Kleidung voller Erinnerungen und Respekt

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Im Pinneberg Museum zelebriert eine neue Ausstellung das Reparieren. Bei Studio Sintje in Wyk auf Föhr wird es in Form von Vintagemode und Upcycling gelebt.

Respekt! Die Kunst der Reparatur – unter dem Titel präsentiert das Pinneberg Museum seit dem 19. Februar 2025 die Kulturtechniken des Konservierens, Restaurierens, Renovierens, Reparierens und Wiederverwendens. Die Ausstellung bezieht sich dabei vor allem auf Textilien. Schließlich ist die Kleidungsindustrie weltweit einer der größten Verursacher von Müll und lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen – um nur einige Probleme von Fast Fashion zu nennen.

Doch dann gibt es ja auch noch Slow Fashion. Wie Miriam Wolf in dem Sammelband Fast Fashion schreibt: „Slow Fashion ist nicht nur einfach das Gegenteil von Fast Fashion, sie ist viel mehr als das.“ Slow Fashion sei vielmehr ein Umdenken, eine nachhaltige Auseinandersetzung mit der Geschichte eines Kleidungsstücks.

Bei Studio Sintje in Wyk auf Föhr steht das Wiederverwenden und Weiterentwickeln von Textilien im Vordergrund. Die Föhrerin Sintje Lorenzen hat eine Ausbildung zur Schneiderin gemacht und anschließend Bekleidung – Technik und Management an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg studiert. Sie erzählt, dass ihr während der intensiven Beschäftigung mit der Textilbranche schnell klar geworden ist: „Wenn ich etwas mit Mode mache, dann muss es nachhaltig sein.“

Von alten Kites zum eigenen Laden

Sintje Lorenzen in ihrem Laden. Foto: Pauline Reinhardt

In den Semesterferien hat Sintje bei Onerbrek in Wyk auf Föhr gearbeitet, einem Laden, der mit Unterwäsche (friesisch Onerbrek) gestartet ist und inzwischen nachhaltige Mode von verschiedenen Marken anbietet. In ihrer Freizeit surft Sintje. Die Verbindung lag nahe: das Upcycling von alten Kites, den Lenkdrachen mit denen die Kitesurfer*innen unterwegs sind. Über das Material hat Sintje sogar ihre Bachelorarbeit geschrieben. Ein schwieriger Stoff: einerseits ist er sehr reißfest, winddicht und schnell trocknend, andererseits ist er nicht wasserfest – und knistert. Deswegen macht Sintje aus den alten Kites keine Kleidung, sondern Taschen, Portemonnaies und Kulturbeutel.

Vor etwas mehr als einem Jahr, im Dezember 2023, entstand dann ihr eigener Laden. Auf den Vorschlag ihrer Onerbrek-Chefin Eva wurde aus dem ehemaligen Outlet-Raum hinten im Laden das Studio Sintje. Die beiden Läden ziehen an einem Strang: Sintje arbeitet immer noch bei Onerbrek, vor allem in der Hauptsaison ist sie viel dort beschäftigt. Im Winter hat sie mehr Zeit zum Umnähen und Besticken ihrer eigenen Ware.

Föhr: ein ungewöhnlicher Ort für Vintagemode und Upcycling?

Kleine Portemonnaies aus alten Kites. Foto: Pauline Reinhardt

„Ich hatte immer schon die Vorstellung von einem eigenen Laden, auch mit der Tendenz, dass dieser Laden auf Föhr sein sollte“, erzählt Sintje, „So ganz festgelegt bin ich nicht, ich will nicht ausschließen, irgendwann wieder wegzugehen – aber erstmal bin ich sehr glücklich hier.“

Ist Föhr ein ungewöhnlicher Ort für Vintagemode und Upcycling? Kreislaufwirtschaft wird hier auf jeden Fall gelebt: Was auf die Insel gelangt ist, bleibt meistens für längere Zeit. Es gibt immer wieder Flohmärkte, und die Insulaner*innen spenden alte Möbel, Geschirr, Kleidung, Schuhe und Bücher an den Sperrgutbasar, wo sich andere Insulaner*innen zweimal wöchentlich kostenlos bedienen können.

