Mohammad Rasoulof im Gespräch (Teil 1)

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Mohammad Rasoulof gehört aktuell zu den bedeutendsten Filmemachern des Iran. Seine Werke hinterfragen die systematische Unterdrückung und Gewalt des Regimes und haben ihm nicht nur weltweite Anerkennung, sondern auch Verfolgung und mehrmalige Haftstrafen in seinem Heimatland eingebracht. Nach einer riskanten Flucht aus dem Iran lebt er nun in Hamburg. Sein Film Die Saat des heiligen Feigenbaums ist für den Oscar als bester internationaler Film nominiert. Die Lyrikerin und Autorin Shima Kimia spricht mit ihm über Kunst und Aktivismus, das Exil und die unaufhaltsame Kraft der iranischen Protestbewegung.


Shima Kimia: Herr Rasoulof, als Iranerin im Exil, die aus politischen Gründen geflohen und sich in Deutschland ein neues Leben aufgebaut hat, haben mich Ihre Werke zutiefst berührt. Unzähligen Menschen, die vor dem Mullah-Regime geflohen sind, geht es wahrscheinlich genauso.

Als Deutsche bin ich darüber hinaus stolz, dass die MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein Ihren aktuellen Film Die Saat des heiligen Feigenbaums unterstützt hat. Sie haben mit Ihrem Film die Bewegung Frau, Leben, Freiheit weiter gestärkt und der Welt gezeigt, dass dieser Kampf noch nicht beendet ist.

Vor nicht einmal einem Jahr sind Sie aus Ihrer Heimat geflohen, nun ist der Film für den Oscar nominiert. Wie fühlen Sie sich?

Mohammad Rasoulof: Ich befinde mich in einer emotional widersprüchlichen Lage. Ehrlich gesagt dachte ich manchmal, dass der Film nie fertiggestellt würde. Letztes Jahr um diese Zeit waren wir am Beginn der Dreharbeiten. Wir arbeiteten damals jeden Tag mit enormem Stress und sagten uns immer wieder: „Wir haben wieder ein kleines Stück geschafft. Hoffentlich wird morgen nichts dazwischenkommen.“ Jetzt, da der Film fertig ist – mit all seinen Unvollkommenheiten, mit all den Einschränkungen, die sich zwangsläufig aus den gegebenen Bedingungen ergaben –, bin ich sehr glücklich über seine Existenz.

„In den vergangenen Monaten sind nicht nur für mich persönlich viele Dinge passiert, sondern auch für den Iran.“ Shima Kimia im Gespräch mit Mohammad Rasoulof. Foto: Kristof Warda

Gleichzeitig empfinde ich aber auch eine große Sehnsucht nach meinem Heimatland, in dem ich die Welt kennengelernt habe – und der iranischen Kultur, die mir als Fenster die Welt gezeigt hat. Ich vermisse meine Kollegen, meine Freunde, meine Zimmerpflanzen und so vieles mehr.

Es ist nun fast zehn Monate her, dass ich den Iran verlassen habe. Aber in diesen zehn Monaten sind nicht nur für mich persönlich viele Dinge passiert, sondern auch für den Iran – unglaublich viele Ereignisse, die meine Hoffnung auf Demokratie im Iran weiter gestärkt haben. Deshalb würde ich sagen, dass es wie immer im Leben ist: Gutes und Entmutigendes existieren nebeneinander.

Sie reisen seit 2012 regelmäßig nach Deutschland. Kann man sagen, dass Sie erst jetzt einen Kulturschock erleben? 

Nicht einmal jetzt, würde ich sagen. Wenn mich jemand fragt: „Was halten Sie von Ihrem Exil?“, dann sage ich: „Ich bin noch nicht einmal wirklich dort angekommen.“ Ich bin noch in einer Art embryonalen Phase dieses Exils, weil ich die ganze Zeit unterwegs war. Von den zehn Monaten, die ich nun außerhalb Irans bin, habe ich acht Monate auf Reisen verbracht – ständig unterwegs mit dem Film, auf Festivals, in Cannes, auf der Berlinale und vielen anderen. Deshalb denke ich, es ist noch zu früh, um wirklich zu verstehen, was passiert ist. 

Wie erleben Sie die Reaktionen auf Ihren Film in verschiedenen Ländern und Kulturen?

