Ortsbilder: Industriestadt Elmshorn

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Bei einem Spaziergang durch Elmshorn wirkt die Stadt, die früher ein Zentrum der Industrie war, erst einmal unscheinbar. Ein kleiner Fluss, die Krückau, windet sich durch die Stadt und quer durch den Bahnhof. Die nahegelegene Einkaufsstraße ist klein aber fein und ein paar Industriegebäude vervollständigen das Bild. Doch der erste Blick täuscht: Elmshorn hat eine bewegte Industriegeschichte. 

Die Krückau – die Lebensader der Industrie und des Aufschwungs

Einige Zufälle mussten zusammenspielen, damit Elmshorn zu der Stadt werden konnte, durch die man heute so gemütlich spazieren kann. Ausgangspunkt unserer Reise ist die Krückau, die als Nebenfluss der Elbe den Aufschwung der Stadt maßgeblich ermöglicht hat. Zwischen 1900 und dem Beginn des Ersten Weltkriegs galt der Hafen als Hauptumschlagsplatz für Getreide in Schleswig-Holstein – über 118.550 Tonnen Getreide wurden 1911 über diesen Hafen umgeschlagen. Vergleichbar ist das mit dem Gewicht von mehr als 10.000 Bussen. Heutzutage kaum mehr vorstellbar, denn nun fahren keine Transportschiffe mehr über die Krückau. Lediglich ein paar Segelboote erinnern an den früheren Glanz. 

Der Stadthafen Elmshorn: früher Haupttransportweg, heute unscheinbarer Fluss. Foto: Lisa Naggatz

Noch bis ins Jahr 2000 galt der knapp 37 Kilometer lange Arm als wichtiger Transportweg für Handelsschiffe. Die günstige Lage Elmshorns hat auch viele Industrieunternehmen angezogen – noch heute sind Firmen wie die Kölln Haferflockenfabrik oder die Kaffeefabrik Jacobs in Elmshorn ansässig. Das kann man sogar riechen. Doch die ehemalige “Lebensader des Ortes” hatte zu kämpfen mit der Verschlickung und den unkontrollierten Abwässern der Fabriken. 1890 wurde die Krückau zu einem “toten Fluss”, und zahlreiche Anwohner beschwerten sich über den Gestank und die „Unmöglichkeit, (…) das Fenster zu öffnen“. Bis in die 1970er Jahre galt der kleine Fluss als einer der schmutzigsten Deutschlands. Dann konnte das Großklärwerk Hetlingen den Gestank beseitigen und die bunten Farben der Abwässer aus dem Fluss ziehen. 

Die Krückau unter dem Elmshorner Bahnhof – der einstige Industriefluss. Foto: Lisa Naggatz

Stinken tut die Krückau heutzutage nicht mehr. Doch so richtig Badespaß will auch nicht aufkommen. Aber wie die Stadt Elmshorn auf ihrer Website sagt: „Elmshorn und die Krückau gehören einfach zusammen.“

Aus Alt mach Neu! Die Knechtschen Hallen im Industrieboom

Elmshorns industrielle Vergangenheit zeigt sich jedoch nicht nur in der Krückau. Manche Überreste sind noch immer vorhanden. So auch das alte Industriegebäude der Knechtschen Hallen, das nun als Denkmal eingetragen ist. Das ehemalige Gebäude der Knechtschen Lederfabrik und die damit verbundene Lederindustrie zählten zu den einst wichtigsten Elmshorner Industriezweigen, so die Stadt Elmshorn. Der Verein Freundeskreis Knechtsche Hallen spezifiziert die Wichtigkeit der Hallen für Elmshorn nochmal und nannte es den „größte(n) Elmshorner Betrieb mit bis zu 500 Arbeitnehmern“. 1959 zog dann Teppich Kiebek, das „größte Teppichhaus der Welt“, in die Hallen ein, die zu dem Zeitpunkt schon ein paar Jahre leerstanden. Doch an den früheren Wert der Hallen erinnert lediglich ein halbes Reklameschild. 

Früher ein wichtiges Gebäude, heute von den meisten vergessen. Foto: Lisa Naggatz

Denn vergessen wurden auch die Hallen: Seit 2006 stand das Gebäude leer und verfiel. „Der größte Lost Place des Nordens“ laut Hamburger Morgenpost. Doch nun soll das Gebäude in neuem Glanz erstrahlen. Seit 2022 ist der Komplex im Besitz von dem Elmshorner Wohnungsunternehmen Semmelhaack und soll nun wieder genutzt werden – und das auf vielfältige Weise. Unter anderem Gastronomie und Parkplätze sollen von nun an die Knechtschen Hallen wiederbeleben. Sichtbar ist davon jedoch noch nicht viel. 

Die Knechtschen Hallen als Hubschrauberfabrik

Genau zwischen Lederfabrik und Teppichhandel ereignete sich das wohl interessanteste Kapitel in der Geschichte Elmshorns und der Knechtschen Hallen. Auch dieses Kapitel hat der Freundeskreis Knechtsche Hallen zusammengefasst. Am 28. März 1958 besichtigte der Hubschrauberkonstrukteur Bodo Franke das Industriegebäude. Er wollte es noch am gleichen Tag kaufen, um schon einen Monat später dort Hubschrauber herzustellen: 200 Stück pro Woche mit Hilfe von 2.000 MitarbeiterInnen. Dass er über mehr als zehn Millionen Mark verfügte, konnte er glaubhaft machen. Noch am gleichen Abend wurden bei einer Flasche Rotwein sowohl die „Franke-Copter GmbH“ gegründet als auch die Vertragsunterlagen unterzeichnet.

Doch die zugesagten 1,3 Millionen Mark sind nie in Elmshorn angekommen. Bodo Franke war ein Hochstapler und Überzeugungskünstler. Als er mit einem Flugzeug – nicht einem seiner angeblichen Helikopter – knapp zwei Wochen später, wie angekündigt, über Elmshorn flog, waren sowohl die Presse als auch die letzten Zweifler überzeugt. Die Helikopterfabrik und der damit verbundene wirtschaftliche Aufschwung waren zum Greifen nah. Vielleicht kurbelte auch die Aussicht auf neue Arbeitsplätze den Optimismus an. Aber kurze Zeit später, nachdem er weitere „Deals“ mit anderen Ländern und Firmen abschließen konnte, tauchte Franke unter und wurde nicht mehr in Elmshorn gesehen. Die Haftbefehle, wegen denen er in seiner Heimat gesucht wurde, kannte die Stadt Elmshorn natürlich nicht – genauso wenig wusste dort jemand, er unter vielen unterschiedlichen Namen und Persönlichkeiten auftrat – Schlagerkomponist, Soldat, sogar Geheimdienstmitarbeiter. Welche Person wirklich die Wahre war, bleibt jedoch verborgen.

Die Knechtschen Hallen – ein Ort mit vielen Facetten. Foto: Lisa Naggatz

Sowohl die Krückau als auch die Knechtschen Hallen haben Elmshorn nicht nur wirtschaftlichen Aufschwung geliefert, sondern auch Stoff für gute Geschichten. Sie erinnern an die industrielle Vergangenheit der Stadt. Und obwohl der Fluss, der sich durch die Stadt windet, und ein altes Fabrikgebäude zunächst nicht wirklich besonders aussehen, stecken beim genaueren Hinsehen unter der Oberfläche viele Geschichten zum Entdecken. 

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