Nicht zu Hause, nicht bei der Arbeit: Alles dazwischen sind „Dritte Orte“. Dazu zählen Bibliotheken, Vereinsheime oder Theater, aber auch Cafés oder Läden. Sie können Treffpunkte sein und Gelegenheiten für Gespräche bieten. Sind Dritte Orte damit eine Chance für die Demokratie?
Debatte über Dritte Orte gewinnt an Bedeutung

Mit einem lockeren Kennenlernen begann das erste „Dritte Orte Forum“ der Stadt Kiel. Eingeladen hatten die Förde-Volkshochschule (vhs) zusammen mit dem städtischen Amt für soziale Dienste. Rund 90 Interessierte aus Kiel und dem restlichen Schleswig-Holstein waren der Einladung gefolgt. Die meisten von ihnen beschäftigten sich im Hauptberuf oder ehrenamtlich mit Dritten Orten. Denn das Thema gewinnt stetig an Bedeutung.
Der US-amerikanische Soziologe Ray Oldenburg (1932 bis 2022) prägte im Jahr 1989 den Begriff der „Third Places“, der Dritten Orte. Zu ihnen zählte er „Cafés, Coffee Shops, Buchläden, Bars, Friseursalons und andere Treffpunkte im Herzen eines Gemeinwesens“, heißt es in einem Papier der Körber-Stiftung. Ray Oldenburg sah die europäischen Städte als Vorbild. Denn in US-Städten, die noch mehr als in Deutschland auf den Autoverkehr ausgerichtet sind, gibt es kaum Orte wie Marktplätze oder Parks, an denen Menschen zwanglos zusammenkommen.
Gesellschaft ändert sich – Treffen werden seltener
Doch seit den 1980er Jahren hat sich auch in Europa einiges geändert. Die Gesellschaften altern. Alte Menschen, selbst die „jungen Alten“ der heutigen Rentner:innen-Generation, konsumieren anders und sind an anderen Plätzen als die meisten Jüngeren. Parallel halten sich die Jüngeren immer länger vor dem Bildschirm auf. Deutschland belegt bei der Handy-Nutzung einen traurigen Spitzenplatz, zeigt eine aktuelle OECD-Studie. Zufällige Treffen und Austausch mit Menschen aus anderen Milieus und Altersgruppen werden damit seltener. Und so vertieft sich auch die Spaltung der Gesellschaft.
Für ein besseres Zusammenleben und neue Arten von gesellschaftlichen Beziehungen brauche es „Veränderungen, die nicht nur an der Oberfläche kratzen“, sagte Inken Reimer. Die Dozentin für Nachhaltigkeit, Gesellschaft und Umwelt an der Kieler Christian-Albrecht-Universität, hielt bei der Veranstaltung einen Vortrag. Reimer sieht große Chancen in den Dritten Orten. Die sehen ganz unterschiedlich aus, genau wie das, was dort passiert. „Sehr viele Menschen halten sich zum Beispiel lange in Möbelmärkten auf – nur besonders demokratisch geht da nicht zu, und tiefgehende Gespräche mit Fremden kommen meist nicht zustande.“

Tatsächlich sind viele Orte, an denen Menschen aufeinandertreffen, mit einem bestimmten Zweck verbunden. Für die meisten braucht es Geld: Wer stundenlang in einem Restaurant sitzt, ohne zu bestellen, oder in einem Geschäft nur plaudern, aber nicht kaufen will, wird vermutlich früher oder später gebeten zu gehen. Um niemanden auszuschließen, wünscht sich Reimer niedrigschwellige Treffpunkte, in denen sich Menschen aufhalten können, ohne etwas verzehren oder kaufen zu müssen. Das Ziel sei, durch Begegnungen Vertrauen zu stärken. Reimer sagt:
„Wir müssen unsere Demokratiemuskeln trainieren, und das geht nur im Miteinander, im Austausch.“
Initiativen stellen ihre Dritten Orte vor
Wie das geht, zeigten die Initiativen, die sich beim Dritte-Orte-Forum vorstellten. Mit dabei war etwa das „Hörngarten“-Team, das auf einem innerstädtischen Gelände an der Kieler Förde einen Hochbeet-Garten errichtete. Seither wachsen auf dem früher leeren Platz „Roggen, Gemüse und Blumen für die Schönheit“, wie der Sprecher der Gruppe erzählte. Geplant ist ein Gewächshaus, um die zarteren Pflanzen vor dem Wind zu schützen. In Flensburg will die „Blaupause“ am Südermarkt einen Dritten Ort schaffen. Unter anderem gibt es Arbeitsplätze für Co-Working, ein Café und die Möglichkeit, sich zu treffen. Dabei kam es zu unerwarteten Ergebnissen, berichteten die Vortragenden: „Wir hatten mit Studierenden und jungen Leuten gerechnet, es kamen Rentner:innen.“ Aber auch das sei erfreulich.
Ein „kreatives Dorf in der Stadt“ ist inzwischen das ehemalige Gelände der Muthesius-Kunsthochschule, die „Alte Mu“, geworden. Der Leerstand habe Menschen mit „Bock und Ideen“ angelockt, die einen Ort schufen, den es bisher in Kiel nicht gegeben habe, hieß es in der Vorstellung. Der Kunstraum „Sp_ce“ in der Kieler Innenstadt bietet Studierenden der Kunsthochschule in wechselnden Ausstellungen Raum für ihre Ideen. Eine alte Markthalle im dänischen Nykøbing Falster hat sich in einen Treff für Alte und Junge verwandelt.

Kommunen schaffen Dritte Orte
Auch Kommunen können Dritte Orte schaffen. In Kiel sind das die „Anlaufstellen Nachbarschaft“, kurz „anna“. Sie gibt es inzwischen in mehreren Stadtteilen und sollen vor allem ein Treff für ältere und einsame Menschen sein. Die Wirkung sei enorm, sagte Gerwin Stöcken, Sozialdezernent der Stadt, in seinem Grußwort. „Es ist manchmal so einfach, etwa im Leben eines Menschen zu verändern, wenn man ihm nur zuhört und ein Stück mit ihm geht.“
Dass Kiel sich jetzt verstärkt um das Thema der Dritten Orte kümmert, hängt auch mit EU-Projekten zusammen, die Geld für die Arbeit zur Verfügung stellen. Seit 2023 läuft das Projekt „Liveability“, dessen Ziel es ist, Städte lebenswerter zu gestalten. Beteiligt sind Orte in Dänemark, Finnland, Lettland, Estland und Polen. Das laufende Projekt baut auf früheren auf. „Und Kiel war immer beteiligt“, berichtete Projektleiter Dirk Scheelje, Geschäftsführer der Heinrich-Böll-Stiftung in Schleswig-Holstein.
Durch diese lange Zusammenarbeit sei ein Netzwerk von Akteur:innen in 50 Orten entstanden, über das Informationen und Ideen ausgetauscht werden. Kiel könnte zum Beispiel von Kopenhagen lernen, schlug Scheelje vor. Die Stadt-Verantwortlichen taten in den vergangenen Jahren vieles, um den öffentlichen Raum attraktiv zu machen, mit Radwegen, Begrünung und Licht an düsteren Ecken.
Für die Stadt Kiel und die Förde-Volkshochschule ist das erste Dritte-Orte-Forum ein Auftakt, sagte Anna Emil, Bereichsleitung für die Themen Demokratie und Wandel bei der Volkshochschule. Das Liveability-Projekt läuft weiter, auch weitere Foren-Veranstaltungen sind denkbar.