Über Caroline Wahls dritten Roman Die Assistentin wurde schon so viel geschrieben. Und noch viel mehr wurde über Caroline Wahl geschrieben: die Bestsellerautorin, die inzwischen in Kiel lebt, die sich im vergangenen Jahr so aufgeregt hat, weil sie nicht auf der Buchpreis-Longlist steht, die über eine arme Familie schreibt und Armut nicht kennt.
Im Spiegel fasst die Journalistin Margarete Stokowski zusammen, dass man anhand von Die Assistentin doch eigentlich gut über Machtmissbrauch in der Literaturbranche sprechen könnte, denn darum geht es in dem neuen Buch. Doch das geschehe nicht, „weil es offenbar interessanter ist, über eine konkrete Autorin zu reden und ob sie nun genial oder dreist, erfrischend oder anstrengend ist“.
Dem kann ich nur so halb zustimmen. Es liegt auch an Die Assistentin, dass auf das Erscheinen keine Diskussion über Machtmissbrauch in der Literaturbranche folgt. Das Buch gibt das einfach nicht her.
Der Teufel trägt Prada

Es geht darin um Charlotte, die nach ihrem Studium Musikerin werden will, stattdessen aber als Assistentin in einem renommierten Münchner Verlag anfängt. Der Verleger, mit dem sie eng zusammenarbeitet, stellt sich als egozentrisch und manipulativ heraus, die Arbeit raubt Charlottes gesamte Zeit und Energie. Aber es gibt ein Happy End: Sie kündigt, wird erfolgreiche Musikerin und zieht ans Meer.
Moment, das ist doch der Plot von Der Teufel trägt Prada? Für den Roman, der 2003 erschien, ließ sich die spätere Bestsellerautorin Lauren Weisberger von ihrer Zeit bei der Vogue und deren „Boss from hell“ Anna Wintour inspirieren. In der Verfilmung spielten Meryl Streep und Anne Hathaway die Hauptrollen.
Den Bezug auf das bekannte Vorbild macht die Erzählerin in Die Assistentin selbst: „Rückblickend fragt sich Charlotte manchmal, wann genau sie begriffen hat, dass sie in so etwas wie die düstere, auf ZDFneo oder ARTE ausgestrahlte Indie-Variante von Der Teufel trägt Prada geraten war.“
Düstere Variante trifft es nicht ganz. Eher blass. Während uns Der Teufel trägt Prada in die Fashionwelt entführt – New York, Paris, Prada –, bleibt die Münchner Literaturwelt recht bücherarm. Kein Frankfurt, Leipzig, Buchpreis. Obwohl die Autorin genau diese Welt doch so gut kennt: Sie hat als Verlagsassistentin beim Diogenes Verlag in Zürich gearbeitet und bewegt sich als Bestsellerautorin bereits seit einigen Jahren in der Branche. Doch anders als Christoph Peters, der Romanautor von Innerstädtischer Tod über einen Berliner Galeristen, muss Caroline Wahl keine einstweilige Verfügung befürchten, weil sich jemand in ihrem Roman wiedererkennt. In Interviews versichert sie: „Grundsätzlich ist das nicht meine Geschichte, die ich erzähle.“