Sintje ist nicht die Einzige, die auf der Insel Upcycling betreibt, das erzählt sie selbst. Wie schon die Autorin Susanne Fischer in ihrem Buch Mein Föhr feststellt: „Föhr zieht junge Menschen mit Ideen an.“ Zum Beispiel Katharina Blum, die auf Föhr aufgewachsen ist, in Hamburg Design studiert hat, und später auf die Insel zurückkehrte, um Upcycling mit Lederabfällen, abgetragenen Sweatshirts und, genauso wie Sintje, mit Kites zu betreiben. Zu ihrem Sortiment gehören Taschen, Surfponchos, Hoodies.

Ein wenig anders als die anderen

Die Kleidung in Studio Sintje ist nicht nach Größe oder Geschlecht sortiert. Foto: Pauline Reinhardt

Auf Föhr ist Studio Sintje trotzdem eine kleine Ausnahmeerscheinung. Ein jüngeres oder neugieriges Publikum, Einheimische wie Tourist*innen, fühlt sich von den bunten und gemusterten Kleidungsstücken angezogen. Aber: „Ich habe grad einen Popup in einem Laden in Hamburg gemacht und habe dadurch den direkten Vergleich: Es ist schon ein bisschen schwieriger hier.“

Sintje müsste häufig erklären, was sie macht – und warum sie es etwas anders macht als andere auf der Insel. Keine Tüten, keine Bargeldzahlung, keine Unterscheidung zwischen Herren- und Damenkleidung. Und die Föhrerin gibt keine Größen an. Sie erzählt, dass Größenangaben eh schwierig sind, von Land zu Land anders, oder bei Vintagestücken von Zeit zu Zeit anders. Auch „im Laden vorn“, bei Onerbrek, begegnet sie manchmal Kund*innen, die sagen: „Das ist Größe L, das passt mir aber nicht“. Sintje entgegnet dann: „Glaub mir, ich habe da ein Auge für.“

Kleidung speichert Erinnerungen

Welche Erinnerungen wohl in diesen Kleidungsstücken stecken? Foto: Pauline Reinhardt

Was Sintje in ihrem eigenen Studio häufig hört, sind Ausrufe wie: „Meine Oma hatte genau so einen Mantel!“ Bei vielen kommen Erinnerungen hoch, wenn sie die Vintagemode entdecken.

Im Pinneberg Museum zeigt sich, wie stofflich Erinnerungen sein können. Dort kann man selbst mitgebrachte oder in der Ausstellung vorhandene Bänder in einem Rahmen einweben und mit einem Schild versehen. Da steht dann zum Beispiel: „Diese Wolle hat meine Oma mitgenommen, als sie mit ihren Kindern 1945 vor der Roten Armee floh, damit sie den Kindern etwas Warmes stricken konnte.“

Auch in dem Buch Echo, das neben vielen anderen Büchern zu Handarbeit und Slow Fashion in der Ausstellung ausliegt, geht es darum, wie Textilien Erinnerungen speichern können. Die Künstlerin Louise Bourgeois (1911–2010) schreibt darin: „Clothing is also an exercise of memory. It makes me explore the past: how did I feel when I wore that. They are like signposts in the search for the past.”

Vom Festland der Vergangenheit zum Föhr der Gegenwart

Sintjes Hauptkriterium für Vintagemode: Material. Foto: Pauline Reinhardt

Wie kommt eigentlich die Kleidung vom Festland der Vergangenheit zum Föhr der Gegenwart? Sintje kauft gerne Secondhand-Einzelstücke in Dänemark ein, aber neuerdings ist sie Kundin bei einem Vintagegroßhändler in Berlin. Dort sind alle Kleidungsstücke mindestens 20 Jahre alt – und sie sind gut in Schuss, wurden bereits gewaschen, auf Fehler kontrolliert und sortiert. „Dort kann ich aus sehr ausgewählten Sachen noch einmal auswählen, was ich gut und passend finde.“

