Ortsbilder: Sönke-Nissen-Koog

Teilen

Ein Spaziergang durch den Sönke-Nissen-Koog in Nordfriesland – ein Name, der gleich mehrere Fragen aufwirft: Was ist ein Koog? Und wer war Sönke Nissen?

Ein Koog, das ist ein Stück Land, das dem Meer abgenommen wurde. Wie ein Lamm, das von seiner Mutter getrennt wird. Ein Deich schützt den Koog vor Begegnungen mit der wilden Nordsee, die sich ihr Kind zurückholen will. An der Westküste sowie an der Elbe war das über Jahrhunderte eine gängige Praktik zur Landgewinnung: Hier gibt es heute noch 170 Köge mit Deichen, die insgesamt 850 Kilometer lang sind. Nordstrand zum Beispiel besteht aus sieben Kögen.

Wenn man auf dem Deich steht, ist es ganz schön pustig. Es riecht nach Salz in der Luft und Schafskötteln auf dem Boden. Die Schafe mähen in verschiedenen Tonlagen, der Wind trägt das Piepen einer weit entfernten Autoalarmanlage zu ihnen.

Der Deich ist rund 8,5 Kilometer lang. Parallel dazu verläuft die Straße Sönke-Nissen-Koog, an der die Höfe des Ortes liegen. Dass diese vereinzelten Häuser zusammengehören, erkennt man an den hellgrünen Dächern, für die dieser Koog besonders bekannt ist.

Überhaupt ist es hier sehr grün, besonders im Mai: Auf dem fruchtbaren Marschland müssen Weizen und Gerste noch reifen, der Ort wird von Windrädern umrahmt und selbst die Dächer der Biogasanlagen sind grün.

Im Juni dieses Jahres feiert der Koog seinen 100. Geburtstag. Was uns wieder zu der Frage bringt, wer eigentlich Sönke Nissen war – und warum der Koog nach ihm benannt wurde.

Als der Koog vor etwas mehr als 100 Jahren gebaut werden sollte, hatte der Staat keine Mittel für den Bau– wegen der Inflation. Deswegen kam ein Privatmann ins Spiel: Sönke Nissen. Er war durch den Einsatz von Zwangsarbeitern beim Eisenbahnbau und Diamantenschürfen im damaligen Deutsch-Südwestafrika und heutigen Namibia sehr reich geworden. Seine Geschichte hat der Historiker Marco Petersen aufgearbeitet – und Der Nordschleswiger hat mehrmals darüber berichtet:

„Zwischen 1906 und 1909 baut Nissen eine Bahnstrecke in Süd-West-Afrika. Beim Bau der Eisenbahn setzt Nissen Herero und Nama als Zwangsarbeiter ein, von denen 70 Prozent an den Folgen der Arbeitsbedingungen starben. Nissen nimmt das unbeirrt in Kauf, fordert immer neue Arbeitskräfte an und stößt beim Bau der Bahnstrecke auf Diamanten, setzt in der Schürfmine ebenfalls Zwangsarbeiter ein und kommt so zu einem Vermögen. Und dort beginnt sie, die Legende um den Nordfriesen, der mit einem Sack Diamanten nach Nordfriesland zurückkehrt. Im vom ersten Weltkrieg gebeutelten Deutschland kommen Nissens Wohltaten gut an.“

Der Nordschleswiger

Sönke Nissen starb noch bevor 1924 der erste Spatenstich für „seinen“ Koog getan wurde. Zu seinem Nachlass gehörten sieben dort angesiedelte Höfe – sie wurden alle nach Bahnstationen im damaligen Deutsch-Südwestafrika benannt: Kalkfontein, Karrasland, Lüderitzbucht, Kolmanskuppe, Elisabethbay, Keetmanshoop und Seeheim.

„Legenden und Mythen zu dekonstruieren, um einen unverstellten Blick auf die Geschichte zu ermöglichen und im besten Fall auch auf das unbeschreibliche Leid der Herero, Nama und Ovambo.“ – Das forderte Jan Diedrichsen schon im Januar 2022 in einem Artikel in Der Nordschleswiger. Er leitet die Vertretung des Schleswig-Holsteinischen Landtages in Brüssel. Auch die heimischen Kreispolitiker*innen schlugen im selben Jahr vor, man könnte Hinweisschilder zu Sönke Nissens Vergangenheit aufstellen, eine Ausstellung organisieren. Auf den ersten Blick scheint in dem Ort nichts dergleichen passiert zu sein.

Auf den zweiten Blick eröffnet zum 100-jährigen Jubiläum des Sönke-Nissen-Koogs und zum 20-jährigen Jubiläum des Amsinck-Hauses dort eine erneuerte Ausstellung – sie setzt sich erstmals auch mit der Kolonialvergangenheit des Koog-Namensgebers auseinander. Ein gutes, wichtiges Geburtstagsgeschenk, das man ab dem 27. Juni jeden Tag von 10 bis 18 Uhr besichtigen kann.

Zum Weiterlesen über Köge:

Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte: SH von A bis Z – Koog

Harry Kunz und Albert Panten: Die Köge Nordfrieslands. Bräist/Bredstedt 1997: Nordfriisk Institut.

Albert Bantelmann, Albert Panten, Rolf Kuschert, Thomas Steensen: Geschichte Nordfrieslands. Heide 1996: Verlag Boyes & Co.

Unterstützen Sie kulturkanal.sh
– für eine lebendige Kulturszene

Vielen Dank, dass Sie kulturkanal.sh nutzen. Unser Online-Feuilleton für Schleswig-Holstein bringt Ihnen spannende Inhalte und aktuelle Berichte über das vielfältige kulturelle Leben in unserer Region.

Um weiterhin unabhängige und hochwertige Inhalte anbieten zu können, brauchen wir Ihre Unterstützung.

Mit einer freiwilligen Zahlung helfen Sie uns, durch unsere Berichterstattung die Kultur vor Ort zu fördern.

Jeder Beitrag zählt – machen Sie mit und stärken Sie die regionale Kultur!

Themen

Teilen

Das könnte Sie auch interessieren

Meistgelesen

Neueste Artikel

Datenschutz
Kulturkanal.sh GbR, Inhaber: Birthe Dierks, Esther Geißlinger, Pauline Reinhardt, Bernhard Martin Schweiger, Gerd-Richard Warda, Kristof Michael Warda (Firmensitz: Deutschland), würde gerne mit externen Diensten personenbezogene Daten verarbeiten. Dies ist für die Nutzung der Website nicht notwendig, ermöglicht aber eine noch engere Interaktion mit Ihnen. Falls gewünscht, treffen Sie bitte eine Auswahl:
Datenschutz
Kulturkanal.sh GbR, Inhaber: Birthe Dierks, Esther Geißlinger, Pauline Reinhardt, Bernhard Martin Schweiger, Gerd-Richard Warda, Kristof Michael Warda (Firmensitz: Deutschland), würde gerne mit externen Diensten personenbezogene Daten verarbeiten. Dies ist für die Nutzung der Website nicht notwendig, ermöglicht aber eine noch engere Interaktion mit Ihnen. Falls gewünscht, treffen Sie bitte eine Auswahl: