Nach 150 Jahren kommt Bewegung ist die Bestattungskultur Deutschlands. Neben der Erd- und Feuerbestattung versucht ein junges Unternehmen aus Berlin, die Kompostierung von Toten zu etablieren.
Der Wind pustet durch die zwei Zelte vor der Friedhofskapelle im schleswig-holsteinischen Mölln. Die Frühjahrssonne verspricht einen schönen Nachmittag, aber sie wärmt noch nicht. Butterkuchen und Kaffee stehen bereit, doch die Besucher am „Tag des Alvariums“ drängt es in die kleine Feierhalle, wo ein junger Unternehmertyp aus Berlin Schwung in die Bestattungsindustrie bringen will. Pablo Metz läuft in einem schwarzen Rolli, einer schwarzen Hose und schwarzen Schuhen herum. Das sind eindeutige Indizien, denn Metz kommt fast schon leichtfüßig daher, und nichts kündet davon, dass er gleich eine Stunde lang über den Tod sprechen wird. Metz ist studierter Betriebswirt und will aus der Reerdigung, der Kompostierung von Leichen, ein rentables Geschäftsmodell machen.
„Alvarium“ nennt Metz die kleine Kapelle in Mölln, einem Städtchen, in dem im Februar 2022 die erste Reerdigung in Europa durchgeführt wurde. Der 44-jährige Pablo Metz und sein Geschäftspartner Max Hüsch haben die gemeinsame Firma Circulum Vitae GmbH gegründet. Unter der Marke „Meine Erde“ promoten sie ihre Reerdigung deutschlandweit als sanfte Methode der Bestattung im Einklang mit dem Kreislauf der Natur. Dabei wird ein Mensch nach seinem Tod in einen „Kokon“ gelegt und von Mikroorganismen zu Erde umgewandelt. Der Kokon, das Alvarium, das sind Elemente einer „schönen Sprache“ wie Metz sagt, die auf ein geschicktes Marketing einzahlt. Es werde immer nur mit Scheu über den Tod gesprochen, so Metz. „Das wollen wir nicht.“
Bestattungsrecht ist Ländersache
In Deutschland ist das Bestattungsrecht Ländersache. Als erstes Bundesland ermöglichte Schleswig-Holstein die Erprobung von Reerdigungen. Im Rahmen einer behördlichen Duldung von 2022 und 2023 fanden insgesamt 16 Reerdigungen in Mölln und auch in Kiel statt. Im Anschluss hat die Landesregierung unter §15a die „Experimentierklausel“ ins Bestattungsgesetz geschrieben, um damit die weitere Erprobung voranzutreiben.
Etwa 35 Besucher sind nach Mölln gekommen. Pablo Metz steht direkt am Kokon, einem Behälter aus recyceltem Kunststoff, und erklärt den Ablauf der Reerdigung. Das Verfahren ist eine Variante der beschleunigten Zersetzung menschlicher Leichname zu Erde. Dabei wird der Verstorbene ohne Kleidung in den Kokon gelegt, in dem sich Grünschnitt, Stroh, Luzerne und Pflanzenkohle befinden. Das pflanzliche Substrat ist vor der Einbettung mit Wasser angefeuchtet worden. Der Kokon wird in eine eigene Apparatur gesetzt, die das Einleiten von Umgebungsluft und dadurch aerobe Abbauprozesse durch körpereigene und pflanzliche Mikroorganismen ermöglicht. Diese sorgen im Behälter für Temperaturen von über 70 Grad Celsius.

Für die Erde gilt ein Friedhofszwang
Um eine gleichmäßige Verteilung der Feuchtigkeit zu gewährleisten, wird der Kokon nach einigen Tagen mehrmals täglich hin- und herbewegt. Pablo Metz spricht dabei von einem „sanften Wiegen.“ Die Betreiber haben eine App, mit der sie die gemessenen Werte der Sensoren im Inneren des Kokons auf dem Handy bzw. dem Computer ablesen können. Anhand der Temperaturkurve lässt sich der Stand des Zersetzungsprozesses überprüfen. Dieser ist nach 40 Tagen abgeschlossen. Übrig bleiben Erde sowie Knochen, die zusammen in einer Knochenmühle in Bad Segeberg gemahlen werden. Für diese Erde gilt ein Friedhofszwang. Die Beisetzung ist derzeit auf Friedhöfen in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg gestattet. Die Reerdigung kommt im Gegensatz zur Kremation mit deutlich weniger fossiler Energie aus und wird von „Meine Erde“ als nachhaltig beworben.
Kooperation mit dem Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg
Metz kooperiert mit dem Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg. Die kleine Kapelle in Mölln hat „Meine Erde“ gepachtet. Sie ist ein schmuckloser Raum, in dem sich die Vorrichtungen zum Bewegen der Kokons und den Zu- und Abluftleitungen hinter mit Werbeaufdrucken der Firma versehenen Gestellen befinden. Bernd K. Jacob ist Friedhofsbeauftragter im Kirchenkreis. Er freue sich, dass seine Kirche mal nicht als Bedenkenträger auftrete, erzählt er. Dass die Experimentierklausel ins Gesetz aufgenommen wurde, sei ein „unglaublicher Erfolg.“ Er sieht gar einen „neuen Geist“ in einer überkommenen Bestattungskultur.
Die vorgeschriebene, unabhängige wissenschaftliche Begleitung erfolgt durch das Institut für Rechtsmedizin der Universität Leipzig, nachdem ein positives Votum der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät Leipzig grünes Licht gab. Für eine erste Begleitstudie, die im Februar 2024 veröffentlicht worden ist, wurden von zwei als Körperspendern ausgewiesenen Personen Knochen-, Erd- und Haarproben entnommen und mit molekularbiologischen, toxikologischen, morphologisch-osteologischen und bodenkundlichen Methoden untersucht. In der Zusammenschau heißt es, das Resultat spreche dafür, dass innerhalb von 40 Tagen die Umwandlung zu Erde stattfinde. Eine zweite Leichenschau sei, wie bei der Kremation, unerlässlich. In einer Stellungnahme der Rechtsmedizin vom 14.11.2024 an den Landtag Nordrhein-Westfalen heißt es, dass inzwischen 22 Reerdigungen beprobt worden seien und die bisherigen forensischen Untersuchungen erneut bestätigten, dass das Verfahren funktioniere.

