Marschmusik dröhnt aus den Lautsprechern in Daniela Paulsens Wohnzimmer. Paulsen lächelt. „Ach ja, die Alten Kameraden.“ Sie bewegt die Finger im Takt. „Daran denken die meisten Leute wahrscheinlich, wenn sie das Wort Spielmannszug hören: Uff-tata. Aber ich denke dabei an so etwas.“ Sie startet eine neue Aufnahme. Perlend und mitreißend erklingt eine Melodie aus einem Musical, arrangiert für ein Spielleuteorchester. „Für diese Vielfalt liebe ich diese Musik. Verstehst du das?“
Gegenfrage: Muss man erklären, warum man Marschmusik liebt? Offenbar schon. Sogar die Homepage des „Deutschen Musikfestes 2025“ geht auf das Vorurteil ein, dass Märsche als „militärisch und nicht mehr zeitgemäß“ gelten. Die Veranstalterin des Musikfestes ist die Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände, sie vertritt 22 Mitgliedsverbände in allen Bundesländern, denen insgesamt rund 10.000 Vereine angehören. Gemeinsam bringen sie mehr als 15.000 Ensembles auf die Straßen und in die Festzelte. 1,1 Millionen Menschen gehören der BDMV an, sie ist damit Deutschlandes größter Musikverband.
Marschmusik ist „ein hohes kulturelles Erbe“
Beim Deutschen Musikfest treten die besten Ensembles der Blas-, Marsch- und Spielleutemusik gegeneinander an. Den Meistertitel in der Sparte Marschmusik holte in diesem Jahr übrigens der Spielmannszug Rödemis von 1913. Ist diese Musik also aus der Zeit gefallen? Nein, heißt es auf der Homepage: „Musizieren in der Bewegung in der Öffentlichkeit gehören zu der ältesten Musikformen und stellt damit ein hohes kulturelles Erbe dar“.

Daniela Paulsen braucht keine Hinweise auf das kulturelle Erbe. Sie hat sich als Vierjährige in die Spielmannszug- und Marschmusik verliebt. Danach spielte sie in der Kita ihre Blockflöte nur noch quer und blieb beharrlich dabei, bis sie mit neun Jahren in den Spielmannszug des Kieler Turnerbunds Brunswik eintrat und endlich eine echte Querflöte bekam. Mit zehn Jahren lief sie zum ersten Mal im Zug mit, bei einer Feier am Tag der Arbeit. „Es war wahnsinnig heiß, und ich hatte Angst zu stolpern“, erzählt sie. Denn bei den Proben sitzen die Musiker:innen, beim Auftritt spielen sie im Gehen.
Daniela Paulsen stolperte nicht, weder buchstäblich noch im übertragenen Sinn. Sie blieb auf ihrem eingeschlagenen Kurs und hat sich seither einen Traum nach dem anderen erfüllt – mit sehr viel Arbeit, Leidenschaft und Einsatz.
Orchesterleitung, Organisation, Buchhaltung – alles ehrenamtlich
Heute ist die 45-Jährige, die aus Kiel stammt und in Langwedel im Kreis Rendsburg-Eckernförde wohnt, Landesfachleiterin für Spielleutemusik im Musikerverband Schleswig-Holstein (MVSH) und gehört dem Präsidium des Verbandes an. Sie leitet zwei Orchester, tritt bei Wettbewerben an, spielte mit ihrer Querflöte in mehreren Formationen mit. Nebenbei organisiert und leitet sie die Jugendfreizeiten und Lehrgänge, in denen der Nachwuchs an Instrumente und Noten herangeführt wird, sitzt in Gremien, hält Kontakt zu den Spielmannszügen im Land. Sogar die Buchhaltung macht sie für den Fachbereich im Land, die Buchhaltung für den Gesamtverband hat sie inzwischen wieder abgegeben. Rund 40 Stunden in der Woche, auch mehr, wenn etwas Besonderes ansteht, gehören der Spielleute- und Marschmusik und dem Verband. Es ist ein Ehrenamt.

