Den Toten gedenken, aber wie? Bestattungskulturen in Lübeck und der Welt.

Teilen

„Das, was der Tod genannt wird, ist nun gekommen.“ Mit diesem Zitat aus einem tibetanischen Totenbuch beginnt Dr. Lars Frühsorge seine Führung durch die Ausstellung „Bestattungskulturen in Lübeck und der Welt. Vom Ruheort zum Coffin Dance“. Frühsorge ist Direktor der Lübecker Sammlung Kulturen der Welt und hat die Schau im Industriemuseum Herrenwyk kuratiert. Der Tod ist hier allgegenwärtig. Zum Beweis ist ein offener Sarg ausgestellt, in dem man „Probeliegen“ kann.

Insgesamt geben rund 70 Exponate aus 25 Ländern – gegliedert in drei Themenräume – Einblicke in die deutsche Bestattungsindustrie und in den Umgang mit dem Tod in Asien, Afrika, Lateinamerika und der Südsee. Zuerst geht es um den Tod als Übergang in eine vermeintlich andere Welt. Zu sehen sind Kreuze aus dem Alpenraum, die Sterbenden in die Hand gegeben werden oder die Statue eines liegenden Buddha, die den Eintritt ins Jenseits symbolisiert und vieles mehr. Frühsorge sagt: „Der Tod bedeutet nicht überall das Ende des Lebens.“ Er werde vielmehr als ein weiterer Schritt in einem ewigen Kreislauf von Sterben und Wiedergeburt verstanden.

Jenseitsszene China, Ende 19. Jh. Papier, Holzdruck, handkoloriert Sogenannte „Höllendarstellungen“ sind feste Bestandteile des chinesischen Volksglaubens. Auf dieser Darstellung sind unterhalb des Richtertisches Gerichtsschergen zu sehen. Die vor dem Tisch abgebildete Szene zeigt Sünder vor einem Spiegel, der ihnen ihre Untaten offenbart. Um die Bildmitte herum sind zahllose einzelne Qualen abgebildet, auf die sich die Sünder:innen einstellen müssen, um wiedergeboren zu werden. Inwiefern das hier gezeigte Bild vielleicht auch von christlichem Gedankengut beeinflusst wurde, gilt es noch zu erforschen. Copyright © Völkerkundesammlung Lübeck

Der zweite Raum widmet sich den Ritualen, die die Menschen im Laufe der Zeit entwickelt haben, um ihre Verluste zu verarbeiten. Dazu geben nicht nur Objekte Auskunft, mit denen man scheinbar Kontakt mit der Totenwelt aufnehmen oder Blicke ins Jenseits erhaschen kann, sondern auch die verschiedenen Formen von Trauerfeiern.

Raum drei behandelt den Friedhof als Ort der Trauer sowie seine Entwicklung vor dem Hintergrund, dass sich viele Menschen für alternative Bestattungsformen entscheiden. Auf Informationstafeln wird die Geschichte der Lübecker Friedhöfe dargestellt, wofür Fotomaterial durch eigens für die Ausstellung in Auftrag gegebene Drohnenflüge ausgewertet wurde. Längst ist die Bestattungsindustrie auch ein Wirtschaftsfaktor geworden, der mit Zahlen und Fakten untermauert wird.

Wendenkorb. © Copyright SKW, Dabringhaus

Zu den wohl berührendsten Exponaten gehört ein schmaler Weidenkorb aus Deutschland. Frühsorge erklärt, dass mit diesem Korb verstorbene Kinder aus Krankenhäusern abgeholt werden. „Kleine Särge ziehen unnötige Aufmerksamkeit auf sich.“

Schaut man ins Ausland, werden tatsächlich ungewöhnliche Riten sichtbar. So wurde in Ghana ein Sarg in Form eines Mercedes-Benz gefertigt. Hinter dieser Tradition der figürlichen Särge steht das Auto für einen vielleicht zu Lebzeiten unerfüllten Wunsch nach Wohlstand. Der Sarg könnte aber auch für wohlhabende Marktfrauen in der Hauptstadt Accra bestimmt sein, die aufgrund ihrer Vorliebe für den Luxuswagen „Mama Benz“ genannt werden. Aus Ghana bekannt geworden ist zudem der „Coffin Dance“, mit dem Sargträger die Begleitung der Toten in mitreißenden Tänzen zelebrieren. Dazu wird in einem der Ausstellungsräume ein Video gezeigt. Der „Coffin Dance“ ist erst zur Corona-Zeit vor allem in den Sozialen Netzwerken bekannt geworden und hat mittlerweile Kultstatus erreicht“, so Frühsorge.

