Kulturraum Ostsee – Vom Meeresgrund bis ins Atelier

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Die Ostsee kennen viele vor allem als Urlaubsziel. Doch das Binnenmeer ist weit mehr als nur ein Freizeitort: Es ist ein empfindliches Ökosystem, das durch menschliche Eingriffe stark unter Druck geraten ist. Ein Projekt will ein neues Bewusstsein für die See schaffen. Die Kunst soll helfen.

Kiel nennt sich Meeresschutzstadt – doch dieser Titel bleibt nur dann mehr als Symbolik, wenn Projekte und Engagement ihn mit Leben füllen. Dabei engagieren sich nicht nur Politik, sondern auch Bürger:innen, Initiativen und Institutionen, denen der Schutz der Ostsee am Herzen liegt.

Die Ostsee, Foto: Dr. Henry Göhlich

Besonders aktiv sind Wissenschaftler:innen wie Dr. Henry Göhlich und Studierende des Geomar Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung. Mit dem Projekt Snorkeling.City wollen sie das Meer für Menschen erlebbar machen, Wissen und Verständnis für den Lebensraum Ostsee schaffen.

Auch Kunst spielt dabei eine zentrale Rolle: Die Künstlerin Ute Diez, Dozentin an der Muthesius Kunsthochschule, hat gemeinsam mit dem Geomar ein partizipatives und inklusives Kunstprojekt gestartet,   mit dem das Meer sinnlich und erfahrbar wird . Künstlerinnen wie Chili Seitz und Filmemacher Florian Guthknecht lassen sich ebenfalls von dem Meer inspirieren und lenken mit ihrer Arbeit den Blick auf die fragile Schönheit dieses Raums und auf die Verantwortung, die die Menschheit für seinen Schutz tragen.

Unter Wasser lernen – das Projekt Snorkeling.City

Jugendliche entdecken die Unterwasserwelt der Kieler Förde, Foto: Snorkeling.City

Einmal abtauchen, Ostseewasser schmecken und sehen, was sich in der Kieler Förde verbirgt. Für 400 junge Menschen aus Schleswig-Holstein und Hamburg beginnt in diesem Sommer ein Abenteuer im Neoprenanzug und Schnorchel statt im Klassenzimmer, denn sie lernen bei diesem Projekt im Meer. Das Umweltbildungsprojekt Snorkeling.City führt die Schüler:innen nämlich direkt in die Unterwasserwelt  vor ihrer Haustür: zu Algen, Seesternen, Seegraswiesen und all den kleinen Bewohner: innen, die sonst nicht so leicht zu finden sind.

Organisiert vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, gefördert von der Bingo-Umweltlotterie und umgesetzt mit einem breiten Netzwerk Partner:innen wie Pro Ocean, einer Organisation mit Hauptsitz in Reutlingen, die unter anderem Müllsammel-Aktionen an Stränden organisiert,  und Ocean Summit, einer Bildungsplattform, die vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und der SPD-nahen Heinrich-Böll-Stiftung gegründet wurde. Ziel des Projekts ist es, dass jedes Kind an der Ostseeküste einmal die Unterwasserwelt erlebt.

Was auf den ersten Blick nach sportlicher Freizeit klingt, ist in Wirklichkeit Teil einer ökologisch-kulturellen Bildungsbewegung: Lernen mit dem ganzen Körper, in direkter Begegnung mit dem Lebensraum Meer. Die Projektinitiatoren Dr. Henry Göhlich, der das Projekt 2024 von Miriam Hansen übernommen hat und Dr. Mark Lenz sind sich sicher: „sobald man die Ostsee erlebt hat, möchte man sie erhalten und schützen“.

Eine Klasse am Schnorcheln in der Kieler Förde, Foto: Snorkeling.City

Das Meer als Metapher – Künstlerische Perspektiven

Die in Kiel lebende Künstlerin Chili Seitz wiederum arbeitet an der Schnittstelle von Körper, Natur und Wasser, durch Installationen und immersiven Begegnungsformaten. Ihre Arbeit fragt: Wie fühlt sich das Meer in uns an? Wie verändert Wasser unsere Wahrnehmung? Und was heißt es, mit statt nur über Natur zu sprechen?

