Im Woods Art Institute in Wentorf bei Hamburg gibt es Neues zu sehen: Äußerst gelungen ist die Ausstellung von Mirko Reisser [DAIM]: Retrospective – 35 Years of Graffiti Art.
Der Weg zum Woods Art Institute in Wentorf bei Hamburg führt von der S-Bahn-Station vorbei am Schloss Reinbek, an den Villen, durch den Wald. Dann betritt man das große Gelände, auf dem Gebäude wie Skulpturen ganz zufällig verteilt wirken. Am Rand: ein blühender Rhododendronwald. Mittendrin: das Woods Art Institute. Erst seit 2020 präsentiert der Hamburger Kunstmäzen Rik Reinking hier seine Sammlung.
Am 5. Mai 2024 wurde im Woods Art Institute eine neue Ausstellung eröffnet, die eins der urbansten Themen, das man sich vorstellen kann, mitten im Wald platziert: Graffiti. In der chronologisch kuratierten Ausstellung geht es um den Werdegang von Mirko Reisser, auch bekannt unter dem Namen DAIM, sein Graffiti-Tag.

Mirko Reisser (DAIM), „DEIM – braun/orange“, Sprühlack auf Leinwand, 100 x 150 cm, 2002, Foto © WAI Woods Art Institute
Der 1971 in Lüneburg geborene Mirko Reisser sprühte als Jugendlicher sein erstes Piece an ein Stromhaus hinter dem Garten seiner Eltern – übrigens gemeinsam mit seinem Bruder und Björn Warns von Fettes Brot. Schon diese ersten Werke zeigen, wo sich DAIM hin entwickeln wird: in den Raum hinein. Er ist bekannt für seinen 3D-Style; arbeitet mit Licht und Schatten anstatt mit Outlines.
Gelungene Brüche: Material und Motiv
Schon in den 1990er Jahren sprühte Mirko Reisser nicht nur illegal in der Öffentlichkeit. Er kaufte „Holzlatten aus dem Baumarkt, billigster Nesselstoff und Binderfarbe. Das muss reichen. Mehr ist finanziell nicht drin.“ – wie wir durch die eher spärliche Beschriftung der Ausstellung erfahren. Dass das Material günstig war, sieht man den Bildern an. Die billige Farbe auf dem billigen Holz wirkt in den schicken Museumsräumen fehlplatziert. Unweigerlich denkt man: Das gehört hier nicht hin. Solche Kunst gehört auf Züge und an Hauswände.
Doch DAIM steckt voller Experimentierfreudigkeit. Er entwickelte sich vom Graffiti-Writing aus weiter, aber niemals weg davon. Inspiriert von van Gogh sprühte er idyllische Landschaftsbilder, die in Teilen pointillistisch anmuten: ein Bruch zwischen Material und Motiv. Und dann gibt es da noch den Bruch zwischen Motiv und Material. Mirko Reisser bleibt seinem Tag treu. Immer wieder steht dieser kurze Text mit den vier Buchstaben mitten im Raum: DAIM.
Unterschrift üben
Der Künstler fertigte ihn aus Holz an und aus Pappe: 3D-Style. Hinter den drei sichtbaren Dimensionen verbirgt sich noch eine weitere. Die Obsession mit dem – selbstgewählten – Namen scheint immer auch Selbstbetrachtung und -suche zu sein. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Handschrift eines Menschen nichts über dessen Charakter verrät. Aber was ist mit der Unterschrift, die man schon als Kind mühevoll einstudiert, bis sie wie von selbst fließt? Was sagt es über einen aus, wenn man diese Unterschrift immer wieder in verschiedenen Variationen anfertigt und ausstellt?
Ausstellungsansicht: „DAIM | Retrospective – 35 Years Of Graffiti Art”, 2024, Foto © WAI Woods Art Institute

Einmal Sprayer, immer Sprayer
Die Ausstellung zeigt uns auch Mirko Reissers finanziellen Aufstieg. Er bekommt immer mehr Aufträge, kann sich andere Materialien leisten. Aber er sprüht nach wie vor – inzwischen legal, mit Auftrag, ganz groß. Ein schwindelerregendes Video aus Kanada zeigt, wie das aussieht.

Mirko Reisser (DAIM), Foto © Axel Stock. Courtesy: Städtische Galerie Bremen
Im letzten Raum begegnet einem endlich das, womit alles angefangen hat: ein Graffiti, einfach auf die Wand gesprüht, dort, wo es hingehört. Ob es nach Ausstellungsende im Januar 2025 einfach übermalt werden wird? Oder hat sich der Künstler für immer dort verewigt – im Gegensatz zu den Künstler*innen, die auf der Straße unterwegs sind und deren Kunst ein ewiger Kampf gegen Polizei und Reinigungsteams ist?
Gelungen und geschmacklos liegen im Woods Art Institute nur wenige Räume voneinander entfernt: Hier geht es zu meiner Meinung über Filippos Tsitsopoulos: Die Erforschung der authentischen Identität.