F. Jörg Haberland über seinen Denkort in Pinneberg – Teil 2

Teilen

Wer über den geplanten Denkort am Pinneberger Bahnhof spricht, muss vor allem eins wissen: Der Bahnhof ist derzeit eine Baustelle. Und das bereits seit 2018.

„Von meiner Seite ist alles fertig“, sagt F. Jörg Haberland über seine Arbeit. Schließlich hat er den Wettbewerb für einen künstlerischen Kommentar zur NS-Stele bereits 2021 gewonnen. Nun ist das Errichten seines Kommentars für Ende 2026 geplant. „Wir kommen erst ziemlich zum Ende der Bauarbeiten“.

Worum geht es überhaupt? Am Pinneberger Bahnhof steht eine große Stele aus Stein, zehn Meter hoch, 1934 erbaut. Auf den ersten Blick soll sie an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs erinnern. Auf den zweiten Blick steckt mehr dahinter. Um die Geschichte des NS-Bauwerks und die Suche nach einem künstlerischen Kommentar geht es hier:

Ein freundlicher Stein, der sich niemandem aufdrängt

490 Buchstaben „entgittert“. Foto: F. Jörg Haberland

Was kommen soll, ist vor allem eine kreisförmige Skulptur aus Stein. „Es handelt sich um einen sehr hellen, sehr freundlichen Granit aus Bayern“, erklärt Haberland. „Das liegt nicht daran, dass ich in Bayern wohne, sondern an seiner Farbe.“ Denn solch helle Steine gibt es nur im Süden Deutschlands. Dort liegt die fertige Skulptur derzeit im Granitwerk und wartet auf ihren Abtransport.

Der helle Stein soll Freundlichkeit ausstrahlen und Licht schlucken, damit man den eingravierten, nicht mit Farbe unterlegten Text nicht sofort erkennen kann. „Wer interessiert ist, kann sich darauf einlassen, den Text aktiv zu entziffern“, so Haberlands Absicht. Freiheit, Frieden, Toleranz steht auf dem Stein. Und das in den 27 häufigsten Verkehrssprachen, also Sprachen wie Englisch, Spanisch, Mandarin und Russisch, die weltweit von besonders vielen Menschen, auch Nicht-Muttersprachler*innen, gesprochen werden. Das äußere Wortband wird im Tagesverlauf durch den jeweiligen Sonnenstand so beleuchtet, dass es immer in Teilen deutlich lesbar wird – je nach Tageszeit andere Sprachen. Die drei Wörter auf den Innenseiten sind größer und immer lesbar.

Ein Denkort, kein Mahnmal

Was Haberland besonders wichtig ist: Er spricht nicht davon, dass in Pinneberg ein Mahnmal entsteht. Mahnen erinnere an den erhobenen Zeigefinger. Er spricht lieber von einem Denkort. Die Skulptur solle zunächst einfach Freude machen.

„Man lässt sich dort nieder, weil man zwölf Stunden im Zug gesessen hat und jetzt in Ruhe ein Eis essen will. Wenn man sitzt, nimmt man vielleicht die Wörter wahr. Und wenn man sich dafür interessiert, hat man die Möglichkeit, sich mehr damit zu beschäftigen.“

Was Haberland beschreibt, steht im Kontrast zur Nutzung des Denkmals im Nationalsozialismus: Es ragte in die Höhe, daneben stand in Reih und Glied die Hitlerjugend. Auf Haberlands Skulptur hingegen darf jede und jeder sitzen und ruhen. An diesem Denkort muss niemand etwas tun – noch nicht einmal denken.

Wer dann den Blick schweifen lässt, dem fällt vielleicht die fast vier Meter hohe Textstele auf, die gemeinsam mit den Steinen das Gesamtkunstwerk bildet. Von einem ganz bestimmten Punkt aus überdeckt ihr Text den nationalsozialistischen Bau. Er benennt den Ersten Weltkrieg als das, was er war: „ein maschinisierter Krieg unter Einsatz von unmenschlichsten, heute geächteten Methoden der Kriegsführung“.

Oberflächenversiegelung gegen Vandalismus

An dem NS-Bauwerk wird häufig konsumiert, zum Beispiel Lachgas. Foto: Pauline Reinhardt

In der Vergangenheit gab es Fälle von Vandalismus rund um das NS-Bauwerk. Dort wird gerne mal konsumiert, es liegen öfters leere Lachgashülsen neben der zehn Meter hohen Stele. Das Denkmal selbst wurde 2021 mit Kommentaren besprüht: NAZIDENKMAL; NZS BXN, FCK NZS, 161. Die Graffiti verraten, dass vermutlich antifaschistische Gruppen für sie verantwortlich sind.

