Wolf-Robert Danehl ist freier Journalist und Vorsitzender des Fachausschusses „Freie“ beim Deutschen Journalisten-Verband (DJV). Im Interview mit Esther Geißlinger von kulturkanal.sh erklärt er, wie der Alltag von Journalist:innen aussieht und warum es wichtig ist, für journalistische Arbeit zu bezahlen.
Arbeit im Journalismus ist täglich anders

Wolf, das Klischee über Journalist:innen ist, dass sie entweder entspannt mit ihrem Computer im Café sitzen oder aber investigativ in geheimer Mission unterwegs sind. Wie sieht der Arbeitsalltag wirklich aus?
Wolf-Robert Danehl: Eigentlich jeden Tag anders. Wer fest in einer Redaktion arbeitet, muss meist ein tägliches Produkt vorbereiten, etwa eine Zeitung, eine Radio- oder TV-Sendung. Meist startet der Tag mit einer Redaktionskonferenz, dann fahren die Kolleginnen und Kollegen los, sammeln Fakten, führen Interviews. Mit dem Material kehren sie in die Redaktion zurück und schneiden daraus einen Film oder Radiobeitrag. Wer für Zeitungen oder Online-Medien arbeitet, muss meist zusätzlich zum Text Fotos machen. Gerade für komplexe Themen in der Wissenschaft oder Wirtschaft kann die Recherche sehr zeitaufwändig sein. Und am Ende muss man die Dinge wieder vereinfachen und abstrahieren, so dass es auch für Laien verständlich ist, aber trotzdem nicht falsch wird.
Unterscheidet sich der Alltag der Freien von dem der Festangestellten?
Morgens weiß ein Freier selten, was er oder sie am Tag so macht. Viele Freie suchen sich einen inhaltlichen Schwerpunkt. Das kann im Lokaljournalismus ein Ort sein, aber auch ein Fachthema, in dem sie sich besonders auskennen. Ein Kollege hat zum Beispiel Schiffsbau studiert, er schreibt heute über maritime Wirtschaft. Aber er muss auch immer einen Aufhänger finden, mit dem er eine Redaktion für das Thema begeistern kann.
Misstrauen gegen Medien und Journalismus
Wie entscheiden Journalist:innen, was sie schreiben oder recherchieren?
Themen werden in Redaktionskonferenzen entwickelt, und teilweise erhalten Freie den Auftrag, so ein Thema zu bearbeiten. Sie müssen dann entscheiden: Welche Aufträge habe ich noch, was erledige ich wann, welchen Aufwand will ich betreiben und wie werde ich honoriert? Manche Themen findet der Freie auch selbst, entweder durch seine Kontakte mit Fachleuten oder aus dem eigenen Alltag: Ach, es gibt ein Problem, einen Pflegedienst zu finden – was sagt die Politik dazu, hat ein Verband eine Lösung, wer berät Betroffene? Das Wichtigste ist: neugierig sein.
Es herrscht in Teilen der Bevölkerung großes Misstrauen gegenüber dem Journalismus. Hast du selbst das schon mal erlebt?
Glücklicherweise habe ich bisher nichts Schlimmes erlebt, ich gehe offen und freundlich auf alle Menschen zu und baue eine Vertrauensbasis auf. Aber es gibt oft Reaktionen nach dem Motto: Die Medien schreiben eh nicht über bestimmte Dinge oder alle Medien sagen das Gleiche. Ich frage dann nach: Welche Medien meinen Sie, welche lesen Sie denn? Und ich mache deutlich, dass Fehler passieren können, aber dass man nicht alle Medien über einen Kamm scheren darf. Oft wirft man uns vor, wir würden so viel Negatives schreiben. Da muss ich sagen: Stimmt, aber die Leute wollen das lesen, während positive Inhalte nicht so interessant zu sein scheinen. Dennoch setzt sich der Journalistenverband für eine positive Sicht auf die Dinge ein. Generell erleben wir leider immer wieder, dass Journalistinnen und Journalisten attackiert oder bedroht werden. Das passiert vor allem bei Demos im rechten Milieu. Der DJV hat für Betroffene eine Hotline eingerichtet.

Sind Journalist:innen reich?
Ein Vorwurf ist, dass der Journalismus Teil einer Elite ist, also Menschen mit Geld und Einfluss dahinterstehen. Sind Journalist:innen reich?
Oh je! Freie Journalistinen und Journalisten sind eher prekär beschäftigt und verdienen wenig. Aus Umfragen wissen wir, dass es bei Online-Medien für einen Text von 1.000 Zeichen etwa 40 Euro gibt. Eine gedruckte Zeitung zahlt etwa 70 Euro. Aber für diesen Text hat jemand mehrere Stunden gearbeitet. In einigen Redaktionen werden Tagessätze von 150 Euro gezahlt – und das ist der Umsatz, von dem Betriebskosten für Strom, Telefon, Auto und so weiter abgezogen werden müssen. Der Stundenlohn ist also sehr niedrig. Wer den Mindestlohn verdient, erhält mehr als viele Freie.