Die wissenschaftliche Begleitung braucht Zeit
Der Studienleiter in Leipzig ist Dr. Marcus Schwarz. Schwarz hat Forstwissenschaften in Dresden studiert und arbeitet an der Rechtsmedizin als forensischer Entomologe. In dieser zweiten Phase werde jede Reerdigung beprobt, wobei die Proben direkt aus Bad Segeberg geholt werden, erzählt er. Eine nächste Veröffentlichung ist für diesen Herbst auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin in Graz geplant. Dann würden Ergebnisse von 25 untersuchten Reerdigungen vorgestellt. Schwarz sagt: „Wir brauchen Zeit, um die Daten zu erheben. Schließlich dauert jeder Prozess 40 Tage.“ Er erzählt, man habe mit „Meine Erde“ einen wissenschaftlichen Kooperationsvertrag geschlossen. „Da steht klipp und klar drin, was die Analysen kosten, dass wir das Erstveröffentlichungsrecht an den Daten haben und das wir publizieren werden, auch wenn es schlecht läuft. Wir in der Wissenschaft, wir sind die Qualitätssicherung.“
Teils kräftiger Gegenwind
Doch von zahlreichen Fachleuten und auch aus den Medien kommt teils kräftiger Gegenwind. Insbesondere der Bundesverband Deutscher Bestatter e.V., der laut eigener Aussage über 90 % der Bestatter in Deutschland vertritt, führt deutliche Kritik ins Feld. In einer Stellungnahme vom 28.02.2024 wirft der Verband eine ganze Reihe von Verfahrensfragen sowie begleitende Fragen zum Arbeitsschutz und zum Umgang mit Verstorbenen auf. Man wolle außerdem, schreibt Dr. Simon Walter, Kulturbeauftragter des Bestatterverbandes auf Anfrage, dass die verantwortlichen Behörden in Schleswig-Holstein die ganze wissenschaftliche Begleitung des Projekts auf eine breitere Basis stellen.
In einer Sonderbeilage seiner Publikation „bestattungskultur“ vom Oktober 2024 veröffentlicht der Verband wiederholt Interviews mit Fachleuten der Branche, u. a. mit dem Juristen Prof. Tade M. Spranger. Spranger verweist auf den § 168 des Strafgesetzbuches, der die Störung der Totenruhe regelt. Er mahnt, zu den Schutzgütern des Paragraphen gehöre nicht nur der „postmortale Persönlichkeitsschutz des Toten“, sondern unabdingbar auch das „Pietätsgefühl der Allgemeinheit.“ Beides müsse im Einklang mit der Reerdigung stehen. Darüber hinaus seien religiöse und ethische Fragen zu bedenken.
Auch einer der bekanntesten Rechtsmediziner in Deutschland, Prof. Klaus Püschel, kommt mehrfach zu Wort. Püschel kritisiert den bisher zu geringen Untersuchungsumfang. So fehlten seiner Ansicht nach mikrobiologische Untersuchungen aller Phasen der Reerdigung, insbesondere unter dem Aspekt des Arbeitsschutzes, es fehlten Schwermetall-Analysen und Analysen der Zu- und Abluft. Zu Krankheitskeimen lägen ebenfalls keine Untersuchungen vor, etwa zu Viren oder Prionen. Auch fehlten Arbeitsplatzuntersuchungen, Untersuchungen zu möglichen Belastung des Personals, der Umgebung und des Bodens und Überlegungen zu energetischen Bilanzen.

Transparenz schafft Gesprächsbasis
Metz kontert die Kritik und verweist auf die Transparenz des Unternehmens: „Wir machen alle Türen auf. Wir verheimlichen nichts.“ Dennoch bemüht sich die Firma mit eigenen Stellungnahmen mehrfach um eine Korrektur der Berichterstattung. Die Kosten der Reerdigung belaufen sich auf 2.900 Euro für den Durchlauf im Kokon. Kosten für die Trauerfeier, den Bestatter und das Grab auf dem Friedhof kommen hinzu.
Bis jetzt stehen sich die Positionen strittig gegenüber. Es geht eben um nicht weniger als das Lebensende, um das Werden und Vergehen und um Fragen, die sich mancher beizeiten lieber gar nicht erst stellen möchte. Wohin soll es gehen, wenn es doch kein Zurück mehr gibt? Mag der Weg ins Jenseits auf einem Bett aus Heu und Stroh ein sanftes Entschwinden sein – die oft drückende Traurigkeit verfängt im Herzen, nicht in Friedhofserde.