Im Woods Art Institute in Wentorf bei Hamburg gibt es Neues zu sehen: Parallel zu der Ausstellung von DAIM wurden auch zwei Videoinstallationen eröffnet – eine davon in einer Halle mit Werken aus der Sammlung von Rik Reinking.
Geschmacklose Zusammenführung
In dem großen Raum befinden sich Masken und Kostüme aus verschiedenen Ländern fernab des europäischen Kontinents. Vieles stammt aus dem Kongo. Wie in einem Kuriositätenkabinett stehen oder liegen die Gegenstände in dem Raum. Wir erfahren nichts über sie außer Bezeichnung und Land. Die Artefakte sind laut Reinkings Aussage in einem Interview „viele Hundert Jahre alt“. Ab 1885 war Kongo unter belgischer Kolonialherrschaft, das Regime des Königs Leopold II. gilt als das grausamste Kolonialregime jemals. Historische Einordnung? Fehlanzeige. Wenigstens der Versuch, die Provenienz dieser Gegenstände zu erläutern? Nein.
Doch es geht noch schlimmer: Auf einer Leinwand wird besagte Videoinstallation gezeigt, laut und dröhnend, ebenfalls seit dem 5. Mai. Es ist eine Performance des griechischen Künstlers Filippos Tsitsopoulos von 2017 mit dem Titel Die Erforschung der authentischen Identität.
Identitätssuche und -raub
Filippos Tsitsopoulos, Videostill: „What! Art though like the adder waxen and deaf, be poisonous too and kill thy forlom Queen?”, 2017, Courtesy: WAI Woods Art Institute

Laut dem Woods Art Institute ergründet das Video „die menschliche Identität und ihre Suche danach im Spiegel ethnischer Tanzkostüme und -masken“. Filippos Tsitsopoulos‘ Performance spielt sich auf einer öffentlichen Straße ab. Seine Identitätssuche ist vielmehr ein Identitätsraub: Das Schreien und das Zucken seines Körpers mimt ein Verhalten, das ich später an einer S-Bahn-Haltestelle in Hamburg bei einem vermutlich obdachlosen, vermutlich kranken Mann sehe. Die Maske mit den Pfauenfedern kopiert Masken wie die im Raum verteilten. (Auch auf dem Gelände des Instituts läuft ein Pfau herum, wie seltsam). Das zu Grimassen verzogene Gesicht, bedeckt mit weißem Puder, erinnert an eine Ästhetik, der sich auch Till Lindemann bedient, die vor allem erschrecken und provozieren soll, aber ansonsten ziemlich banal ist.
Das gehört hier nicht hin
Kontexte verändern kann faszinierend und weiterführend sein – das zeigt uns die Ausstellung von DAIMS Werken, der selbstbestimmt mit Motiv und Material spielt, mit Subkultur und Hochkultur. Doch der Gedanke „das gehört hier nicht hin“ drängt sich in diesem Raum auf eine ganz andere Art und Weise auf, als wenn Graffiti im Museum hängt. Sollten die Kostüme und Masken geraubt sein, gehören sie zurückgegeben – dass die Herkunft hunderte Jahre später teilweise schwierig nachzuvollziehen und die Rückgabe auch schwierig durchzuführen sein kann, wissen wir (allerdings wissen wir es nicht aus dieser Ausstellung, die zu dem Thema schweigt).

Filippos Tsitsopoulos, Videostill. Courtesy: WAI Woods Art Institute
Falls man die Objekte dennoch präsentieren will, dann gehört vor allem das Video von Filippos Tsitsopoulos nicht in einen gemeinsamen Raum. Es ist geschmacklos und respektlos, wie es den historischen Artefakten aus Kongo, Samoa und vielen weiteren Ländern gegenübergestellt wird.
Unwissen raubt Bedeutung und Würde
Auf der einen Seite des Raums finden wir Werke von Künstler*innen, deren Namen nicht genannt werden, denen Mitspracherecht und (finanzielle) Beteiligung genommen worden sind. „Es ist eine Performance des griechischen Künstlers Filippos Tsitsopoulos von 2017 mit dem Titel Die Erforschung der authentischen Identität“, habe ich einige Absätze zuvor über das Video auf der anderen Seite des Raums geschrieben. Dieser kurze Satz enthält mehr Informationen als wir über die gesammelten historischen Artefakte haben.
Wofür wurde die Eulenmaske verwendet, zu welchen Anlässen der Federschmuck getragen? Die (geraubten?) Artefakte werden ihrer Bedeutung und Würde beraubt – durch Unwissen über Kultur, Religion, Tradition. Die Künstler*innen aus Kongo, Samoa und vielen weiteren Ländern werden übertönt vom lauten Geschrei eines weißen Mannes, der seine Identität sucht – nachdem weiße Männer jahrhundertelang ihre eigene Identität zur Norm erklärt und anderen ihre Identität geraubt haben.