Die Dokumentation Chicks on Boards – Surferinnen zwischen Freiheit und Kultur

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Regisseurin Dörthe Eickelberg spricht über ihre Dokumentation Chicks on Board, die beim CINEMARE Meeresfilmfestival gezeigt wurde. Der Film thematisiert die geringe Sichtbarkeit von Frauen im Wassersport, besonders in Ländern, in denen das Surfen für Frauen ein Akt der Rebellion ist.

Eine zerstörte Straße in Gaza. Fotos: Dörthe Eickelberg

Surfen als Sprache

Ein eindrucksvolles Schicksal erzählt die Dokumentation Chicks on Boards von Dörthe Eickelberg, die einen Preis für ihren Kurzfilm im Rahmen des CINEMARE Meeresfilmfestivals gewann. 2014 lernte sie die junge Surferin Sabah Rajab Abu Ghanem in Gaza kennen – eine Frau mit Träumen und Hoffnungen, wie sie viele junge Frauen haben.

Preisverleihung CINEMARE Meeresfilmfestival im Studio Kino Kiel. Foto: CINEMARE | PAT SCHEIDEMANN 

Die Lage in Gaza spitzte sich damals schon zu, das Gebiet wurde bereits von der Hamas kontrolliert. Trotzdem wagte Eickelberg den gefährlichen Weg 2014 dorthin. „Ich fragte Leute in Israel, ob es einen Weg nach Gaza gibt – sie hielten mich alle für verrückt“, erinnert sie sich. Doch sie hatte ein Ziel: Nachdem sie bereits in Israel mit Surfer:innen gedreht hatte, wollte sie auch die andere Seite zeigen. Nicht aus rein politischem Interesse, sondern um zu verbinden. Um eine gemeinsame Sprache zu finden – das Surfen.

Kurz nach dem Dreh der Dokumentation Chicks on Boards wurde Abu Ghanem verheiratet, der Kontakt brach fast ab. Sie bekam drei Kinder und musste fortan ihren ehelichen Pflichten nachkommen. Als sie später versuchte, wieder surfen zu gehen, reagierte ihr Vater mit Strafen, wie Eickelberg erfuhr.

Nicht nur die kulturellen Unterschiede erschwerten die Verständigung zwischen Eickelberg und Abu Ghanem, sondern auch die Sprachbarriere. Die Dolmetscher:innen waren meist männlich, eine zusätzliche Hürde in einem ohnehin stark männlich geprägten Umfeld. Nur ein einziges Mal war für zwei Stunden eine weibliche Dolmetscherin anwesend, in diesem kurzen Moment entstand das Gefühl eines echten Austauschs.

Sabah Rajab Abu Ghanem im Wasser. Foto: Dörthe Eickelberg

Träume gegen Realität

Abu Ghanem steht unter großem gesellschaftlichem Druck. Sie darf nicht zu offen sprechen, nicht zu frei handeln – sie muss sich an Erwartungen anpassen, die andere an sie stellen. Und trotzdem hat sie einen Traum: Mädchen in Gaza das Schwimmen beizubringen. Ihr Vater und ihr Ehemann erlaubten ihr schließlich, wieder ins Wasser zu gehen. Doch ihre Rückkehr wurde schnell von der Realität eingeholt.

Ab dem 7. Oktober 2023 veränderte sich ihr Leben. Der Krieg zerstörte ihr Zuhause und ihre Familie musste fliehen. Seither ziehen sie von Ort zu Ort, auf der Suche nach Sicherheit. Der Alltag wird bestimmt von Bombenangriffen. Eickelberg durfte seitdem nicht mehr nach Gaza einreisen – doch Abu Ghanem filmte weiter, mit dem Handy, aus ihrem Alltag.

Ihre Kinder verloren ihre Kindheit – sie wurde ersetzt durch Angst und Schrecken. Die von Abun Ghanem selbst aufgenommenen Bilder in der Dokumentation zeigen eine junge Frau zwischen Hoffnung und Verzweiflung, die um ihr Leben und das ihrer Familie kämpft.

Für diese Geschichte gibt es bisher kein Happy End. Es ist keine filmische Dramaturgie. Es ist Abu Ghanems Leben.

Portrait von Sabah Rajab Abu Ghanem Foto: Dörthe Eickelberg

Freiheit für einen Moment

Die Dokumentationsreihe von Dörthe Eickelberg porträtiert Surferinnen auf der ganzen Welt. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein und doch verbindet sie etwas: „Vermutlich würden sie sich alle verstehen, sobald sie auf dem Wasser sind. Denn auf dem Wasser sind alle gleich.“

Eickelberg sagt, der Unterschied zwischen Abu Ghanem und ihr sei groß – kulturell, sprachlich, biografisch. Aber wenn sie gemeinsam im Wasser waren, war da eine Verbindung.

Abu Ghanem liebt das Meer. Ihre Augen leuchteten, wenn sie surfte. Und doch richtete sie nach jeder Welle ihr Kopftuch – als würde es sie daran erinnern, dass die Freiheit, die sie im Wasser empfindet, nur ein kurzer Moment ist. Einer, den sie an der Küste zurücklassen muss.

Eickelberg hatte auch Kontakt zu  Abu Ghanems Cousin, Mohammed Abu Ghanem, ein sehr guter Surfer, „eines Tages rief er per Videocall an, obwohl wir uns kaum verständigen können. Er wollte mir nur zeigen, dass er am Meer ist und wie schön die Wellen waren und er sie gerne surfen möchte“.

Eickelberg auf der Welle. Foto: Dörthe Eickelberg

„Besonders bewegend war, dass das Publikum – obwohl überwiegend aus Studierenden bestehend – gefragt hat, wie es helfen könne“, bemerkte Eickelberg.
Am Veranstaltungsabend im Studio Kino Kiel kam zudem eine Spendensumme zusammen, die Eickelberg an Abu Ghanem weiterleiten konnte.
Die Regisseurin freut sich über jede Unterstützung für die junge Familie, mit der sie regelmäßig in Kontakt steht, denn die Preise in Gaza steigen stetig, während Ressourcen knapp sind.
Der Kontakt zu Sabah Rajab Abu Ghanem und ihrem Cousin Mohammed Abu Ghanem ist über Instagram möglich.

Mehr zu Eickelbergs Reise und den Surferinnen findest du in ihrem Buch:

 „Die nächste Welle ist für Dich“

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