Für sie sei früh klar gewesen, dass sie organisatorische Pflichten übernehmen müsse, wenn sie spielen und dirigieren wolle, sagt Paulsen. 2004, mit 23 Jahren, ließ sie sich zur Landesfachleiterin wählen, nachdem ihr Vorgänger seinen Rücktritt erklärt hatte. „Sonst wären Lehrgänge und Orchester weggefallen, das fand ich doof.“
Nicht nur lustig: Als junge Frau im Kreis vieler älterer Männer
In der neuen Position vertritt sie Schleswig-Holsteins Spielmannzüge und Spielleute in den Bundesgremien. Die junge, blonde, hochgewachsene Frau fiel auf unter den vielen älteren Männern, die den Verein prägten. Lustig sei das nicht immer gewesen, verrät sie: „Wenn ich Dinge in Frage stellte, hieß es erst mal: Kindchen, das verstehst du nicht.“ Auch wenn sie als Jurorin oder als Dirigentin auftrat, sei ihre Qualifikation anfangs bezweifelt worden. Sie hat die Kritik durch Kompetenz gekontert. Der Verband sei immer noch männerlastig, aber allmählich ändere sich das, sagt Paulsen.
Hauptberuflich arbeitet die gelernte Steuerfachangestellte in einer Spedition – weitere 40 Stunden die Woche. Privatleben? Kein Problem, sagt Paulsen und grinst: „Mein Mann spielt in den Orchestern, die ich dirigiere.“
Es dauert eine Weile, alle Orchester oder Gruppen zu nennen, die Paulsen gegründet hat, leitet oder in denen sie mitspielt. 2004 übernahm sie kurzerhand auch die Leitung des Jugendorchesters LandesJugendKorps (LJK). Im Jahr 2003 hatte sie bereits ein anderes Orchester mitgegründet, das die Lücke zwischen dem LJK und dem „LODS – Das Flötenorchester“ – ehemals Landesorchester der Spielleute – schließt. Denn das Jugendorchester nimmt nur Musizierende bis 27 Jahre auf, für das LODS braucht es aber eine Mindestanzahl an absolvierten Prüfungen.
Im LODS spielte Paulsen mit, inzwischen leitet sie es. Auch das war ein Traum, den sie sich erfüllt hat. 2006 gründete sie zudem mit anderen das MaD. Das steht nicht für „verrückt“, sondern für „Mallets and Drums“. Mit dabei sind Schlaginstrumente aller Art, vom Glockenspiel und Xylofon über Marimba diversen Percussioninstrumenten bis hin zu Kesselpauken.
Daniela Paulsen dirigiert das Orchester, das bereits bei Wettbewerben im In- und Ausland angetreten ist. Früher kamen noch Orchester auf Kreisebene hinzu und Auftritte ihres Heimat-Spielmannszugs bei Kinderfesten und Laternenumzügen. Dort ist sie aber aus zeitlichen Gründen nicht mehr oft dabei.
Sinfonie-Orchester statt Laternenumzug

Statt auf die traditionelle Spielmannsmusik konzentriert sie sich auf ihr Quer- und neuerdings Piccolo-Flötenspiel. Paulsen breitet ihre Instrumente aus. Neben den Konzert-Flöten im Wert von mehreren Tausend Euro liegt eine Spielmannsflöte. Mit diesen Instrumenten, die in der Basisversion etwa 80 Euro kosten, statten viele Vereine und Züge ihre Musikant:innen aus. In dieses Instrument für die Straße verliebte sich die vierjährige Daniela, als sie ihren ersten Spielmannszug vorbeilaufen sah.
