Titel, Thesen, Temperaturen

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Was gab es Ende 2024 für einen Aufschrei: Thilo Mischke sollte neuer Moderator des (vielleicht, neben der „Westart“) letzten ernst zu nehmenden Kulturmagazins im deutschen Fernsehen werden. Ein Autor, der – wiewohl auch investigativ tätig – bisher eher durch zweifelhafte Bücher auf sich aufmerksam gemacht hat. Der Aufschrei war zurecht groß und soll hier gar nicht wiederholt werden. Mittlerweile wurde die Entscheidung unter dem Druck der Öffentlichkeit revidiert. Aber es bleibt ein schaler Beigeschmack.

Unterkomplexer Kulturbegriff

Die Temperaturen in der Debatte waren hoch. Was hat die Redaktion geritten, Mischke als Moderator vorzusehen? In der ganzen aufgeheizten Diskussion ist etwas untergangen, nämlich ein irritierender Halbsatz der Selbstdarstellung des designierten Moderators. Vielleicht hat er auch nur diejenigen irritiert, die das Magazin kennen und vielleicht noch nicht einmal die. Die Verantwortlichen beim Sender offenkundig nicht. Mischke betonte, er habe einen „unterkomplexen Kulturbegriff“. Nanu? Was meinte er damit?

Die weiteren Aussagen kontextuell eingeordnet, wollte er wohl sagen, ihm sei daran gelegen „Kultur“ zu öffnen, die Schwellen niedrig zu legen, um ein abgegriffenes Bild zur Illustration zu verwenden. Unabhängig davon, dass Mischke wohl die begriffliche Unterscheidung von „Kunst“ und „Kultur“ entweder nicht geläufig oder nicht so wichtig ist (sowohl das eine wie das andere wäre für einen Moderator einer Kultursendung mehr als fatal), lässt die Formulierung doch aufhorchen. Denn mit einem „unterkomplexen“ Kulturbegriff lassen sich Kunst und Kultur nicht fassen. Zudem wertet es diejenigen ab, die sich als Künstlerinnen und Künstler mit großem Herzblut engagieren. Wenn man diesem Wirken nur „unterkomplex“ begegnen will, sind die meisten Mühen umsonst. Dann reicht vielleicht wirklich eine KI zum Malen und Komponieren? Da waren wir in der Diskussion schon mal weiter.

Stil über Inhalt, Ästhetik über Moral

1964 erschien der Essay „Notes on Camp“ der amerikanischen Philosophin Susan Sontag. „Camp“ – was man vielleicht umgangssprachlich mit „Kitsch“ übersetzen kann – definierte sie als eine Art von Sensibilität, die Welt durch die Brille der Ästhetik zu betrachten. „Camp“ zeichnet sich in dieser Perspektive durch Übertreibung, Künstlichkeit, Ironie und eine Vorliebe für das Unnatürliche aus. Es stellt Stil über Inhalt und Ästhetik über Moral. Da ist viel Theatralik, Humor und sentimentale Ironie, ohne hämisch zu werden. Je unfreiwilliger „Camp“ ist, umso authentischer. „Notes on Camp“ verstand sich als ernst zu nehmende Gesellschaftskritik, denn subversive Ästhetik stellt Normen infrage. Künstlichkeit und Ironie gut durchdacht, dekonstruieren (schlechten) Geschmack. Das bietet, so Sontag, auch eine Plattform für queere und nonkonforme Ausdrucksformen, die soziale Hierarchien relativieren können. Vorsicht sei nur da geboten, wo der Stil den Inhalt allzu sehr überlagert wie eine grelle Zuckerbäckerkruste die Torte. Die kritische Auseinandersetzung mit „Camp“ aber lohnt auf jeden Fall und bietet genug Spielraum zur Diskussion zwischen Kitsch, Kommerz und Komplexität. Mit dieser Diskussion kann man Barrieren und Schwellen abbauen. Da braucht es keinen „unterkomplexen Kulturbegriff“, der jedem ernsthaften Kulturangebot Hohn spricht.

Kunst und Kultur müssen nicht immer bierernst daherkommen, aber ernst genommen werden müssen sie schon. Und wem das Angebot zu komplex ist, mag sich in kultureller Bildung und Vermittlung üben. Wer das nicht will (oder nicht kann), ist für die Moderation einer Kultursendung schlicht nicht geeignet. Die zuständige Redaktion muss sich indes nach ihrem eigenen Kulturbegriff fragen lassen.

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