Frühsorge ist Ethnologe und hat über 60 Länder bereist. Er hat eine sorgfältig zusammengetragene Ausstellung kuratiert und erzählt, dass Besucher sich tatsächlich in den offenen Sarg legen würden, allerdings erst, wenn sie allein im Raum seien und sich unbeobachtet fühlten. Frühsorge beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Erinnerungskulturen und Religionen sowie den Themen Tod und Trauer in den Weltkulturen.

Die Beerdigungs- und Erinnerungskultur ist im Wandel, dies zeigt sich auch auf den Friedhöfen. Ruhestätte werden kleiner, Gräberflächen werden zu parkähnlichen Rückzugsorten. Foto: Kristof Warda

Der Tod trägt nicht überall Trauer

Im nachfolgenden Interview mit Sina Worm für Kulturkanal.sh blickt Dr. Lars Frühsorge auf den seit Jahren sichtbaren Bestattungswandel in Deutschland. Er erklärt, wie man das Sterben aus der Tabuzone holt und warum der Tod nicht überall Trauer trägt.

Herr Frühsorge, Sie widmen dem Tod eine eigene Ausstellung. Warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt dafür?

Dr. Lars Frühsorge: Ich denke, die Zeit ist heute reifer denn je. Die Pandemie hat viele Menschen mit Fragen des Todes konfrontiert, aber es gibt jetzt auch neuere Entwicklungen. Ich nenne den Niedergang – und ich sage ganz bewusst Niedergang – von städtischen und kirchlichen Friedhöfen und die Zunahme von Bestattungen auf See und in Ruheforsten. Ich habe eine Krankenschwester geheiratet, die tagtäglich mit dem Tod zu tun und einen anderen Blick hat als ich, der Akademiker. Wir bereisen die Welt gemeinsam, sehen uns Friedhöfe an und setzen uns mit Bestattungstraditionen auseinander. Auch das ist eine wesentliche Basis der Ausstellung.

Wie kam es zur Kooperation mit dem Museum im Lübeck?

Das Museum ist ein Industriemuseum, und Beisetzungen gehören eben auch zu einer Bestattungsindustrie. Die Direktorin, Dr. Bettina Braunmüller, hatte schon lange die Idee für diese Ausstellung.

Was ist der Unterschied zwischen deutschen und internationalen Bestattungskulturen?

Was viele Menschen beklagen, ist, dass der Tod bei uns tabuisiert wird. Mir hat mal jemand erzählt, dass eine Immobilie an Wert verliert, wenn dort ein Mensch gestorben ist. Der Tod hat kaum noch Platz in der Gesellschaft, und er ist bei uns mit Trauer verbunden. Das würden Buddhisten beispielsweise nie tun. Sie zeigen keine große Traurigkeit, damit die Seele des Verstorbenen auf dem Weg ins Jenseits und zur Wiedergeburt nicht aufgehalten wird. Es gibt unterschiedliche Umgangsformen und diese Vielfalt zu erforschen, ist wichtig.

Dass es einen Wandel in der Bestattungskultur gibt, ist unbestreitbar. Sehen Sie auch emotionale Veränderungen bei den Menschen im Umgang mit dem Tod?

Das Dominierende ist mittlerweile das Finanzielle. Die Menschen sagen, sie möchten ihren Hinterbliebenen nicht zur Last fallen und suchen eine günstige Bestattung. Es gibt einen großen Hunger nach alternativen Angeboten. Menschen nehmen Friedhöfe als christliche Orte wahr, sind selbst aber nicht gläubig und möchten dort nicht beigesetzt werden.

Was braucht es, um den Tod zu enttabuisieren?

Der Tod muss wieder Teil des Alltags werden. Es wird viel in Krankenhäusern und Pflegeheimen gestorben. Bestatter müssen unglaublich diskret vorgehen, damit sich niemand gestört fühlt. Das ist ein Problem. Letzten Endes geht es darum, den Tod sichtbar zu machen und darum, ihn nicht unbedingt als etwas Endliches, Negatives zu sehen, wie uns das andere Kulturen zeigen. Der Tod braucht einen Ort und nicht, dass alles billiger und schneller sein soll wie bei den schon angesprochenen Bestattungen im Ruheforst oder auf See. Nach Jahren stellen die Menschen dann fest: Ich brauche doch einen Ort zum Trauern, und diese Orte müssen attraktiv sein. Wenn der Friedhof ein depressiver Ort ist, wo ich leise sein und traurig gucken soll und wo ich nicht gerne hingehe, dann werden wir den Tod nicht aus der Tabuzone holen.