Einfache, günstige Instrumente, eingängige Melodien, die in die Beine gehen und die bei Festen erklingen: Spielmannszüge sind sichtbar für alle und auch offen für alle. Ja, sie könne die Vorurteile gegen Marsch- und Spielmannsmusik verstehen, sagt Paulsen: „Uff-tata eben.“ Tatsächlich hätten viele Vereine modernere Stücke im Programm. „Das hat mit Uff-tata nichts mehr zu tun!“, sagt Paulsen. Sie wünscht sich, dass musikinteressierte Kinder und Jugendliche zu einem Probetag vorbeikommen. Denn im Unterschied zu Blas- oder Kammermusik gebe es für Spielmannszüge keine Hürden, weder finanziell noch von Vorkenntnissen oder Herkunft. „Jeder ist herzlich willkommen, egal ob er eine Handicap hat oder aus einer einkommensschwachen Familie stammt.“
Lob von den Profis: „Das war ein Wow-Moment“

In Paulsens Elternhaus spielte Musik keine große Rolle. Klassik? Orchester? Sinfonie? „Ich kannte das alles nicht, für mich war Musik von Anfang an mit Spielmannszügen verbunden.“ Inzwischen hat sich Paulsen so viel Technik und einen so guten Ruf erarbeitet, dass sie von Orchestern jenseits der Spielleute-Szene angefragt wird. Sie trat mit dem Bach-Ensemble der Uni Kiel auf, spielt die Erste Stimme im Ensemble „Flutes@christmas“. In der Formation sitzen Profi-Musiker:innen, das habe ihr anfangs etwas Angst gemacht, erinnert sich Paulsen. „Ich dachte, ach du Scheiße, mit lauter Studierten.“ Aber das verging schnell. „Die anderen sagten mir, dass ich mich nicht verstecken müsste. Das war ein Wow-Moment.“ Zu Weihnachten 2025 kommt Flutes@Christmas in den Norden. Bei diesem Auftritt leitet Paulsen das Ensemble.
Die Spielleute- und Marschmusik-Szene sei wie eine Familie, berichtet die Landesfachleiterin: „Wir sind alle miteinander groß geworden.“ Doch die Sorge um die Zukunft treibt die Verantwortlichen um. Während der Corona-Zeit gab es keine Proben, viele Kinder und Jugendliche sprangen damals ab. Die Lücke lässt sich schwer füllen. „Schön und gut, dass Spielmannszüge als Kulturgut gelten, aber das bringt keine Leute in die Vereine“, sagt Paulsen. Die Verantwortlichen müssten neu denken, auch was die Musik betreffe: „Die Generation, die die Alten Kameraden und Anneliese hören will, gibt es bald nicht mehr.“ Viele Vereine schlagen schon neue Wege ein und setzen auf Melodien aus Musicals, Film oder Pop, die Publikum und Spielleuten Spaß brächten. Und es braucht, wie in allen ehrenamtlichen Strukturen, Menschen, die sich freiwillig engagieren.
Arbeit mit Jugendlichen – für die Zukunft des Verbandes
„Ich liebe die Arbeit mit den Jugendlichen“, sagt Paulsen. Manchmal entdecke sie sich selbst in den Kindern wieder, sieht ihre eigene Begeisterung für die Marschmusik in den Gesichtern des Nachwuchses widergespiegelt. Wenn sie über ihren Weg im Ehrenamt nachdenkt, staunt sie manchmal selbst. Die meisten der Träume, die sie als Kind und Jugendliche hatte – Querflöte lernen, einen Spielmannszug leiten, das LODS leiten, in einem Sinfonieorchester mitspielen – hat sie sich erfüllt. „Aber ich will nicht stehenbleiben, ich will mich immer weiterentwickeln“, sagt sie. Eines hat sie in den vergangenen Jahren festgestellt: „So sehr ich das Flötespielen liebe, Dirigieren liebe ich noch mehr.“
Die Reihe „Mensch, Musik“ erscheint in Kooperation mit dem Landesmusikrat Schleswig-Holstein. Der erste Teil portraitiert den Komponisten Shaul Bustan: