Ukrainisches Theater Lübeck: Wie die LUFT zum Atmen

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Einmal auf der Bühne stehen und die verrückte Welt vergessen: Das Lübecker Ukrainische Freie Theater (LUFT) begann mit spielerischen Übungen. Inzwischen hat die Gruppe aus Geflüchteten um Regisseur Maksym Ievlev mehrere Stücke auf die Beine gestellt. Und das soll erst der Anfang sein.

Geschichten von Flucht und Ankommen im neuen Leben

Die Maus und die Falle: Olga Godzuir (vorn) will leben, aber der Käse lockt. Foto: Stanislav Mardarovskyi

Der Käse, oh dieser wunderbare Käse – sein Geruch lockt die Maus zur Falle, obwohl sie genau weiß, dass im Gitterkäfig der Tod auf sie wartet. Olga Godzuir verkörpert diese Maus, die in einem minutenlangen Monolog mit sich ringt. Weggehen, wie es klug wäre? Oder doch einen Versuch wagen? Ein Wollknäuel, das die junge Ukrainerin in den Händen dreht und dessen anderes Ende an der Falle befestigt ist, zeigt das Band des Verlangens. Am Ende, die Zuschauer:innen der Aufführung im Rendsburger Nordkolleg ahnen es früh, wird die Maus gegen alle Vernunft in die Falle gehen. Die Szene stammt aus dem Stück „Animal Stories“ des US-amerikanischen Autoren Don Nigro. Es umfasst insgesamt elf Szenen, elf Dramen im Kurzformat, deren Held:innen Kühe, Katzen, Lemminge oder Affen sind.

„Für uns ist das Stück perfekt“, sagt Maksym Ievlev bei einem Treffen in Lübeck. „Es sind kurze Szenen mit meist nur wenigen Beteiligten, so dass wir in kleineren und größeren Gruppen proben konnten.“ Ievlev ist Regisseur, Dramaturg und Leiter des Lübecker Ukrainischen Freien Theaters.

LUFT ist ein Gegengewicht zur Last, die Geflüchtete tragen

Gestartet ist das „LUFT“ als ein Projekt unter dem Dach der Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft der Hansestadt. Das Theater-Angebot soll ein Gegengewicht zu den Lasten bilden, die Geflüchtete mit sich herumtragen. Schließlich mussten sie „mitten in ihrer Ausbildung, im Studium, in ihrer Familiengründung ihre Heimat verlassen“, heißt es auf der Homepage der Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft. Die Sorge um Verwandte und an der Front kämpfende Partner begleitet sie, gleichzeitig müssen sie in Deutschland Fuß fassen, die Sprache lernen, Arbeit suchen. „Um diesen ständigen Druck zu lindern, bedarf es therapeutischer Angebote, welche es kaum in ukrainischer Sprache gibt“, heißt es auf der Homepage.

„Die Proben waren anfangs tatsächlich eher eine Art Hilfe, wie eine Therapie.“

erinnert sich Angela Kapinos, die im Stück eine Kuh spielt und beim Pressegespräch dabei ist. Auch ihre Schauspiel-Kollegin Svitlana Fly, die in den „Animal Stories“ als Schnabeltier und Lemming auftritt, fand die Theater-Idee spannend. Sie stehe gern auf der Bühne, sagt die junge Frau, die in Lübeck bei der Diakonie arbeitet und an der Organisation von Kulturveranstaltungen wie dem Super Kunst Festival beteiligt ist. „Mir gefällt, wie Max die Dinge umsetzt und wie wir den Text interpretieren.“

LUFT zeigt die „Geschichten der Fluchttiere“

Kriegslüsterne Paviane: Dass der rotnäsige Feldherr Russisch spricht, ist kein Zufall. Foto: Stanislav Mardarovskyi

Tatsächlich gewinnen die „Animal Stories“ allein durch dadurch, dass Geflüchtete den Stoff spielen, eine weitere Dimension dazu. „Geschichte der Fluchttiere“ statt „Tiergeschichten“ nennt LUFT das Stück. Denn der Angriffskrieg auf die Ukraine schwingt in Gedanken immer mit.