Es ist eine bewegende Erfahrung. Meinen vorherigen Film Doch das Böse gibt es nicht habe ich erst vor Kurzem zum ersten Mal auf der Leinwand sehen können. Das war in Portugal. Was außerhalb des Irans im Kopf des Publikums durch meine Filme entsteht, war nicht unbedingt meine Absicht. Und genau das finde ich faszinierend – dass das Publikum einen Teil des Werks in seinem eigenen Kopf vervollständigt.


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Die Saat des heiligen Feigenbaums hat bereits zahlreiche Flmpreise auf internationalen Festivals gewonnen. Darunter den Sonderpreis der Jury auf dem Filmfestival in Cannes. Als bester ausländischer Film ist er für den Oscar nominiert.

Die Saat des heiligen Feigenbaums hingegen habe ich inzwischen in vielen verschiedenen Kontexten erlebt, in Ländern von Südkorea bis in die USA. Jedes Mal habe ich neue Aspekte entdecken und viel Empathie erleben dürfen. Das ist für uns besonders bedeutungsvoll, die wir aus einer geschlossenen Kultur stammen – für uns, die ihre Kindheit und Jugend in einer repressiven Gesellschaft erlebt haben. Ich erinnere mich daran, dass uns in meiner Jugend sogar leere Musikkassetten abgenommen wurden – es wurde nicht einmal gefragt, was wir darauf aufnehmen wollten. So stark war die Kontrolle.

Ich habe aber auch festgestellt, dass menschliches Leid, auch wenn es aus einer bestimmten geografischen Region stammt, universelle Dimensionen hat. Ich denke, die wichtigste Aufgabe des Kinos besteht darin, Geschichten so zu erzählen, dass sich Menschen in verschiedenen Kulturen mit ihnen identifizieren und mitfühlen können. 

Sie haben Soziologie studiert. Wie sind Sie zum Film gekommen?

Ich habe tatsächlich mit einem Filmstudium begonnen, es aber abgebrochen, um Soziologie zu studieren. Eine präzise, fragende Sicht auf die Welt war für mich essenziell. In meinen Filmen verhandle ich meine Fragen an die Welt. Es geht also mehr darum, wie ich diese Fragen mit meinem Publikum teilen kann. Ich dachte, dass ich das Handwerk auf meinem beruflichen Weg nach und nach lernen kann. Wenn Sie genau hinschauen, merken Sie, dass sich meine Filme nicht wirklich ähneln. Jeder Film ist eine neue cineastische Erfahrung. Ich genieße es bis heute, beim Filmemachen zu lernen und Neues zu erleben.

Sehen Sie sich eher als Künstler oder als Aktivisten?

Ich glaube, ein moderner Mensch kann seiner Umgebung gegenüber nicht gleichgültig sein. Und selbst in einer Demokratie liegen Kunst und Aktivismus sehr eng beieinander. Schauen Sie sich Hollywood an – viele Schauspieler engagieren sich in Umweltfragen oder äußern sich zu gesellschaftlichen Themen.

„Die wichtigste Aufgabe des Kinos besteht darin, Geschichten so zu erzählen, dass sich Menschen in verschiedenen Kulturen mit ihnen identifizieren und mitfühlen können.“

Aber wenn Sie in einem System leben, das unter autokratischer Herrschaft steht, dann wird alles politisch – da liegt es nicht in Ihrer Hand. Denn eine Diktatur bezieht alles auf sich. Der Totalitarismus vereinnahmt alle Bereiche: Wenn Sie in Teheran einen Film über die Luftverschmutzung drehen wollen, dann ist das ein politischer Film. Denn die Luftverschmutzung in Teheran hat ihre Wurzeln in Missmanagement, der Qualität der Autoherstellung, der Treibstoffproduktion usw. Wenn Sie dann untersuchen, warum der Treibstoff so schlecht ist, kommen Sie zur Außenpolitik der Regierung. Wenn Sie die Qualität der inländischen Autoherstellung hinterfragen, gelangen Sie zur politischen Strategie der Regierung in Bezug auf Importbeschränkungen. Warum wird darauf bestanden, die einheimische Autoindustrie trotz ihrer schlechten Qualität am Leben zu halten?