Ein Beispiel für ihre Herangehensweise ist die Ausstellung „Beach Recordings“, in der sich Seitz den Gezeiten des Meeres widmet. Hier fängt sie nicht nur die offensichtlichen Bewegungen des Wassers ein, sondern auch die stillen Momente dazwischen. Ihre Bildnisse zeigen, was das Meer auf Felsen zurücklässt, wenn es sich zurückzieht: Spuren der Dynamik, die normalerweise flüchtig bleiben.

Ein Seehase im Seegras, Foto: Philipp Hoy

Berühren, was wir nicht sehen – Kunst für alle Sinne

Wie eng Naturvermittlung und künstlerisches Denken miteinander verwoben sein können, zeigt sich eindrucksvoll am Geomar: In der Ausstellung Sicht_Felder wird Meeresforschung für blinde und sehbehinderte Menschen auf sinnliche Weise erfahrbar durch tastbare Kunstwerke. Eines der insgesamt neun Werke steht nun auch dauerhaft an der Kieler Förde auf dem Gelände des Forschungsinstituts: eine Bronzerelief-Tafel mit Blindenschrift, die das Meer und seine Bewohner ertastbar macht.

Die Künstlerin Ute Diez, Dozentin an der Muthesius Kunsthochschule, hat das Projekt initiiert und gemeinsam mit dem Geomar entwickelt. Aus dieser Zusammenarbeit ist eine Ausstellung entstanden, die zeigt, wie sich Wissenschaft auf kreative und inklusive Weise vermitteln lässt.

Das Kunstwerk zeigt eine lebendige Unterwasserwelt mit Seegraswiesen, Algenwäldern und Fische, die sich darin bewegen. Ein Bild, wie es sich auch in der Kieler Förde zeigt, sobald der Blick unter die Wasseroberfläche fällt. Besonders an diesem Werk sind die Quallen, die im oberen Bereich der Tafel schweben. Statt die Wasserbewegung darum abzubilden, ist ein Text in Blindenschrift fühlbar.

Die Gärten der Meere

Florian Guthknechts Dokumentation Wunderwelt Seegraswiesen“  feierte nicht nur eine eindrucksvolle Eröffnung beim CINEMARE Meeresfilmfestival 2025 in Kiel, sondern entführte das Publikum auch auf eine packende Reise in eine sonst verborgene Unterwasserwelt. Der Film macht die meist dunklen Seegraswiesen lebendig und erlebbar, präsentiert sie in einer Farbenpracht, die man so selten zu Gesicht bekommt.

Ein Taucher über Seegraswiesen, Foto: Philipp Hoy

Doch die Dokumentation bietet weit mehr als nur atemberaubende Bilder: Sie vermittelt auch essenzielles wissenschaftliches Wissen. So wird deutlich, welche unverzichtbare Rolle Seegraswiesen für unser Ökosystem spielen. Ein einziger Hektar Seegras kann bis zu eine Tonne CO₂ speichern und leistet damit einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. Diese Unterwasserlandschaften schützen unsere Küsten gleichzeitig vor Erosion. Zudem dienen sie als wichtige Kinderstube für zahlreiche Fischarten und bieten Lebensraum für unzählige Meeresbewohner. Guthknechts Film ist somit ein Plädoyer für den Schutz dieser faszinierenden und schützenswerten „Wunderwelt“. Der Dokumentationsfilm folgt einem ähnliches Motto wie Dr. Mark Lenz, Projektinitiator von Snorkeling.City:

„Nur was wir kennen und lieben, wollen wir schützen“

Die Eindrucksvollen Bilder des Films gibt es in voller Länge bei Arte zu sehen.

Ausblick: Neue Allianzen für den Meeresschutz

Damit Projekte wie Snorkeling.City langfristig wirken, braucht es mehr als gute Ideen. Es braucht Kooperationen: mit Schulen, Kulturinstitutionen und der Politik. Der Ocean Summit in Kiel, Künstler:innen wie Chili Seitz zeigen: Die Allianz von Wissenschaft, Kunst und Bildung kann ein Schlüssel sein, um das Meer wieder in unser kollektives Bewusstsein zu holen.

Denn was bleibt nach einem Schnorcheltag in der Förde? Vielleicht ein neuer Blick. Vielleicht die erste kleine Entscheidung, etwas anders zu machen – nicht nur für das Meer, auch für uns selbst.

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