Kein Mitleid für die Buddenbrooks!

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Für ihr Libretto haben Feridun Zaimoglu und Günter Senkel Thomas Manns elfhundert Seiten starken Roman arg eingedampft – statt der dort behandelten vier nehmen sie nur die letzten zwei Generationen der Buddenbrooks in den Blick. Die, bei denen es bergab geht mit der Kaufmannsfamilie. Ihre behutsamen Aktualisierungen sind dabei im Original größtenteils schon angelegt. Auch die Inszenierung (Regie Daniel Karasek, Kostüme Claudia Spielmann) verzichtet auf stumpfe Heutigkeit und schafft dennoch einen Abend von höchster Aktualität.  

In der großbürgerlichen Villa blicken die – männlichen – Vorfahren streng von den Wänden auf das Geschehen (Bühne: Lars Peter), bis ihre Portraits nach deren Verkauf schließlich hinausgetragen werden. Im Mittelpunkt steht Thomas Buddenbrook, den Kammersänger Jörg Sabrowski mit sonorem Bass und beeindruckender Klarheit verkörpert. In seinem Bemühen, ein guter Stammhalter zu sein, führt er die Waffengeschäfte der Familie im Sinne seines von der Wand blickenden Großvaters Johann. In Zaimoglu/Senkels Version sind die Buddenbrooks vom Getreide- zum Waffenhandel übergegangen, nachdem sie in Manns Roman nur die Armee mit Getreide versorgt hatten: „Ein satter Soldat mit schlechter Ausrüstung wird schnell totgeschossen“. Im Sinne des Familiengeschäfts also eine Weise Entscheidung und die Möglichkeit, doppelt zu verdienen. Beim Führen des Familiensunternehmens hält Thomas allerdings fatalerweise fest an den verlogenen christlich-bürgerlichen Werten und überholten Normen einer patriarchalen und homophoben Gesellschaft. Das macht ihn auch in heiratspolitischer Hinsicht blind und er setzt auf die falschen Gatten für seine beiden Schwestern: Der Anfang vom Ende.   

Kühnes Kapital 

Geschäftlich hingegen geht Thomas mit der Zeit – “von olivgrün zu grün ist es nur ein kleiner Sprung” (andersrum übrigens auch). “Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn”, wusste schon Karl Marx, und so sichert Thomas seiner Familie – die Energiewende verspricht schließlich große Gewinne – Lithiumvorkommen in den Anden. Eine geschäftliche Entscheidung. Mit irgendwelchen Klimaschutzüberlegungen hat das nichts zu tun. Zaimoglu und Senkel greifen hier eine hochaktuelle, hochpolitische Thematik auf: Lithium gilt als Rohstoff der Zukunft. Die größten Lithiumvorkommen der Welt befinden sich in Bolivien, Deutschland bemühte sich über Jahre um Abbaurechte. Die größten Lithiumvorkommen Europas liegen im umkämpften Donbass.

Thomas´ Entscheidung stellt sich als zu kühn heraus. Die Gier war größer als die Risikoabwägung, die goldene Familienregel “mache nur solche Geschäfte, dass wir bei Nacht gut schlafen können” ist gebrochen: Die neue Regierung des Andenstaates verstaatlicht die Lithiumvorkommen und möchte lieber das eigene, in Armut lebende Volk davon profitieren lassen als die Buddenbrooks. Denen wird der Lithium-Deal zum Verhängnis. Mitleid für sie empfindet man nicht. Dennoch wird´s nach ihnen nicht besser: Ihre Villa fällt an die turbokapitalistischen Hagenströms (kongenial clownesk: Konrad Furian & Stefan Sevenich).   

Bis hinauf zum hohen U  

Dem Komponisten Ludger Vollmer ist ein mitreißendes musikalisches Feuerwerk voller Zitate und ständiger Stilwechsel gelungen. Da schleicht sich leitmotivisch Joachim Neanders “Lobet den Herren” durch die protestantisch-ethische Gesellschaft, da klingt kurz die “Wacht am Rhein” an, da trommelt Christian (Michael Müller-Kasztelan) “zwo, drei, vier ss tata, tiralla” auf dem Sarg seiner Schwester Clara (Clara Fréjacques), während Tony Buddenbrook (hervorragend: Xenia Cumento) den gesamten Militarismus ihrer Zeit (und unserer Zeitenwende) im “hohen U” des Wortes Uniform zum Ausdruck bringt. In dieser steckt der fesche Leutnant René – nicht nur von Trotha, sondern auch vom Heeresbeschaffungsamt, was er in bester Bierzeltmanier blasmusikalisch untermalt kundtut. In Momenten wie diesen zeigt Vollmers Komposition ihren satirischen, bitteren Witz. Der wird nicht selten abrupt beendet mit einem peitschenden Schlag der “Royal Whip”, dem Percussionsinstrument, das ebenfalls leitmotivisch immer dann ertönt, wenn von Strafe, Züchtigung und Gewalt gesungen wird.

In den Kieler Philharmonikern unter der Leitung von Generalmusikdirektor Benjamin Reiners hat die komplexe Komposition ein würdiges Orchester für die Uraufführung gefunden, dem seine Spielfreude anzumerken ist. Eine nicht repräsentative Pausenumfrage kommt zum uneindeutigen Ergebnis “zu schräg”, aber “sehr melodisch”. Nach der Pause sind im ausverkauften Zuschauerraum vereinzelt leere Plätze zu entdecken.  

Xenia Cumento (Tony Buddenbrook) | Damen des Opernchors. Foto: Olaf Struck

Mutt dat?  

Während draußen die CDU für die Europawahl unter dem Slogan “Wat Mutt dat Mutt” Marine-U-Boote made in Schleswig-Holstein plakatiert, gelingt der Oper Kiel eine starke Adaption und Aktualisierung eines Stückes Weltliteratur. Dessen Autor Thomas Mann stimmte 1914, 13 Jahre nach Veröffentlichung des Romans, ins hurrapatriotische Kriegsgeschrei am Vorabend des Ersten Weltkriegs ein. Die Kieler Bearbeitung seines Werkes, für das er 1929 den Literaturnobelpreis erhielt, stellt sich durch ihren analytischen Blick auf die wirtschaftlichen Interessen und Verflechtungen dem heutigen Säbelrasseln entgegen.  

Feridun Zaimoglu und Günter Senkel nach Thomas Mann.

Ludger Vollmer. Buddenbrooks

Oper Kiel, Uraufführung.  

https://www.theater-kiel.de/oper-kiel/repertoire/produktion/titel/buddenbrooks

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