Sintjes Hauptkriterium: Material. Natürlich würde sie auch mal Dinge aus Polyester kaufen, wie die typischen Nylon-Windjacken aus den 80er Jahren. Aber bei anderen Kleidungsstücken achte sie auf hochwertige Materialien. Für den kommenden Sommer hat sie viele Hemden gekauft: „Alles 100 Prozent Seide. Neu würde ein Hemd mindestens 100 Euro kosten.“ Und noch etwas ist Sintje dabei wichtig: Sie unterstützt mit dem Kauf von Vintageleder und -seide keine Neuproduktion, für die Tiere sterben müssen.

Upcycling: ein künstlerischer Prozess

Sintje Lorenzen an der Nähmaschine. Foto: Pauline Reinhardt

Ina Budde schreibt in Fast Fashion, wie Kreislaufwirtschaft am effizientesten ist: „Wiederverwendung im Original vor Wiederverwertung und Weiterverarbeitung“. So geht auch Sintje vor, beziehungsweise entscheiden bei ihr häufig die Kund*innen, was sie weiterverarbeiten wird: die Kleidungsstücke, die nicht verkauft werden.

Sintje kürzt dann Hemden und bestickt sie mit kleinen Motiven wie Krebsen und Planeten. „Die kann man super zu allem anziehen und die passen allen.“ Auch Zweiteiler sind typisch für Studio Sintje: Shorts und ein Oberteil aus Handtüchern, ein Wickelrock mitsamt Top aus einem alten Hemd. Sintjes Upcycling ist auch ein kreativer Prozess: Sie repariert nicht einfach nur alte Kleidung, sondern beschäftigt sich damit, was gerade gut ankommt und wie man es aus einem alten Stück herausholen kann.

Für die Umwelt und die Erinnerungen

Ein kleiner Saturn, aufgestickt auf ein Hemd. Foto: Pauline Reinhardt

Im Pinneberg Museum sind nicht nur Webrahmen, unvollkommene Wabi-Sabi-Stücke und fast 100 Jahre alte Stopfpilze ausgestellt, sondern auch einige Drosselnester. Sie bestehen aus Zweigen, Gräsern, Blättern – und Plastikmüll. Der stellt für die Singvögel eine Verletzungs- und Verschluckungsgefahr dar, die Jungtiere im Nest können sogar ertrinken, wenn Regenwasser durch das extrem langlebige Plastik nicht abläuft. Das zeigt uns anschaulich: Wiederverwenden und Weiterverarbeiten ist wichtig – aus Respekt für Singvögel und Erde.

Im 14. Jahrhundert war unsere Kleidung zwar noch plastikfrei. Aber dass die Materialien damals schon weite Wege zurücklegten, zeigte 2023 die Sonderausstellung Guter Stoff. Textile Welten von der Hansezeit bis heute im Europäischen Hansemuseum Lübeck. Auch in der Ausstellung lag der Fokus auf Nachhaltigkeit. Sie zeigte aber auch, dass Kleidung schon lange ein Identitätsmarker ist, dass uns ein Kleidungsstück etwas über die Person verrät, die es trägt.

Respekt sollten wir auch für solche Erinnerungen haben. Die alten Geschichten begleiten uns noch länger, wenn wir den Mantel der Großmutter tragen, oder ein ähnliches Modell. Und sie lassen sich sogar weitererzählen: mit aufgestickten Krebsen und Planeten.

Studio Sintje. Sandwall 16, 25938 Wyk auf Föhr. MoFr 10-18 Uhr, Sa 10 16 Uhr. Im Sommer auch So 1114 Uhr.

Respekt! Die Kunst der Reparatur. 19. Februar bis 25. Mai 2025. Pinneberg Museum, Dingstätte 25, 25421 Pinneberg. Mi, Fr, Sa, So 14–17 Uhr, Do 10–12 Uhr. Mo und Di geschlossen.

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