Überdeutlich wird das etwa in der Szene, in der ein Affen-General, gespielt von Andrii Pielin, eine kriegerische Rede hält. Der Affe spricht Russisch, während die übrigen Szenen auf Ukrainisch gespielt werden. Das sei natürlich kein Zufall, bestätigt Maksym Ievlev. Themen wie Flucht, das Verlassen der Heimat und das Ankommen in einem anderen Leben ziehen sich als roter Faden durch mehrere Szenen. Da sind die Truthähne, die sich fragen, ob es mehr im Leben gibt als Maiskörner. Da sind die Lemminge, die ins Verderben rennen, oder das Schnabeltier, das so gern irgendwo dazugehören will.

„Laientheater“ hören die LUFT-Mitglieder nicht gern

Regisseur Maksym Ievlev ist Theater-Profi. In seiner Heimatstadt Charkiw hat er ein eigenes Theater gegründet und dort bis zu seiner Flucht nach Deutschland Stücke auf die Bühne gestellt. Im Prinzip gebe es dieses Theater noch, sagt er und hebt die Schultern: Die Beteiligten sind in alle Welt verteilt, Proben und Aufführungen finden nicht mehr statt. Ievlev kam 2024 nach Lübeck und suchte rasch nach einer Möglichkeit, auch hier seine Theaterleidenschaft auszuleben. Für ihn bedeutet die Bühne „die Kunst, über die man Menschen am besten zusammenführt und die gleichzeitig Menschen zum Nachdenken bringt“. Theater solle und dürfe Spaß machen – aber eben nicht nur. Und: Theater soll mit Ernsthaftigkeit betrieben werden. „Oh ja“, sagt Svitlana Fly und grinst. „Max ist Perfektionist.“

Die meisten der Mitspielenden hatten vorher keine oder wenig Bühnenerfahrung. Dennoch mögen sie den Begriff „Laientheater“ gar nicht, auch wenn Ievlev zugibt: „Wir haben noch Schritte vor uns.“ Er selbst will sich weitere Standbeine aufbauen. So träumt er davon, mit dem Theater Lübeck zusammenzuarbeiten.

Schon jetzt zeigt sich in der Inszenierung der „Geschichte der Fluchttiere“ eine professionelle Handschrift. Unter anderem im Bühnenbild, das mit wenigen, aber klug eingesetzten Requisiten auskommt. Im Zentrum stehen zwei Supermarkt-Einkaufswagen. Sie sind mal die Falle, die der Maus zum Verhängnis wird, mal Papageienkäfig, mal Arbeitstisch oder Rednerpult. Auch die Musik, etwa aus ukrainischen TV-Serien oder Hymnen der Sowjetzeit, wird bewusst eingesetzt – auch wenn sich Ievlev bewusst ist, dass nicht alle Bedeutungen ein deutschsprachiges Publikum erreichen.

Die Truthähne sehnen sich nach mehr als Mais, auch wenn sie dafür die Heimat verlassen müssen. Foto: Stanislav Mardarovskyi

LUFT spielt auf Ukrainisch. Wenn die Gruppe vor Deutschsprachigen auftritt, werden Untertitel an die Wand projiziert. Das sei ein bisschen schwierig für die Zuschauenden, gibt Ievlev zu, ließe sich zurzeit aber nicht anders machen, einfach deshalb, weil nicht alle Beteiligten bisher ausreichend Deutsch sprechen. Zudem herrscht Wechsel in der Gruppe: Einzelne Mitglieder kehren in die Ukraine zurück, neue kommen hinzu. Die vertraute Sprache hilft ihnen, schnell in das Projekt einzusteigen. Wichtig ist Max Ievlev, dass das Theater eine Möglichkeit sei, Geflüchtete in einer, buchstäblich wie im übertragenen Sinn, ungewohnten Rolle zu zeigen: „Wir wollen nicht bemitleidet werden. Aber wir wollen sagen, dass wir hier sind.“

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