Haberland hält zu viele Bedenken wegen Vandalismus für übertrieben. Er erzählt aber auch von einer Bushaltestelle, die er für eine Grundschule in Escheburg bei Geesthacht gestaltet hat: Buchstaben und Zahlen, durch die man in die Welt hinausschaut. In den vergangenen  20 Jahren sei sie ungefähr fünfmal zerstört worden – die Glasscheibe hätte jedes Mal neu hergestellt werden müssen.

Das abc Buswartehaus in Escheburg. Foto: F. Jörg Haberland / VG Bild Kunst, 2004

Deswegen will er beim Bau des Denkorts in Pinneberg darauf achten, etwas möglichst Dauerhaftes zu installieren, das keine Folgekosten verursacht, wenn es zu Vandalismus kommen sollte. Der helle Stein erhält eine Oberflächenversiegelung, die verhindert, dass Lacke in ihn eindringen können.

Eine Bronzetafel reicht nicht aus

Granitsegmente mit Inschriften auf den Innenseiten: 77 mal Frieden, Freiheit und Toleranz in 27 Sprachen. Foto: F. Jörg Haberland

Warum der ganze Aufwand? Eine Skulptur aus Stein, die von Bayern nach Schleswig-Holstein transportiert wird, eine spezielle Versiegelung, um sie vor Graffiti zu schützen. Haberland erzählt von Vorschlägen aus der Pinneberger Politik, neben dem NS-Bauwerk einfach eine Bronzetafel aufzuhängen, die über dessen Geschichte informiert. Er entgegnet: „Wir haben es nicht mit einem Text zu tun, der uns begegnet, und dem wir mit einem anderen Text begegnen können.“

Stattdessen handele es sich bei der Stele um ein Bauwerk, das uns körperlich nahe sei und einen (unbewussten) Einfluss auf uns habe. Eine Bronzetafel reiche da nicht aus. Stattdessen müsse etwas Massives her, das eine Schwere hat und kraftvoll wirkt, wie die neun Steine, die jeweils 650 Kilogramm wiegen.

Haberland betont, gerade solch ein in Bronze gegossener Kommentar könnte zur Verharmlosung der NS-Zeit beitragen: weil man nicht lernt, zwischen dem NS-Bauwerk und dem Kommentar zu differenzieren, weil man den Kommentar übersehen kann, weil die auf reine Fakten bezogene Information keinen Denkprozess in Gang setzen kann.

Ganz nach den Motti „Nie wieder ist jetzt“ und „Wehret den Anfängen“ will Haberland solch eine Verharmlosung verhindern. Erinnerungsorte an die Verbrechen der NS-Zeit sollten nicht zur bloßen „Kranzabwurfstelle“ verkommen, sagt der Künstler. Er will mit seinem Denkort einen Denkprozess auslösen, der nicht nur in die Vergangenheit blickt. „Wir müssen uns auf Werte einigen, die jetzt für uns gelten, egal ob hier ein NS-Bauwerk steht oder nicht: Frieden, Freiheit und Toleranz.“

Unterstützen Sie kulturkanal.sh
– für eine lebendige Kulturszene

Vielen Dank, dass Sie kulturkanal.sh nutzen. Unser Online-Feuilleton für Schleswig-Holstein bringt Ihnen spannende Inhalte und aktuelle Berichte über das vielfältige kulturelle Leben in unserer Region.

Um weiterhin unabhängige und hochwertige Inhalte anbieten zu können, brauchen wir Ihre Unterstützung.

Mit einer freiwilligen Zahlung helfen Sie uns, durch unsere Berichterstattung die Kultur vor Ort zu fördern.

Jeder Beitrag zählt – machen Sie mit und stärken Sie die regionale Kultur!

Themen

Teilen

Das könnte Sie auch interessieren

Meistgelesen

Neueste Artikel

Datenschutz
Kulturkanal.sh GbR, Inhaber: Birthe Dierks, Esther Geißlinger, Pauline Reinhardt, Bernhard Martin Schweiger, Gerd-Richard Warda, Kristof Michael Warda (Firmensitz: Deutschland), würde gerne mit externen Diensten personenbezogene Daten verarbeiten. Dies ist für die Nutzung der Website nicht notwendig, ermöglicht aber eine noch engere Interaktion mit Ihnen. Falls gewünscht, treffen Sie bitte eine Auswahl:
Datenschutz
Kulturkanal.sh GbR, Inhaber: Birthe Dierks, Esther Geißlinger, Pauline Reinhardt, Bernhard Martin Schweiger, Gerd-Richard Warda, Kristof Michael Warda (Firmensitz: Deutschland), würde gerne mit externen Diensten personenbezogene Daten verarbeiten. Dies ist für die Nutzung der Website nicht notwendig, ermöglicht aber eine noch engere Interaktion mit Ihnen. Falls gewünscht, treffen Sie bitte eine Auswahl: