„Wir wollten ‚Dorffest‘ anders denken“

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Im 400-Seelen-Ort Arfrade in Ostholstein organisiert eine Gruppe junger Menschen ein Dorffest. Ehrenamtlich, vom Bund gefördert und für 3.000 Besucher:innen. Was es bedeutet, Kultur aufs Land zu holen – und welche Herausforderungen das mit sich bringt.

Bei Simon Thiessen geht ständig das Telefon. Bands, Werbepartner, Standbetreiber, Workshopanbieter, freiwillige Helfer:innen – alle wollen den 32-Jährigen sprechen, an manchen Tagen hängt er mehrere Stunden am Hörer. „Orga‟, sagt er, für ein Straßenfest, das direkt vor seiner Haustür stattfindet. Und zu dem er 3.000 Besucher:innen erwartet, in einer 400-Seelen-Gemeinde. Ein Dorffest der Extraklasse, alles ehrenamtlich organisiert, non-profit und mit 21.000 Euro vom Bund gefördert.

Das Hofprojekt will sich nicht abkapseln

Simon Thiessen. Foto: Felix Kunz

Thiessen, ein schlanker, groß gewachsener Typ mit Lockenmähne und Brille, wohnt seit vier Jahren in Arfrade, einem kleinen Dorf vor den Toren Lübecks. Ein paar Straßen, rundherum sattgrüne, hügelige Felder, etwas Landwirtschaft. In der Ferne kann man von hier aus die Kirchtürme der Hansestadt sehen. Thiessen wohnt nicht allein hier, er ist Teil des „Hofprojekt Arfrade e.V.‟. 2015 als 4er-WG in einem alten Bauernhaus gegründet, fand die kleine Gemeinschaft rasch Zuwuchs, bald kam ein Anbau dazu, aktuell entsteht auf der Straßenseite gegenüber ein weiterer Wohnkomplex. 40 junge Menschen, die meisten zwischen 20 und 40 Jahren alt, gehören inzwischen zum Projekt, zehn Prozent des gesamten Dorfes. Von der Studentin über den Baumpfleger bis zur Psychotherapeutin ist alles dabei. Sie eint der Wunsch, in einer großen Gemeinschaft auf dem Land zu leben.

Allerdings: Für sich allein sein will man hier nicht – im Gegenteil. „Wir wollen uns nicht abkapseln‟, sagt Thiessen, „wir wollen Teil der Dorfgemeinschaft sein, einen Raum für Austausch schaffen, das Dorf beleben, kulturelle Angebote aufs Land holen.‟ So kam die Idee zustande, das Hoffest, das bislang einmal jährlich intern für Vereinsmitglieder stattfand, 2024 erstmals für die Öffentlichkeit auszurichten. Das Pilotprojekt hatte Erfolg: Über 2.000 Menschen besuchten das Straßenfest des kleinen Vereins. „Das war für uns selbst überwältigend‟, sagt Thiessen.

Die Organisation ist für alle Neuland

Johanna Steffen. Foto: Felix Kunz

Auf diesem Erfolg will die Gruppe junger und motivierter Menschen aufbauen. 2025 soll alles noch größer, bunter – und auch etwas professioneller werden. „Wir sind ja alle Quereinsteiger‟, sagt Johanna Steffen. Die 26-jährige Sozialarbeiterin gehört ebenfalls zum Orga-Team des Festes. Im letzten Jahr stand unterm Strich ein Defizit von 1.500 Euro. Gestemmt wurde das aus der Vereinskasse. Und auch ansonsten lief nicht alles rund. „Es ist doch ein ziemlich großer Schritt von der Privat- zu einer öffentlichen Veranstaltung‟, sagt Simon Thiessen. Ein Sicherheitskonzept erarbeiten, Anträge stellen – und wie viele Toiletten braucht man eigentlich? Das habe zwar im letzten Jahr alles schon ganz gut funktioniert. Aber es war eben auch Neuland für die ehrenamtlichen Organisatoren des Festes. „Wir konnten viel lernen‟, sagt Johanna Steffen. Und das sei wichtig, denn in diesem Jahr wird alles nochmal deutlich größer.