Christoph Peters: Innerstädtischer Tod
München: Luchterhand Literaturverlag
304 Seiten, 24 Euro
ISBN: 978-3-630-87747-1
Charlottes Innen- und Privatleben
Für eine einstweilige Verfügung kommen wir den Figuren auch überhaupt nicht nah genug: Auf den ersten Seiten lernen wir mehr über Cathy Hummels als über Charlotte. Diese Kritik nimmt uns die Erzählerin selbst vorweg, mit einer Stimme aus dem Off, die wie ein Hinweis aus dem Lektorat wirkt, das nach dem ersten Drittel des Buches anordnet: „Von Charlottes Innen- und Privatleben wurde bisher immer noch zu wenig erzählt, deswegen Zeitsprung in den Feierabend. Und in die Gegenwart, ins Präsens, damit Charlottes Innen- und Privatleben einen berührt.“
Doch wie kann einen etwas berühren, wenn man so offensichtlich dazu aufgefordert wird? Dazu kommt: Die meisten Passagen von Die Assistentin wirken wie ein Manuskript, eine Nacherzählung der sich ständig wiederholenden Ereignisse. Gleichzeitig fühlt sich die unfertig geschriebene Geschichte von Anfang an abgeschlossen an, weil wir durch zahlreiche Einschübe – anders als bei Der Teufel trägt Prada – bereits wissen, wie sie ausgeht: Charlotte wird kündigen.
Die allwissende Erzählerin nennt das: „Weitererzählen mit leichter dramaturgischer Steigerung, während sich die Leser allmählich fragen, was die vielen Wiederholungen sollen und ob dem Ganzen nicht bald die Luft ausgeht.“
Ja, tut sie.
Gewehre und Feuer

Anton Tschechow sagt: Wenn im ersten Akt ein Gewehr an der Wand hängt, muss es im letzten Akt abgefeuert werden. Sonst sollte es nicht dort hängen.
Natürlich sind solche Regeln zum Brechen da. Doch Die Assistentin steht die plötzliche Experimentierfreudigkeit der Autorin nicht, die mit ihren vorigen Romanen 22 Bahnen und Windstärke 17 zwei sehr eingängige Geschichten erzählt hat, spannend und leicht zu lesen.
Wir wissen von dem Schuss am Ende, bevor wir das Gewehr überhaupt wahrgenommen haben. Eigentlich gibt es sogar mehrere solche Gewehre und Schüsse: manipulativer, alkoholabhängiger Chef (Gewehr) und Kündigung (Schuss), Sehnsucht nach dem Meer (Gewehr) und Leben am Meer (Schuss). Diese Sehnsucht wird durch Immobilienanzeigen von teuren Wohnungen an der Küste und ein love interest namens Bo symbolisiert. Bo ist auf Amrum aufgewachsen, aber sehnt sich nach den Bergen, weswegen er nach München zieht, was Charlotte gar nicht verstehen kann, die zwar auch nach München gezogen ist, aber viel lieber am Meer leben würde. Das Motiv ist schön. Aber es wird nicht auserzählt, verläuft ins Leere.
Keine Spoiler, kein Gesprächsbedarf
Fast parallel zu Die Assistentin lese ich ein großartiges Buch, in dem die Sehnsucht nach dem Meer ebenfalls eine große Rolle spielt: Paradise Garden von Elena Fischer, das 2023 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand. Die Mutter der 14-jährigen Billie stirbt in diesem Sommer, das wissen wir vom ersten Satz an. Trotzdem folgt eine spannende Geschichte über die Geschehnisse vor diesem Tod – und die Zeit danach, in der die Sehnsucht nach dem Meer so eine große Rolle für den Plot spielt, das ich hier nicht mehr verraten will.

Elena Fischer: Paradise Garden
Zürich: Diogenes Verlag
352 Seiten, 14 Euro (Taschenbuch)
ISBN: 978-3-257-24775-6
Bei Die Assistentin hingegen gibt es nichts zu spoilern. Die Sehnsucht wird sich später erfüllen, ganz unspektakulär in wenigen Sätzen erzählt. Keine Rätsel, keine Überraschungen. Was nach dem Lesen an Gedanken im Kopf bleibt: Der Teufel trägt Prada in düster und in Literaturwelt, eine gute Idee. Machtmissbrauch, ein wichtiges Thema. Der Insulaner, der sich nach den Bergen sehnt, die Assistentin, die sich nach dem Meer sehnt, ein tolles Motiv. Aber leider wird in der Geschichte nichts aus den Ideen, Themen und Motiven gemacht. Sie bleibt langweilig und blass. Nach dem Lesen habe ich keinen weiteren Gesprächsbedarf.