Sie befinden sich immer in einer Konfrontation mit der totalitären Macht. Wie könnten Sie sich davon loslösen? Es sei denn, Sie entscheiden sich bewusst dafür, gleichgültig zu bleiben – doch auch das ist eine politische Entscheidung. Denn wenn Sie die Augen vor der Realität verschließen, entscheiden Sie sich letztlich für die Machthaber.

Sie wurden im Iran mehrfach verhaftet, durften eine Zeitlang das Land nicht verlassen und konnten zum Beispiel den Goldenen Bären der Berlinale 2020 für Doch das Böse gibt es nicht nicht persönlich entgegennehmen. In einem Interview sagten Sie, dass Freiheit Ihre größte Motivation ist. Was bedeutet Freiheit für Sie?

Der Tag, an dem ich frei in mein Land zurückkehren kann – das ist Freiheit. Mein Idealbild ist eine freie iranische Gesellschaft, in der unterschiedliche Ethnien und Kulturen gleichberechtigt und ohne Angst zusammenkommen können.

Können Sie nun zumindest frei arbeiten?

Früher war mein Arbeitsraum klein, ich konnte nicht heraus und ich stand unter ständigem Druck des Regimes. Jetzt ist es umgekehrt: Ich bin draußen und kann nicht zurück. Vielleicht habe ich jetzt weniger Einschränkungen als zuvor, aber ich habe immer noch große Begrenzungen. Ich möchte in meinem eigenen Land Filme drehen. Ich möchte in meiner Muttersprache arbeiten. Aber die Frage, die ich mir jetzt stelle, ist: Wie kann ich nun meine Geschichten erzählen? Wie kann ich trotz allem den Bezug zu meiner Kultur bewahren? 

Können Sie sich vorstellen, sich auch mit den Themen iranischer Menschen im Exil zu beschäftigen? Mit denjenigen, die hierhergekommen sind und versuchen, sich ein neues Leben aufzubauen? 

Ja, absolut. Das ist ein Teil meiner Ideen – zu erzählen, wie viele Iraner in den letzten Jahrzehnten gezwungen wurden, ihr Land zu verlassen. Sie alle haben ihre eigenen Geschichten, ihre eigenen realen Erlebnisse. Und das sind einzigartige und neue Themen, die es wert sind, erforscht und erzählt zu werden.

„Wenn Sie die Augen vor der Realität verschließen, entscheiden Sie sich letztlich für die Machthaber.“

Zum Glück leben wir in einer Zeit, in der die digitale Vernetzung geografische und nationale Grenzen zunehmend auflöst. Wenn wir heute über Iran sprechen, müssen wir uns nicht mehr nur auf die Landesgrenzen beschränken. Es gibt so etwas wie eine kulturelle Nation Iran. Iranerinnen und Iraner auf der ganzen Welt sind durch die persische Sprache, persische Poesie, Kunst und Ideen miteinander verbunden. Das erinnert mich an die digitalen Cloud-Systeme: Man kann sich überall auf der Welt befinden, aber dennoch verbunden sein. Natürlich bleibt das geografische Iran essenziell, aber es gibt mittlerweile eine neue Form des kulturellen Austauschs.

Man hat Künstler immer eingeschüchtert mit der Behauptung, dass sie sterben würden, wenn sie ihr Land verlassen, dass sie nicht mehr arbeiten könnten …

Vielleicht war das in bestimmten Phasen wahr. Vor 40 Jahren, als viele iranische Künstler ins Exil gezwungen wurden, sprach niemand über sie. Niemand fragte, was aus Schauspielern wie Saeed Soltanian oder aus den exilierten Sängerinnen geworden ist. Heute ist es anders. Junge Iranerinnen und Iraner singen auf Instagram, teilen Inhalte, verbreiten ihre Kunst – die digitale Welt hat alles verändert.

In Ihren Filmen zeigen Sie immer wieder starke Frauenfiguren, die unter einem zutiefst frauenfeindlichen System leiden. Für mich war eine der einprägsamsten Szenen in Die Saat des heiligen Feigenbaums diejenige, in der eine Frau an ihren Haaren über den Boden gezogen wird. Am Ende wird ein Mann getötet und von Trümmern begraben. Welche Botschaft steckt in diesen Bildern?

Das Gespräch wurde auf Farsi geführt. Übersetzung: Shima Kimia. In Kürze finden Sie hier den Link zur Original-Version.

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