Unser Kolumnist Martin Lätzel fordert einen positiven Blick auf Arbeit. Schließlich gibt es genug zu tun.
Irgendwann ist die Stimmung gekippt. Irgendwann wurde im öffentlichen Diskurs der Begriff „Arbeit“ gleichgesetzt mit Mühsal, Mobbing und Morbidität. Das betrifft, nota bene, nicht nur die oft zu Unrecht gescholtene Gen Z. Natürlich mache ich gerne frei. Aber ich mache mich auch gerne arbeitend nützlich.
Was früher einmal als Quelle des Stolzes und der Selbstverwirklichung galt, wird heute in einem negativen Licht betrachtet – als Quelle von Stress, Erschöpfung und gesundheitlicher Beeinträchtigung. Die ständige Präsenz dieser Themen in sozialen Netzwerken und den Medien zeugt von einer verbreiteten Unzufriedenheit; Arbeit erscheint vielen als eine Last, die die Lebensqualität empfindlich schmälert, wenn sie nicht gar das Leben verkürzt. Sie wird als eine Zumutung wahrgenommen, die unser wahres Potenzial brachliegen lässt.
Die Debatte um die Vier-Tage-Woche und Bestrebungen, die Arbeitszeit weiter zu reduzieren, spiegeln den Wunsch wider, sich von dieser Last zu befreien. Doch ist dieser Trend wirklich die Lösung? Selbstverständlich müssen sich die Arbeitsbedingungen verbessern, Arbeit angemessen gewürdigt und entlohnt, Flexibilität gewährt sowie ein respektvolles Miteinander am Arbeitsplatz gefördert werden. Arbeit auch außerhalb der Arbeitswelt, bei der Kinderbetreuung oder der Pflege von Angehörigen muss Wertschätzung erfahren. Die Diskussionen darüber sind unerlässlich wertvoll und müssen intensiv geführt werden, sie sind Teil unserer Kultur.
Doch wie steht es um unsere grundlegende Haltung zur Arbeit selbst? Es bedarf eines positiven Blicks auf Arbeit, um die Zukunft proaktiv mitzugestalten. Derzeit wird Arbeit zu oft als lästige Pflicht empfunden, anstatt als ein wertvoller Beitrag zum Ganzen und zum Gemeinsinn. Während nämlich gleichzeitig die Arbeit wie ein Schmuddelkind in der Ecke steht, mit dem niemand spielen möchte, verstärken sich der Fachkräftemangel und die Herausforderungen, die wir gesellschaftlich zu gegenwärtigen haben – und die sich nicht von selbst erledigen.
Kramen wir doch den alten Karl Marx wieder aus der Mottenkiste. Vielleicht doch nicht so verstaubt, wie gedacht. Er sah in der Arbeit nicht nur eine Notwendigkeit, sondern eine bewusste, zielgerichtete Tätigkeit, durch die Menschen ihre Umwelt und sich selbst gestalten. Arbeit ist eine Kulturtechnik. Eng damit verbunden ist bei Marx das Konzept der Entfremdung, das heute erneut und unter neuen Bedingungen Relevanz gewinnt, etwa durch die Herausforderungen der Digitalisierung. Da ist noch ein anderer Aspekt. Mir geht es darum, die gesellschaftliche Entfremdung von der Arbeit zu überwinden.
Wir sollten versuchen, den Wert der Arbeit in all ihren Formen neu zu schätzen und zu erkennen. Alle Akteure – von Sozialpartnern bis hin zur öffentlichen Diskussion – sind gefragt, einen Beitrag zu leisten. Arbeit als Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung und zum Gemeinwohl zu sehen, wäre ein wichtiger Schritt, um die Zukunft zu bewältigen. Es geht nicht nur um Profit oder das Gehalt am Monatsende; es geht darum, die Zukunft aktiv zu gestalten. Jeder Beitrag ist wertvoll, egal ob von Busfahrerinnen und Busfahrern, Erzieherinnen und Erziehern, Verwaltungspersonal oder Kulturschaffenden; alle sind mit ihren spezifischen Kompetenzen notwendig, um unsere Gesellschaft weiterzuentwickeln und die Demokratie zu stärken.
Vor uns liegen bekanntermaßen zahlreiche Herausforderungen: der Kampf gegen den Klimawandel, die Energiewende, der Ausbau einer stabilen Infrastruktur, die Förderung guter Bildung und die Verbesserung der Bedingungen für benachteiligte Menschen. All diese Ziele verlangen nach unserem Einsatz, sie machen Arbeit, viel Arbeit. Und das ist gute Arbeit. Es gibt viel zu tun. Packen wir es an.