Müll, überall Müll: Plastik türmt sich auf der Bühne im kleinen Studio des Theaters Kiel. Zwischen den Abfallbergen tummeln sich die Meeresbewohner:innen. Aber weil es so nicht weitergehen kann, setzen sich die „Modern Mermates“ in dem gleichnamigen Stück, das in Kiel uraufgeführt wurde, zur Wehr. Ihnen dabei zuzuschauen, macht viel Spaß – und weil gleichzeitig die realen Probleme eindrucksvoll beleuchtet werden, ist es ein Theaterabend, der nachwirkt.
Träumerische Meerjungfrauen im trüben Wasser

„In der Nacht sind alle Fische Schatten, in der Nacht verschwimmen Meer und Himmel“: Träumerisch blicken Thetis (Tiffany Köberich) und Amphinome (Isabel Baumert) vom Grund der Ostsee zur Oberfläche. Es könnte so schön sein in ihrer Unterwasserwelt, wenn da nicht die Menschen wären. Erstens laden die ihren Dreck überall ab, erwärmen und vergiften das Meer – eine Düse, aus der Schaum spritzt, vergrößert das Problem immer weiter. Zweitens kommen Meeresnymphen oder Sirenen in der Mythologie am schlechtesten weg, finden die beiden: „Wir warten immer nur auf Erlösung.“ Allein schon der Name, über den sie sich erst einmal klar werden müssen: Mermaids, Meerjungfrauen, oder Mermades, Meergemachte? Alles nicht schön, finden Thetis und Amphinome, bevor sie sich auf Mermates, Meerfreundinnen, einigen.
Pointierte, rotzige Dialoge hat Simone Saftig den beiden und ihrem besten Freund, dem depressiven Delfin Dirk (Yvonne Ruprecht) auf die kaum mehr glitzernden Leiber geschrieben. „Modern Mermates“ ist das erste Theaterstück der gebürtigen Dortmunderin, Jahrgang 1993, die als Literaturwissenschaftlerin, Kulturjournalistin und freie Autorin arbeitet. Sie schrieb den Entwurf für den Wettbewerb „Textflimmern“, den das Theater Kiel und das Literaturhaus Kiel ins Leben gerufen haben. „Klimawandel“ lautete das Oberthema, das Theater gibt damit wie auch bei anderen Gelegenheiten einem aktuellen Thema buchstäblich eine Bühne. Die Jury wählte Saftigs Entwurf unter 53 Einsendungen aus.

Ihr Ausgangspunkt sei die Mythologie gewesen, die Meerjungfrauen als Projektionsfläche, sagte die Autorin bei einem Publikumsgespräch im Kieler Schauspielhaus. Dieser Ansatz verbindet sich sehr gut mit dem Umweltthema: „Worüber würden Seejungfrauen, wenn es sie gebe, wohl heute prechen? Den Klimawandel.“
„Unser Schmerz ist für sie nur Blubberblasen“
Dass ihr und ihren Figuren das Thema ernst ist, klingt – bei aller Komik – immer wieder durch. So sammeln die Mermates Beweise für die Umweltzerstörungen: etwa eine abgerissene Haiflosse oder ein in einem Netz ersticktes Pinguin-Baby. Doch ein Gericht weist das als irrelevant zurück. „Unser Schmerz ist für sie nur Blubberblasen“, sagt Thetis. Helfen Demos oder Streik? Das würde die Menschen gar nicht stören, ahnt Amphinome: „Wir arbeiten nicht für sie.“ Die Machtlosigkeit der am stärksten Betroffenen gegenüber den Verursachern von Müll und Klimawandel erinnert stark an die Proteste kleiner Inselstaaten, die zuschauen müssen, wie ihr Lebensraum verschwindet. Auch das Leben zwischen Müllbergen, das Thetis und Amphinome führen, ist für viele Menschen in den ärmsten Staaten der Erde real.
Aber der teils alberne, teils böse Humor nimmt dem Stück den schlimmsten Schrecken. So lästern die Mermates über Füße – „igitt!“- und machen sich über die kleine Meerjungfrau lustig, die „für einen Dude mit Beinen“ auf ihre Flosse verzichtet. Delfin Dirk, der sich als langjähriger Begleiter der Demeter einen kaputten Rücken zugezogen hat und den Frust mit Alkohol und Zigaretten bekämpft, ruft seine „Brüder und Schwestern in Seaworld“ zum Kampf auf: „Schwimmt nicht mit Menschen! Seid nicht mehr niedlich!“
Meerjungfrauen auf einer „Mission Impossible“

Die Inszenierung, an der Johannes Ender als Regisseur, Tristan Brenzmüller als Dramaturg und Hannah Landes als Ausstatterin beteiligt sind, lebt von zahlreichen Einfällen, die die absurde Komik unterstreichen. So robben die Meermates unter Klängen der Mission-Impossible-Filme auf ihrer Rachemission durch den Müll. Und das Touristenpaar Laurie und Harry, die als Vertreter:innen der Menschheit den Gegenpol zu den Meereswesen bilden, kommen nur als Strumpfpuppen daher, die von Yvonne Ruprecht gespielt werden. Sie verkörpert auch das Kreuzfahrtschiff, auf das die Mermates es abgesehen haben. Über die Frage, wie so ein Riesendampfer auf die Bühne passe, habe sie sich beim Schreiben nur kurz Gedanken gemacht, bekannte die Autorin beim Publikumsgespräch. Regisseur Ender löst das Problem mit einem Pappmodell zum Umhängen.
Ruprecht tritt noch in einer vierten Rolle auf, nämlich als Meeresgöttin Sephna. Das letzte Wort aber haben die Menschen – damit endet das Stück mit einem bösen Knalleffekt.
Die kommenden Aufführungstermine finden Sie hier.