An einem Sommerabend stehen die drei von der „Kulturschlachterei“ im Rendsburger Stadtpark und suchen einen Platz für ihr Zirkuszelt. Mitte Juli 2024 wird in dem Park im Herzen der Kreisstadt das Festival „Gröön“ stattfinden. Bereits zum zweiten Mal laden die Kulturschlachter-Meister – wie Alexander Luttmann sich und seine Mitstreiter Stephan Mohr und Johannes Lachenmeier scherzhaft nennt – zum Fest im Grünen ein. Schon fast eine Tradition also, und ein Punkt mehr im Programm des soziokulturellen Zentrums, das 2016 als spontanes Projekt begann und inzwischen aus dem Rendsburger Kulturleben kaum mehr wegzudenken ist. Dabei hatten die drei das am Anfang gar nicht gewollt.

Ein Raum für alle mit niedriger Schwelle
„Sind wir noch verrückt und verwegen?“ Diese Frage beschäftigt Stephan Mohr. Der 56-Jährige stammt als einziger in der Runde aus Rendsburg, die beiden anderen sind zugezogen, leben aber seit Langem in der Stadt am Nord-Ostsee-Kanal. Gemeinsam wollten sie einen Ort schaffen, an dem es „die Kunst und Kultur gibt, die wir mögen“, wie Luttmann sagt. Ein Ort, an dem niemand Eintritt zahlt, sondern an dem nach Konzerten oder Lesungen der Hut rumgeht. Ein Ort, an dem Künstler:innen ohne Gage auftreten, weil sie Lust auf die familiäre Atmosphäre und ein neugieriges Publikum haben. Ein Ort, an dem Getränke zwischen einem und drei Euro kosten. „Die Kulturschlachterei ist ein nicht-kommerzieller Raum, an dem Leute einfach sein können“, sagt der 41-jährige Johannes Lachenmeier. „Unsere Schwelle ist extrem niedrig.“
„Sind wir noch verrückt und verwegen?“
Stephan Mohr
Das stimmt buchstäblich. Die „Kulturschlachterei“ befindet sich in einem ehemaligen Ladenlokal in der Rendsburger Innenstadt. Früher hatte hier tatsächlich ein Schlachter sein Geschäft, verkaufte Fleisch und Wurstwaren, dann übernahm ein Second-Hand-Laden. Der zog um, damit standen die Räume leer, wie so viele der kleinen Läden in der Fußgängerzone. Der Kampf gegen Leerstand und die Verödung der Innenstadt ist ein Schwerpunkt des Vereins „Wilde Bildung“, der heute Träger der Kulturschlachterei ist. Dass Luttmann, Mohr und Lachenmeier im Jahre 2016 die alte Schlachterei für die Kultur kaperten, war nicht als Dauer-Aktion geplant. „Es ging nur um eine Zwischennutzung“, sagt der 55-jährige Luttmann. Inzwischen kann davon keine Rede mehr sein – die „Kulturschlachterei“ ist „schon ziemlich gesetzt geworden“, meint Mohr etwas bedauernd.
Konzerte, Lesungen und stadtpolitische Gespräche
Angefangen haben sie mit Hockern und ein paar alten Tischen, die Miete zahlten sie aus der eigenen Tasche. Aus den Holzlatten, die die Vormieter an die Wände genagelt hatten, baute Johannes Lachenmeier Bänke. Bei den ersten Veranstaltungen drängten sich die Gäste im engen Raum – und hatten Spaß. Die „Kulturschlachterei“ wurde bekannter, es gab weitere Veranstaltungen: Poetry Slams, Konzerte, Lesungen. Aber auch stadtpolitische Treffen, etwa ein Bürgergespräch über die Frage, wie sich die Innenstadt entwickeln solle. „Da saßen hier 60 Leute, der Bürgermeister war dabei“, erinnert sich Alexander Luttmann.

Im Lauf der Zeit bekamen sie Möbel geschenkt, legten die alten Fliesen an den Wänden frei, bauten eine Theke ein, strichen die Wände. Und dann kam Corona.
Die Pandemie bedeutete einen Einschnitt
Der Ausbruch der Pandemie bedeutete für die Kulturschlachterei wie für viele andere kleine Veranstaltungsbühnen einen harten Einschnitt. Zu dem Zeitpunkt trug sich das Zentrum soweit, dass die drei Betreiber – außer jeder Menge Zeit und Arbeit – nichts mehr zuschießen mussten. Sie kamen ohne Fördergelder aus, bis auf Spenden vom Abfallwirtschaftsbetrieb der Stadt: Deren Mitarbeiter veranstalten regelmäßig Flohmärkte mit Gebrauchtgegenständen aus dem Sperrmüll, die Einnahmen kommen regionalen Vereine zugute, darunter war in den Anfangsjahren auch mehrmals die Kulturschlachterei. Die Veranstaltungen finanzierten sich durch Getränkeverkauf und die freiwilligen Eintrittsgelder. Doch diese Einnahmen blieben nun aus, und Rücklagen gab kaum.
Um das Kulturzentrum über die Lockdowns zu retten, bewarben die Betreiber sich um Mittel aus dem Förderprogramm „Neustart Kultur“. Mit dem Geld kauften sie unter anderem die Zirkuszelte, die heute das Festival im Stadtpark möglich machen: „Wir wollten gerüstet sein für Freiluftveranstaltungen mit Abstand“, sagt Luttmann. Das Dreierteam organisierte auch andere Events, etwa einen Autokino-Abend auf dem Rendsburger Paradeplatz. „Das war irgendwie spooky, weil die Polizei herumfuhr und aufpasste, dass niemand aus dem Auto stieg“, berichtet Johannes Lachenmeier. Es folgte ein Open-Air-Konzert, bei dem die Drei Erfahrungen sammelten, die für die jetzigen Festivals hilfreich sind. Ein Lastenrad und eine mobile Küche gehören ebenfalls zu den Anschaffungen aus der Corona-Zeit. „Wir halten inzwischen einiges an Material vor und verleihen das kostenlos“, sagt Luttmann. So könne die Kulturschlachterei anderen Vereinen und Initiativen eine Starthilfe geben – ein kleiner Nebeneffekt, über den sich die drei freuen.
Die Kulturschlachterei ist eine Größe in der Stadt

Inzwischen ist die Rendsburger Kulturschlachterei Mitglied beim Landesverband Soziokultur und erhält darüber Fördergeld vom Land. Ohne das würde es nicht mehr gehen, sagen die Betreiber einhellig. Wegen der stark gestiegenen Kosten für Energie und Material, aber auch, weil sie auf Dauer die Miete nicht privat tragen könnten. Alle drei sind neben ihrem ehrenamtlichen Einsatz in anderen Berufen tätig. Lachenmeier und Mohr arbeiten beide beim Diakonischen Werk, Luttmann ist Geschäftsführer der Kulturstiftung Kreis Rendsburg-Eckernförde.
Sie sind inzwischen bekannt in der Stadt und dem Umland: „Man findet uns“, sagt Luttmann. Es gibt Kooperationen, eine gute Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung. Aber die bunten Aktionen der Anfangsjahre, die Denkanstöße geben und die manchmal schläfrige Kleinstadt aufmischen sollten, die gibt es kaum noch. „Manchmal vermisse ich das“, sagt Stephan Mohr. Weitermachen wollen sie dennoch – solange ihnen die ehrenamtliche Arbeit Spaß macht und neue und alte Gäste den Weg über die niedrige Schwelle in die Kulturschlachterei finden.