Wie schauen Sie persönlich auf diese Veränderungen?

Mein Vater ist vor zwei Jahren verstorben. Wir saßen beim Bestatter und mussten schnell Entscheidungen treffen. Es kann sehr belastend sein, wenn man keinen Wunsch des Verstorbenen hat, dem man folgen kann. Wir haben uns für eine Waldvariante entschieden, aber im Nachhinein denke ich, wenn ich schon vor zwei Jahren gewusst hätte, was heute rechtlich möglich ist, hätten wir differenzierter entscheiden können.

Gibt es etwas, das man vom Tod lernen kann?

Es macht in meinen Augen wenig Sinn, einfach nur traurig zu sein. Man muss das Leben des Verstorbenen feiern. Es ist nicht leicht, aber ich glaube, dass das gut ist. Es geht darum, etwas Bleibendes zu hinterlassen, das über mein kurzes Dasein hinaus geht. Da gibt es unendlich viele Möglichkeiten. Wir sollen Herr über unseren Tod sein und selbstbestimmter darüber entscheiden.

Was ist ein gutes Leben und was ist ein guter Tod?

Ein gutes Leben ist eines, das mit Sinn erfüllt war, bei dem es nicht nur um mich selbst ging. Ein guter Tod ist mit wenig Schmerz verbunden. Die allermeisten Kulturen würden sagen, ein gutes Leben ist eins, in dem ich Nachkommen in die Welt gesetzt habe.

Gibt es in Ihrer wissenschaftlichen Arbeit eine besondere Geschichte, die Ihnen in Erinnerung geblieben ist?

Ich habe die Sprache der Azteken erlernt und da gibt es ein Gedicht über den Tod, das mit den Worten endet: „Dies ist nicht unser Haus. Wir wohnen nicht hier, auch du wirst fortgehen müssen.“ Ein aztekischer Gelehrter hat es ganz simpel auf den Punkt gebracht: Mühsam ist das Leben auf Erden, aber zum Ausgleich haben die Götter uns das gute Essen und den Sex geschenkt. Das Leben zu genießen – das ist die Botschaft.

Danke Herr Frühsorge für den tiefen Einblick ans Abschiednehmen und Erinnern.

Die Ausstellung ist Teil des „Zauberberg“-Jahres, mit dem der Verbund der Lübecker Museen das 100. Jubiläum von Thomas Manns Weltbestseller „Der Zauberberg“ begeht. Sie ist noch bis zum 23.Februar 2025 zu sehen.

Unterstützen Sie kulturkanal.sh
– für eine lebendige Kulturszene

Vielen Dank, dass Sie kulturkanal.sh nutzen. Unser Online-Feuilleton für Schleswig-Holstein bringt Ihnen spannende Inhalte und aktuelle Berichte über das vielfältige kulturelle Leben in unserer Region.

Um weiterhin unabhängige und hochwertige Inhalte anbieten zu können, brauchen wir Ihre Unterstützung.

Mit einer freiwilligen Zahlung helfen Sie uns, durch unsere Berichterstattung die Kultur vor Ort zu fördern.

Jeder Beitrag zählt – machen Sie mit und stärken Sie die regionale Kultur!

Themen

Teilen

Das könnte Sie auch interessieren

Meistgelesen

Neueste Artikel

Datenschutz
Kulturkanal.sh GbR, Inhaber: Birthe Dierks, Esther Geißlinger, Pauline Reinhardt, Bernhard Martin Schweiger, Gerd-Richard Warda, Kristof Michael Warda (Firmensitz: Deutschland), würde gerne mit externen Diensten personenbezogene Daten verarbeiten. Dies ist für die Nutzung der Website nicht notwendig, ermöglicht aber eine noch engere Interaktion mit Ihnen. Falls gewünscht, treffen Sie bitte eine Auswahl:
Datenschutz
Kulturkanal.sh GbR, Inhaber: Birthe Dierks, Esther Geißlinger, Pauline Reinhardt, Bernhard Martin Schweiger, Gerd-Richard Warda, Kristof Michael Warda (Firmensitz: Deutschland), würde gerne mit externen Diensten personenbezogene Daten verarbeiten. Dies ist für die Nutzung der Website nicht notwendig, ermöglicht aber eine noch engere Interaktion mit Ihnen. Falls gewünscht, treffen Sie bitte eine Auswahl: