarfilmerinnen gilt, und dem Dokumentarfilmer und „Meister des nahen Blicks“, Klaus Wildenhahn. Spätere Filme zeigen Episoden aus Flensburg und Neumünster.

Ohne Filmförderung wäre die Arbeit nicht möglich

Für solche Projekte braucht es Fördermittel. Aber in Schleswig-Holstein gab es bis in die 90er Jahre keine eigene Filmförderung. Stoehr gehörte zu den Filmschaffenden, die sich dafür einsetzen, das zu ändern. „Wir haben alle ins Boot geholt, die im Land etwas mit Film zu tun hatten, von Filmschaffenden bis zu den kommunalen Kinos.“

Obwohl sie selbst erfolgreich Mittel für ihre Filmideen einwerben konnte – „man muss die Idee gut beschreiben und zeigen, dass es innovative Ansätze gibt“ – hat sie parallel stets unterrichtet. 2011 kehrte sie sogar eine Zeit lang komplett an eine Schule zurück. Heute ist sie als Dozentin an der Hochschule Flensburg tätig und kann beide Säulen, das Lehren und das Filmen, verbinden. So dreht sie mit Studierenden ein Dokumentarstück über den TV-Moderatoren und Schauspieler Ilja Richter. Er folgt im KZ Neuengamme den Spuren seines Vaters Georg Richter, einem kommunistischen Widerstandskämpfer.

Auf Spurensuche im KZ Neuengamme: Showmaster Ilja Richter erinnert an seinem Vater Georg.

So schön die Arbeit mit Studierenden und die Lehre seien, „mir fehlt es, größere Filme zu machen“, sagt Quinka Stoehr, die oft mit ihrem Mann Fredo Wulf zusammenarbeitet. Die nächsten Projekte liegen bereits in der Schublade und warten, dass Stoehr in zwei Jahren in Rente geht. „Ich freue mich drauf.“

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