Finanzielle Förderung durch den Bund

Geschmückt wird jetzt schon: Den ganzen Hof für das Fest herzurichten, ist eine Menge Arbeit. Foto: Felix Kunz

Zumindest finanziell ist der Verein 2025 besser aufgestellt. 21.000 Euro schießt der Bund im Rahmen der Kulturförderung zu. Der Großteil des Geldes fließt ins musikalische Programm. Über den Tag verteilt spielen insgesamt zehn Bands auf zwei Bühnen, Genre: Newcomer. „Wir wollen vor allem Nachwuchsbands eine Bühne bieten‟, sagt Simon Thiessen. „Folk, Hiphop, Singer-Songwriter, Elektronik, es ist für alle was dabei.‟ „Für alle‟ bezieht sich nicht nur auf den Musikgeschmack, sondern auch aufs Alter. Neben dem Musikprogramm gibt es zahlreiche Workshops, einen Flohmarkt, „wir bieten auch ein breites Programm für Kinder an‟, sagt Thiessen. Von morgens bis in die Nacht hinein sollen Jugendliche, junge Erwachsene, Eltern mit Nachwuchs, Rentner:innen und alle dazwischen auf ihre Kosten kommen. Ein Shuttleservice von und nach Lübeck ist organisiert, damit Besucher:innen unkompliziert an- und abreisen können.

40 Kuchenspenden aus dem Ort

Die ersten Plakate sind gedruckt, die Planung läuft: In ein paar Wochen erwartet das kleine Dorf Arfrade 3.000 Besucher:innen. Foto: Felix Kunz

Wir wollten das Konzept ‚Dorffest‘ einmal anders denken‟, sagt Johanna Steffen. Bundesweit sterben Vereine aus, Landflucht ist in vielen Regionen Deutschlands ein Thema. Aber Arfrade erlebt regen Zuzug – und der will das Dorfleben mitgestalten. Das sehen durchaus nicht alle gern.
„Irgendwer hat immer was zu meckern‟, sagt Johanna Steffen. Aber man sei bemüht, Lösungen zu finden, die für alle funktionieren. Und im Großen und Ganzen überwiege der Rückhalt aus der Gemeinde.  „Letztes Jahr haben wir 40 Kuchenspenden aus dem Dorf erhalten. Das war eine tolle Geste‟, sagt Simon Thiessen, und fügt an: „Auch wenn der Kuchen dann schon nach zwei Stunden ausverkauft war‟ – auch ein Learning für die Neuauflage.

Das Straßenfest ist vor allem eines: eine Menge Arbeit. Und die investieren die Nachwuchsorganisator:innen ehrenamtlich, oft neben einem Vollzeitjob. Zusätzlich zu den Stunden, die ohnehin schon für die Vereinsaktivitäten wie das gemeinsam bewirtschaftete Gemüsefeld oder den großen Garten draufgehen. „Das ist schon manchmal ziemlich anstrengend‟, gibt Simon Thiessen zu. Warum er dafür trotzdem einen Großteil seiner Freizeit opfert? Weil hier Raum ist, das eigene Umfeld zu gestalten und etwas Besonderes zu schaffen – für den Verein, für das Dorf und für die zahlreichen Besucher:innen.

Planung im Plenum: Die Organisation erfordert eine Menge Arbeit und viel Absprache. Im
Verein können alle ihre Ideen einbringen und mitdiskutieren. Foto: Felix Kunz

Das „Midsommar Straßenfest‟ von Hofprojekt Arfrade e. V. beginnt am Sonnabend, 21. Juni, um 10 Uhr in Arfrade. Weitere Infos zum Programm und zur An- und Abreise gibt es unter www.hofprojekt-arfrade.de/strassenfest.

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