Früher war Journalismus ein echter Modeberuf. Wie sieht es heute aus?
Der Beruf ist immer noch begehrt, es gibt einen Glamour. Viele Jugendliche verwechseln Journalismus mit Influencern und denken sich: Toll, ich erzähle einfach was vor der Kamera. Aber wer anfängt, merkt schnell, wie der Alltag wirklich aussieht. Ein Teil hört dann wieder auf. Aber der Beruf ist eben auch bunt und interessant, man hat mit den unterschiedlichsten Menschen und Themen zu tun. Darum bleiben viele auch dabei und halten Journalismus weiter für ihren Traumberuf.
Im Internet erwarten viele, dass die Texte kostenlos zu lesen sind. Wie können Journalist:innen Geld verdienen, wenn sie ihre Ware kostenlos abgeben?
Das ist wirklich ein Problem und Teil des Umbruchs der Medienlandschaft, den wir erleben. Es gibt immer weniger Zeitungen, Redaktionen werden geschlossen, das bedroht die Existenz von Festen wie Freien. Im Internet lässt sich weniger Geld verdienen, denn leider haben viele Leserinnen und Leser den Eindruck, solche digitalen Inhalte seien schnell gemacht. Das stimmt natürlich nicht, die Arbeit ist dieselbe, ob gedruckt oder online. Zudem ist die digitale Welt voller Content, und wir Hauptberuflichen stehen in Konkurrenz mit Nicht-Profis, die aus Spaß an der Freude Filme und Beiträge liefern. Wir müssen deutlich machen, dass journalistische Arbeit eine saubere Recherche und damit einen Mehrwert liefert, der bezahlt werden muss.
Warum Journalismus, reicht TikTok nicht aus?
Aber gerade Jüngere sagen: Medien interessieren mich nicht, die wichtigen Infos kriege ich schon irgendwie, und ansonsten stelle ich mir meine Inhalte per TikTok oder Instagram zusammen. Wozu braucht es Journalismus?
Medienvielfalt spielt eine zentrale Rolle für die Demokratie, da sie sicherstellt, dass Bürgerinnen und Bürger Zugang zu unterschiedlichen Informationen und Perspektiven haben. So können sie fundierte Entscheidungen treffen – etwa bei Wahlen. Laut Studien nimmt das politische Informiert-Sein ab, wenn die Zahl der lokalen Zeitungen sinkt. Zudem besteht die Gefahr, dass professionelle Medien durch nicht-journalistischen Content ersetzt werden. Solche Entwicklungen hat zum Beispiel das Projekt „Wüstenradar“ dokumentiert. Der Name klingt scherzhaft, weist aber auf ein großes Problem hin: Das Verschwinden lokaler Medien wird als „Versteppung“ bezeichnet. Am Ende stehen „Zeitungswüsten“. In diesen Regionen ist die politische Partizipation nachweislich geringer. Das heißt:
„Medienvielfalt wirkt sich positiv auf die demokratische Teilhabe aus.“
Zudem stärkt es das Gemeinwesen, wenn Journalismus seine Rolle als Kritiker und Kontrolleur ausüben kann. Der DJV setzt sich daher dafür ein, gemeinnützigen Journalismus zu fördern. Es gibt einige sehr bekannte Beispiele wie Correctiv oder Netzpolitik.org. Wir haben bei einer DJV-Veranstaltungsreihe vom Bundesfachausschuss Freie in ganz Deutschland auch viele lokale oder regionale Medienprojekte gefunden, die mutig auf dem Markt agieren und auch den großen Medienhäusern und Konzernen etwas entgegensetzen.
kulturkanal.sh ist so eine journalistische Neugründung. Wir verzichten auf eine Bezahlschranke und hoffen, dass Menschen freiwillig für unsere Arbeit zahlen. Sind wir verrückt, dass wir an unsere Leserschaft und ihre Zahlungsbereitschaft glauben?
Nein, nicht verrückt – ich finde es mutig! Wir brauchen solche kreativen Medien, die neue Wege gehen. Für die Kulturszene, die Theater und freien Projekte, ist es wichtig, dass eine Redaktion sich ihrer Arbeit annimmt, ihnen eine mediale Bühne bietet. Solche Projekte sind auch wichtig für andere Freie, weil sie zeigen: Werdet selbst kreativ, nutzt die Chance!
Transparenzhinweis: Esther Geißlinger vom Team des kulturkanal.sh ist selbst im DJV aktiv. Sie gehört dem Landesvorstand des DJV Nord an und war früher Mitglied im Bundesfachausschuss Freie.